Lesedauer ca. 11 Minuten

10 Jahre technika | Karlsruher Technik-Initiative

Programmieren ist längst kein exotisches Spezialwissen mehr. Für Dirk Fox, Gründer der technika | Karlsruher Technik-Initiative, gehört es sogar bereits in die Grundschule. Die technika, eine Initiative des CyberForum e.V., organisiert fischertechnik AGs an Schulen und ist die größte regionale MINT-Initiative Deutschlands. Jetzt feiert sie 10-Jähriges.

Mit einem aktuellen Projekt will die technika gemeinsam mit fischertechnik Robotik in die Grundschulen bringen. Eine Ausschreibung vom Land zu diesem Thema läuft bereits. Damit käme die für die Kinder so elementare MINT-Förderung endlich im Regelunterricht an.

Ariane Lindemann im Gespräch mit Dirk Fox über die Anfänge der technika und ihre großen Erfolge.

Wie kam es zur Idee, fischertechnik in die Schulen zu bringen?

Durch einen Anruf meines Vaters vor zehn Jahren. Er fragte, was er mit den alten fischertechnik-Baukästen auf dem Dachboden machen soll. Ich fuhr hin, holte sie ab und baute bis morgens um sechs meine alten Lieblingsmodelle auf. Meine drei Söhne haben sich dann auch gleich  draufgestürzt und waren genauso begeistert wie ich damals als Kind. Gleichzeitig fiel mir eine Studie von acatech in die Hände, in der viele tausend Ingenieur*innen, Schüler*innen und Studierende gefragt wurden, was sie eigentlich zu IT und Technik gebracht hat. Die meisten nannten: Bauen, Reparieren und technisches Spielzeug. Aber wer baut heute noch einen Föhn auseinander, wenn er kaputt ist? Und den guten alten Bastelkeller mit Schraubzwinge und Ständerbohrmaschine – den gibt’s ja so gut wie gar nicht mehr.

Damit geht ein riesiger Erfahrungsbereich für die Kinder in der Praxis verloren …

Das ist der Punkt. So kam mir die Idee, den Kindern in der Schule ein Kinderzimmer mit technischem Spielzeug hinzustellen, also ein richtiges Paradies für technikbegeisterte Kids zu schaffen. Der Plan war, Klassen mit fischertechnik-Baukästen auszustatten und die Kinder so spielerisch an das Thema Technik heranzuführen.

Haben die Schulen gleich angebissen?

Ich schrieb ein Konzept und legte es dem Rektor an der Schule meiner Kinder vor. Er war begeistert und wir gründeten die erste AG am Bismarck-Gymnasium. Wir starteten mit 25 Schüler*innen der siebten und achten Klasse. Der Erfolg war durchschlagend. Bald hatten wir 50 Kinder in der AG, die mit großer Begeisterung bauten und konstruierten. 2014 haben wir sieben weitere Schulen ausgestattet. Die Idee explodierte. Wir konnten zahlreiche Sponsoren und Förderer gewinnen, die die Ausstattung der Schulen mit fischertechnik bis heute mittragen.

Auch das Team ist schnell gewachsen …

2017 wurden wir von der Körber Stiftung im Rahmen des Förderwettbewerbes MINT-Region ausgezeichnet. Mit dem Preisgeld konnten wir eine halbe Stelle im CyberForum für ein halbes Jahr finanzieren. 2018 stieg der Unternehmer Hans Hubschneider mit seiner Stiftung ein. Er ist bis heute eine wichtige finanzielle Stütze für die technika-Personalstellen im CyberForum. Wir haben gerade die sechste Stelle besetzt und zusätzlich zwei FSJ-Stellen, die wir zum zweiten Mal besetzen konnten. Im vergangenen Jahr hatten wir außerdem einen Informatik-Professor von der Hochschule Karlsruhe bei uns, der sein Forschungsfreisemester bei uns verbrachte, um didaktisches Material für Schüler*innen zu entwickeln.

2021 gab es mit „Wirkung Hoch 100“ eine besondere Auszeichnung …

Die Auszeichnung „Wirkung hoch 100“, die der Stifterverband zu seinem 100. Geburtstag verliehen hat, war sensationell und hat uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Hier wurden wir als eine der 10 besten Ideen für das Bildungs-, Wissenschafts- und Innovationssystem von morgen geehrt.

„Wir sind die größte regionale MINT-Initiative in Deutschland. Das gibt es in der Größe nicht nochmal.“

Die Begeisterung für die fischertechnik AGs ist bis heute ungebrochen …

Absolut. Die Nachfrage steigt. Wir haben mittlerweile 150 AGs an Schulen und öffentlichen Einrichtungen, mit denen wir bis zu 2.500 Kinder jede Woche erreichen. Damit sind wir die größte regionale MINT-Initiative in Deutschland. Das gibt es in der Größe nicht nochmal.

Die neuen Education-Baukästen gehen sogar ins Ausland …

2020 haben wir begonnen, für fischertechnik Didaktik-Kästen für den Schulunterricht von der dritten bis 12. Klasse zu entwickeln. Das geht gerade ziemlich durch die Decke. Wir haben inzwischen über 20 Education-Baukästen, die nicht nur in deutschen Schulen eingesetzt werden, sondern auch im Ausland. fischertechnik ist besonders in Ländern mit zentralisiertem Bildungssystem beliebt – wie zum Beispiel in den Arabischen Emiraten, in China oder Brasilien. Diese Schwellenländer haben einen starken Fokus darauf, ihre Kinder auszubilden wie deutsche Ingenieur*innen.

Was ist in den Baukästen drin?

Wir decken den gesamten Bereich der Mechanik und Statik ab, also Getriebeübersetzungen, stabile Konstruktion von Türmen, Masten usw. Daneben haben wir Optik-, Elektronik-, Robotik- und Pneumatik-Baukästen entwickelt. Mit den Baukästen kann jedes Kind selbst experimentieren.

Können die Schüler*innen auch Wissen für den regulären Unterricht mitnehmen?

Unbedingt. Wir haben alle Curricula der Bundesländer analysiert und die Baukästen – gemeinsam mit Expert*innen aus dem fischertechnik-Umfeld, mit Ingenieur*innen und Hochschulprofessor*innen – so konzipiert, dass sie genau in die Zielstellung der jeweiligen Curricula im Physik-, NwT-, Mathe- und Informatikunterricht eingreifen.

Physik kann man mit fischertechnik gut darstellen. Aber wie kann man sich einen Mathe-Didaktik-Kasten vorstellen?

Hier geht es darum, mit haptischen Modellen Mathematik greifbar zu machen. Die Kinder bauen Modelle, mit denen man zum Beispiel Sinus-Cosinus Berechnungen machen oder einen Kurvenzeichner konstruieren kann, der durch Bewegungen des Modells einfache Sinus-Cosinus-Schwingungen aufzeichnet. Das heißt, man bekommt ein haptisches Gefühl dafür, was sich im Ergebnis rein mathematisch ausdrückt. In der Sekundarstufe 2 können Kinder einem Fahrzeug das Rückwärtseinparken in eine Parklücke beibringen. Das Spannende daran ist, dass man mit Winkelberechnung den Fahrweg bei eingeschlagenen Rädern genau berechnen kann. Eine geniale Aufgabe für die Kinder, weil sie sehen, wozu Winkel- und Kreisberechnung nützlich sind.

„Wir bringen den Kindern in der Schule Lösungen für Probleme bei, die sie gar nicht haben.“

Weg von der trockenen Theorie – hin zum Selbermachen?

Das ist die Grundidee hinter der Technik-Initiative. Denn eines ist sicher: Wir bringen den Kindern in der Schule Lösungen für Probleme bei, die sie gar nicht haben. In der Hoffnung, dass sie sich das alles merken, wenn sie diese Probleme in der Zukunft eventuell mal bekommen. Aber: Wenn sie das Problem nicht haben, was sollen sie dann mit der Lösung? Wir müssen uns den Kindern auf andere Weise nähern. Wir fragen sie, was sie bauen wollen. Dann entdecken sie, dass sie eine Grundfrage lösen müssen, um diese Konstruktion hinzubekommen. Egal, ob das Stabilität in der Statik ist oder ob das ein Getriebe ist, um ein bestimmtes Drehmoment des Motors zu erreichen. Somit haben sie – wie Konstrukteur*innen aller Epochen auch – ein Problem, das sie sich selbst gestellt haben. Das wollen sie lösen und dann wollen sie auch lernen.

Wie kriegt man diese Überzeugung jetzt in die Bildungspolitik?

Vor einiger Zeit waren die Kultusminister*innen noch der Meinung: keine Rechner im Unterricht – die Kinder sollen erst mal Schreiben lernen. Das ist grundsätzlich richtig, aber die Kinder müssen auch andere Kultur-Kompetenzen erlernen – und zwar so früh wie möglich. Mit Informatik fangen wir in Klasse 7 an. Das ist doch verrückt. Sport und Musik fängt man doch auch nicht in der siebten Klasse an. Informatik ist eine der wichtigsten Kompetenzen der Zukunft. Daher gehört das bereits in die Grundschule. Im Kultusministerium hat mittlerweile ein Umdenken stattgefunden und das Thema Robotik in der Grundschule steht dort oben auf der Agenda.

Und jetzt kommt die technika ins Spiel …

fischertechnik hat an einer Ausschreibung des Landes zum Thema Robotik in Grundschulen teilgenommen. Geplant ist, Grundschulen mit einem Robotik-Baukasten, den ich konzipiert und gemeinsam mit Expert*innen aus dem fischertechnik-Umfeld entwickelt habe, auszustatten. Das Feedback des Landesmedienzentrums war bereits ausgesprochen positiv. Die Chancen stehen gut, dass wir dann, finanziert über das Kultusministerium, in ganz Baden-Württemberg mit Robotik in die Grundschulen kommen.

Werden die anderen Bundesländer dann nachziehen?

Wir hoffen sehr, dass das Projekt so erfolgreich ist, dass es auch ein Thema für die Kultusministerkonferenz sein wird. Fest steht: Das Land hinter sich zu haben, hat eine Auswirkung auf die ganze Bildungslandschaft in Baden-Württemberg und im Idealfall auch darüber hinaus. Das wäre für uns wie ein Ritterschlag. Denn während wir bisher immer auf die Einzelentscheidung der Schulen angewiesen waren, kommen wir jetzt in die Situation, dass die Empfehlung über die Kultusministerien der Länder kommt, die das finanzieren und durch Weiterbildungsangebote unterstützen.

Wird das auch funktionieren?

Um das zu testen, haben wir seit Anfang dieses Schuljahres zwei dritte Klassen an der Karlsruher Südendschule, die wir jede Woche mit vier Schulstunden Robotik beglücken. Das Feedback der Kinder ist überwältigend. Die Schulleiterin hat ihre Schulstunden in Mathematik für diese 8 Wochen freigegeben.

Welches Feedback gibt es aus den Klassen?

Die Kinder können programmieren! Sie haben vor fünf Wochen noch nie ein Programm gesehen und können inzwischen programmieren. Kürzlich haben sie eine Alarmanlage gebaut. Die sind mit ganz viel Begeisterung dabei.

Kommen die Lehrer*innen da überhaupt noch mit?

Wir haben jetzt schon die Situation, dass viele Kinder, die aus den Grundschul-AGs kommen, bereits in der fünften Klasse programmieren können. Das hat sämtliche NwT-Lehrer*innen hier in Karlsruhe durcheinandergebracht, weil die Kinder die Themen der sechsten, bzw. siebten Klasse bereits konnten. Das Wichtige wird aber sein, dass die Lehrer*innen sich künftig als Lernbegleiter*innen verstehen, die in diesen Stunden mit den Kindern gemeinsam Projekte in Angriff nehmen. Es geht nicht darum, dass die Kinder professionell programmieren lernen, sondern dass sie vor allen Dingen lernen, wie sie Dinge steuern und wie sie logische Abläufe formulieren können.

„Programmiersprache gehört in den Deutsch-Unterricht.“

Ist es denkbar, dass Programmieren ein Pflichtfach wird?

Das wäre absolut wünschenswert. Für mich gehört Programmieren in den Deutschunterricht. In einer natürlichen Sprache kann man unterschiedlich und sogar ein wenig ungenau formulieren, und wir verstehen trotzdem, was gemeint ist. Ganz anders ist es beim Computer. Er braucht exakt den richtigen Befehl, sonst funktioniert es nicht. Das Erlernen einer Programmiersprache schärft daher das logische Denken der Kinder. Und das haben wir versucht, im Material abzubilden. Das heißt, die Kinder formulieren erst einen Algorithmus in einer ganz simplen Sprache mit ganz einfachen Sprachbefehlen, und danach setzen sie das am Computer in einer grafischen Programmiersprache um.

Ein eigens entwickelter Controller ist bereits deutschlandweit im Einsatz …

Ein sehr engagierter Unterstützer unserer Initiative, Dr. Till Harbaum hat einen Steuerungscomputer entwickelt, der fischertechnik-kompatibel ist und an die Arduino-Welt andockt, die im Maker-Bereich und im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht ab Klasse 7 sehr verbreitet ist und an Schulen bereits existiert. Das heißt, man kann die unzähligen Arduino-Programme, die weltweit verfügbar sind, auf den Controller laden und die fischertechnik-Modelle direkt ansteuern. Unsere beiden FSJ-ler haben außerdem im vergangenen Jahr alle fischertechnik-Controller an die Programmiersprache Scratch angebunden.

„Jetzt geht’s eigentlich erst richtig los!“

Ist KI ein Thema für die Grundschule?

Professor Rainer Neumann von der Hochschule Karlsruhe, der sein Forschungsfreisemester bei uns absolviert hat, hat gerade ein Konzept für uns entwickelt, um KI so in Modelle zu integrieren, dass sie für die Grundschule bzw. Sekundarstufe 1 geeignet sind. Dabei lernen die Kinder schon ganz früh, was kann KI und was nicht. Das werden wir jetzt weiterentwickeln. Unsere Zielvorstellung ist, wenn die Robotik-Kästen erfolgreich sind, in ein oder zwei Jahren mit einem KI-Baukasten für Grundschulen nachzulegen. Wir sind stolz auf die bisherigen Erfolge unserer Initiative, aber eigentlich geht’s jetzt erst richtig los!

Viele Initiativen sind wegen zu hoher Kosten langfristig nicht tragfähig. Bei der technika ist das anders …

Vielleicht das Wichtigste an unserem Ansatz, für den wir mehrfach ausgezeichnet wurden, ist die große Hebelwirkung. Wir haben an Investitionen in den AGs lediglich die Materialbeschaffung. Die Betreuung erfolgt in den Grundschulen häufig durch interessierte Eltern oder durch Jugendbegleiter*innen, also ältere Schüler*innen. Und in den weiterführenden Schulen durch eine Mischung aus Lehrer*innen und Studierenden oder ältere Schüler*innen. Das heißt, wir haben einen überschaubaren zentralen Personalbedarf für Konzeptentwicklung, Gewinnung von Schulen, Organisation von Ferienangeboten und das Aufsetzen von neuen AGs. Alles andere läuft dezentral. Die Kosten für eine MINT-Stunde pro Kind liegt daher bei einem einstelligen Eurobetrag.

Wird die technika dann bald zum Selbstläufer?

Wenn das ein Erfolg wird, was wir mit allen Kräften unterstützen, funktioniert das alles irgendwann unabhängig von uns. Das ist eigentlich mein Ziel. Ich wünsche mir, dass wir eine Initiative haben, die sich komplett selbst entfaltet aus dem eigenen Erfolg heraus. Und die Mittel und Wege und den klassischen Schulunterricht nutzt, um genau diese Kompetenzen zu vermitteln.

Seit einem Jahr gibt es auch Ferienangebote von der technika …

Die Zusammenarbeit mit dem Stadtjugendausschuss als Ferienanbieter war für uns ein sehr wichtiger Schritt. Dadurch bekommt das Ganze eine ganz andere Dimension, wenn die Kinder in den Schulferien eine ganze Woche lang nichts anderes machen als mit fischertechnik zu bauen oder zu programmieren. Da erreichen wir sehr steile Lernkurven. Und mit den Jugendtreffs des Stadtjugendausschusses in Karlsruhe, die wir jetzt nach und nach ausstatten, haben wir neue Orte und erreichen die Kinder auch zu Sportvereinzeiten. Das ist neu. Hier können sie etwas selbst gestalten und Selbstwirksamkeit entfalten.

Welche Themen würden Sie gerne noch angehen?

Ein Thema, das uns sehr am Herzen liegt, ist das Erreichen von Mädchen. Hier fehlen uns nach wie vor Role-Models. Wir haben bereits mit reinen Mädchen-AGs interessierte Mädels in Unternehmen gebracht und ihnen dort Role-Models vorgestellt, die IT und Technik können und machen. Das hat bei den Mädchen viel Eindruck hinterlassen und wir wissen auch, dass einige von ihnen inzwischen einen technischen Studiengang gewählt haben und dass wir damit große Wirkung erzielen. Das wollen wir noch stärker pushen.

Ist auch hier die Grundschule ein wichtiger Hebel?

Definitiv. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass wir in den Grundschulen extrem guten Zugang zu Mädchen kriegen. Die Pubertät bremst da noch nicht aus, die Mädchen lassen sich ganz vorbehaltlos auf solche Themen ein. Die Teilnahmequote von Mädchen bei den fischertechnik- und Technik AGs in weiterführenden Schulen ist durch diesen hohen Mädchenanteil in den Grundschulen deutlich größer geworden.