Die Herausforderungen des aktuellen Fachkräftemangels in Baden-Württemberg verdeutlichen die Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Auszubildenden in der Region. Mit 12.900 unbesetzten Ausbildungsplätzen allein im Jahr 2023 steht die Wirtschaft vor einer immer komplexeren Aufgabe, junge Talente für sich zu gewinnen.
Im Interview mit Karen Engelhard, Ausbildungskoordinatorin und aktive Ausbilderin für die Berufe Kaufleute im E-Commerce und Büromanagement eines mittelständischen Unternehmens der Region, sprechen wir über aktuelle Trends, Best Practices und notwendige Veränderungen, um den Anforderungen der Ausbildungslandschaft erfolgreich zu begegnen. Ihr Insiderblick auf die Bedürfnisse von Auszubildenden und ihre Erfahrungen aus der Unternehmenspraxis bieten wertvolle Einblicke in die Gestaltung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung. Unverzichtbar für eine erfolgreiche Strategie im Ausbildungsmanagement ist: hinschauen, zuhören, einfühlsam ansprechen und geduldig dranbleiben.
Wie sieht der aktuelle Fachkräftemangel in Baden-Württemberg aus und welche Auswirkungen hat er auf die Rekrutierung von Auszubildenden in den Unternehmen?
Süddeutschland ist als Region neben den Neuen Bundesländern am stärksten von Fachkräftemangel betroffen. 2023 blieben bundesweit 73.400 Ausbildungsplätze unbesetzt, davon entfielen allein 12.900 Plätze auf Baden-Württemberg. Die Situation am Arbeitsmarkt ist für die Auszubildenden komfortabel, besonders Azubis mit guten Noten können oftmals auf mehrere Angebote zurückgreifen. Um Auszubildende für das eigene Unternehmen zu begeistern, ist es nicht nur wichtig Benefits zu bieten und Unternehmenswerte zu proklamieren, sondern wirklich authentisch zu sein und die Auszubildenden abzuholen. Dazu braucht es eine ehrliche, jugendliche Ansprache, nicht nur über Social Media, sondern von der Stellenanzeige bis zum Vorstellungsgespräch.
Welche zentralen Bestandteile sind für eine qualitativ hochwertige Ausbildung in Unternehmen entscheidend?
Ich muss bereit sein, mich auf die Auszubildenden einzulassen und erkennen, dass hier beide Seiten voneinander lernen. Diese Einstellung sollte überall im Betrieb gelebt werden. Wichtig ist – und wie ich höre, halten sich leider viele Ausbildungsbetriebe nicht daran –, dass der Ausbildungsrahmenplan eingehalten und regelmäßig überprüft wird. Als Arbeitgeber habe ich eine Verpflichtung gegenüber den Auszubildenden und sollte mir dessen bewusst sein.
Was macht attraktive Arbeitgeber heute aus?
Wenn ich die vorgenannten Punkte beachte, bin ich als Unternehmen schon vielen Mitbewerbern weit voraus. Sehr gute Erfahrungen habe ich zudem mit regelmäßigen Azubitreffen zu persönlichen und fachlichen Themen und einer Onboarding-Woche gemacht. Die Auszubildenden sollen sich zugehörig und wertgeschätzt fühlen und dazu gehören viele Aspekte. Neben den Soft Facts spielt durchaus auch eine regelmäßig angepasste, wettbewerbsfähige Vergütung eine wichtige Rolle.
Welche Best Practices lassen sich konkret in Bezug auf Ausbildungsanzeigen, Bewerbungen, Anschreiben und Vorstellungsgespräche benennen?
Mein Eindruck ist, dass wir in allen oben genannten Bereichen zu oft Massenware produzieren, und daran auch noch Maß nehmen. Mein Tipp ist: individuelle Stellenanzeigen entwerfen, neben den Zeugnissen auch Anschreiben einfordern und beides nicht nach Schema F abhaken, sondern sich generell erlauben, auch Leute einzuladen, die nicht so glatt geschliffen sind und/oder überall Bestnoten haben. Im Vorstellungsgespräch selbst ist mein bester Rat, neben professioneller Vorbereitung: wirklich genau zuzuhören und immer wieder zu fragen, warum gerade diese Ausbildung die richtige sein soll. Ich würde niemanden einstellen, den diese Frage unvorbereitet trifft.
Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, wenn während der Ausbildung Schwierigkeiten auftreten, damit die Auszubildenden dennoch erfolgreich sind?
Da die eventuellen Probleme sehr individuell sind, ist das schwierig in der Kürze zu beantworten. Generell gilt: hinschauen, zuhören, die Dinge mit Empathie ansprechen und dann geduldig dranbleiben. Sollte mangelnde Motivation das Ausbildungsergebnis gefährden, ist es oftmals hilfreich, wenn Azubis eigenverantwortlich arbeiten und Ergebnisse präsentieren dürfen. Es gibt aber auch Situationen, in denen Ehrlichkeit, klare Worte sowie das Setzen von Grenzen gefragt sind. Wenn gegenseitiges Vertrauen und ein gutes Gespür des Ausbilders vorhanden sind, erkennen diese, wie sie die Auszubildenden am besten begleiten.
Welche aktuellen Trends oder Veränderungen gibt es in der Ausbildungslandschaft?
Es gibt einige, unter anderem natürlich immer mehr Unternehmen, welche Social Media zur Rekrutierung nutzen. Das hat Metro Deutschland meines Erachtens mit seiner Social Media-Kampagne sehr gut umgesetzt. Die Auszubildenden erhalten dort auch von Anfang an ein sehr respektables Gehalt, sicherlich auch, um den Fachkräftemangel im Einzelhandel abzufedern. Ich würde mir aber wünschen, dass die Veränderungen maßgeblich in den Unternehmen stattfinden. Es ist viel zu wenig verinnerlicht, dass Ausbildung ein Auftrag ist. Nicht nur ein fachlicher, sondern auch ein persönlicher. Wenn Unternehmen dies mit Engagement annehmen, auch selbst bereit sind, sich zu verändern, sichern sie sich in der Regel großartige Mitarbeitende, die ihren Weg mit Enthusiasmus gehen und ein absoluter Gewinn für die Unternehmen sind.
Die Hauptzielgruppen des Projekts Branchenzentriert qualifizieren – Zukunft sichern! sind Arbeitgeber, (potenzielle) Arbeitnehmende und Nachwuchskräfte sowie (potenzielle) junge Fachkräfte und Auszubildende, die aus einer Branche rekrutiert werden, die von besonderen Herausforderungen betroffenen ist.