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„Paps, darf ich mal deinen Rasierer zerlegen?“ Bloß nicht! „Aber dein Laptop aufschrauben und gucken, wie es da drin aussieht?“ Finger weg!
Kinder sind neugierig. Sie wollen wissen, wie die Technik hinter den Dingen funktioniert. Dran rumschrauben, selbst was bauen. Wenn Papa seinen Rasierer aber nicht hergibt, muss es etwas anderes geben, um die Lust an Technik am Leben zu halten. Oder sie auch ganz neu zu entdecken.

Bock auf Technik machen. Das ist die Devise der Karlsruher Technik-Initiative technika. Denn es gibt auch Kinder, die sich an Technik gar nicht erst rantrauen, sie total langweilig finden oder keinen Zugang haben. Mit Blick auf den Fachkräftemangel steht fest: Kids, die früh in IT und Technik gefördert werden, sind später im Berufsleben heiß begehrt.

Wie man Kinder für Technik begeistern kann und wie selbst Technikmuffel zu Tüftlern werden, darüber spricht Ariane Lindemann mit Dirk Fox, dem Gründer der technika.

Die technika ist dafür bekannt, dass sie selbst aus Technik-Muffeln begeisterte Tüftler macht. Wie müssen Themen aufbereitet sein, damit sich Kinder dafür begeistern?

Das Wichtigste ist der spielerische Zugang. Ein intrinsischer Zugang zum Lernen ist immer die beste Motivation. Wenn Kinder selbst wählen können, womit sie sich beschäftigen wollen und sie selbstgestellte Aufgaben oder Probleme lösen, macht es ihnen Spaß, etwas zu lernen.

Im Gegensatz zu den Schulen, wo lösungsoffene Aufgaben eher die Ausnahme sind? 

Ja leider. In der Schule werden Kinder so konditioniert, dass es zu jeder Aufgabe lediglich eine richtige Lösung gibt. Aber später im Leben gibt es ja selten falsche Lösungen, sondern nur bessere und schlechtere. Kein*e Ingenieur*in bekommt eine Aufgabe gestellt, von der er oder sie die Lösung bereits kennt. Die Kinder lernen in der Regel, Lösungen für Probleme zu finden, die sie gar nicht haben.

Das ist in bestimmten Fächern sicher unvermeidbar …

Absolut. Nichts gegen eine gute Allgemeinbildung. Aber auf Dauer ist es natürlich ein frustrierendes Erlebnis, wenn alles, was man lernt, keinen Anwendungszusammenhang mit dem eigenen Leben hat. Wenn Kinder selbstgestellte Aufgaben bekommen, versuchen sie diese zu lösen. Wenn sie merken, dass sie nicht weiterkommen, suchen sie nach Verbesserungen. Und genau das ist der Schlüssel: die Kinder in einen Flow zu bringen, dass sie Begeisterung und eigene Selbstwirksamkeit erleben und ihre Problemlösung so entfalten und daran tüfteln, bis sie immer besser wird.

Ab wann kann man Kinder überhaupt mit Technik in Berührung bringen?

In der zweiten Grundschulklasse mit einem Technikangebot zu starten, ist sicherlich sinnvoll. In der ersten Klasse müssen die Kinder erst mal in ihrem neuen Umfeld ankommen. Wir fangen in vielen unserer Technik-AGs bereits in der dritten Klasse mit kleineren Programmierungen an.

Das ist sehr früh …

Ja, aber oft ist es so, dass, wenn sich ein paar wenige Kinder für das Programmieren begeistern, gruppendynamische Prozesse greifen, die dazu führen, dass auch andere auf den Zug mit aufspringen und ebenfalls experimentieren. Hier haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.

Kommt IT und Technik an den Schulen zu kurz?

Definitiv. Die Schulen bilden sogar weniger aus als noch in den 70er und 80er Jahren. Damals gab es in den Grundschulen noch Werkunterricht. Jungs – und auch Mädchen – bekamen damit einen ganz natürlichen Zugang zu Technik. Da im privaten Bereich das Interesse für Technik eher abnimmt, weil wir eher wegwerfen, anstatt zu reparieren, hat der Zugang zu Technik auch in den Familien abgenommen. Und die Schulen kompensieren das leider nicht.

Dazu kommt, dass die Grundschulen fast ausschließlich Lehrerinnen haben.

Da es keine Angebote gibt, gibt es natürlich auch keine Notwendigkeit für eine Grundschullehrerin, sich hier aus- oder fortzubilden. Was allerdings bedeutet, dass Role-Models für Mädchen und Jungen hier meist völlig fehlen.

Auch die weiterführenden Schulen haben viel zu spät gezündet …

In den weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg gibt es das Fach NWT (Informatik, Naturwissenschaft, Technik) ab der achten Klasse. Da sind die Kinder bereits 13 Jahre alt. Das ist natürlich ein Witz. Im Zeitalter der Digitalisierung ist das so, als würde man erst in der achten Klasse Musik und Sport einführen. Dass wir uns das beim Fach Technik erlauben, ist angesichts der ständig wachsenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung von Technik und IT unfassbar und von großem Nachteil für unsere Kinder – und ganz Deutschland.

Sie haben 2015 die technika | Karlsruher Technik-Initiative gegründet, die Schulen bei der Einrichtung von Technik- und Robotik-AGs unterstützt. Aus welchem Impuls heraus?

Ich fand die Tatsache sehr ernüchternd, dass die Bedeutung der Themen Technik und IT gesellschaftlich vollkommen unterschätzt wird. Das habe ich bereits bei meinen drei Söhnen festgestellt. Die Schulen haben in dieser Hinsicht fast nichts anzubieten.

Heute, acht Jahre später, ist die Lage ähnlich düster?

Leider ja. Ich denke, sie hat sich sogar noch verschlimmert. In fast allen Bereichen spricht man vom Fachkräftemangel. Aber ich frage mich, welche Fachkräfte unseren Wohlstand eigentlich finanzieren? Wir verdienen 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland durch den Export von Gütern – überwiegend aus der Automobilindustrie und dem Maschinenbau. Davon lebt dieses ganze Land. Inzwischen sind mehr als 33 Prozent aller Arbeitsplätze MINT-Arbeitsplätze. Das bedeutet, dass jeder dritte Schulabgänger und jede dritte Schulabgängerin später an einem MINT-Arbeitsplatz arbeiten wird. Und MINT besteht zu rund 95 Prozent aus Technik und Informatik. Die Schule bereitet nicht darauf vor, wovon ein Großteil der Kinder später lebt. Das ist absurd.

Aber es gibt ja auch Lichtblicke. Mit den fischertechnik AGs der Karlsruher Technik-Initiative wird genau diese Lücke geschlossen …

In den fischertechnik-AGs unterstützen wir Schulen bei der Einrichtung von Technik- und Robotik-AGs. Wir haben mittlerweile in der Region mehr als 130 Schulen mit fischertechnik-Baukästen ausgestattet und fördern damit auf spielerische Weise Technik- und IT-Kenntnisse von Schülerinnen und Schülern. Das Kursangebot beginnt in der dritten Grundschulklasse und baut systematisch und nachhaltig aufeinander auf.

In den MINT-Berufen liegt der Frauenanteil bei 13,8%. Immer noch ein trauriges Bild. Wie sieht es mit der Mädchenquote in den AGs aus?

In den Grundschulen bekommen wir einen extrem guten Zugang zu Mädchen. In diesem Alter spielt das Geschlecht noch keine große Rolle, die Mädchen lassen sich ganz vorbehaltlos auf solche Themen ein. Einige Schulleitungen fördern die AGs mit einer Quotenregelung. Dadurch ist auch die Teilnahmequote von Mädchen bei den fischertechnik und Technik AGs in weiterführenden Schulen deutlich größer geworden.

Nimmt das Interesse in der Pubertät ab?

Durchaus. Bei den Mädchen ist das, bedingt durch Herdeneffekte, noch stärker ausgeprägt. Wenn eine oder mehrere aus der Mädchengruppe keine Lust mehr haben, ziehen die anderen nach. Das haben wir versucht, durch unsere Mädchen-AGs, die wir jetzt an einigen Schulen anbieten, etwas abzufangen. Damit die Mädchen – ohne Jungs – unter sich sein können, was in diesem Alter oft einen unbefangeneren Umgang mit Technik bewirkt.

Die technikaLabs der Initiative techniKAmpus sind eine Weiterentwicklung des bisherigen Angebots. Sie bieten außerschulische MINT-Angebote in Jugendhäusern und bei Ferienangeboten des Stadtjugendausschuss. Was war hier die Intention?

Ein großer Vorteil der AGs in den Schulen ist die niedrige Einstiegshürde. Die Kinder sind sowieso in der Schule, haben vielleicht nachmittags Unterricht und bleiben dann noch da und gehen in eine AG. Was sich zunächst als Vorteil erweist, kann in der Pubertät allerdings ein Nachteil sein. Dann kann so eine AG auf einmal uninteressant werden. Dieser Dynamik versuchen wir ein bisschen gegenzusteuern, indem wir auch außerschulische Angebote in den Jugendtreffs machen. Die Jugendtreffs sind nicht schulbezogen, sondern ortsbezogen zusammengestellt und gerade bei den weiterführenden Schulen haben wir oft die Situation, dass sich plötzlich andere Freundeskreise bilden, weil nicht mehr alle Kinder in der Nähe der Schule wohnen.

Was erwartet die Kids in den technikaLabs?

Hier bieten wir die gleichen Angebote wie in den fischertechnik-AGs an. In den technikaLabs haben wir allerdings durch den Stadtjugendausschuss als führenden Anbieter von Ferienprogrammen für Kinder in Karlsruhe einen professionellen Partner, der eine perfekte Organisation bietet und die soziale Begleitung der Kinder übernimmt.

Darüber hinaus ermöglicht uns die Partnerschaft mit dem Institut für Produktentwicklung (IPEK) am KIT junge Technik-Talente noch gezielter zu fördern. Das heißt, wir können Kindern, die einen Schritt über das spielerische Lernen hinausgehen und an Wettbewerben teilnehmen wollen, vertieftes Wissen bieten und sie professionell betreuen.

Wie sieht diese Talentförderung konkret aus?

Zum einen erweitern wir die Ausstattung mit fischertechnik um 3D-Druck, Laser-Cutting und Sensoren. Das heißt, die Kinder können 3D-Entwürfe machen, schneiden und damit semiprofessionelle Prototypen bauen. Damit wollen wir vor allen Dingen Gruppen unterstützen, die zum Beispiel schulübergreifend experimentieren oder bei Jugend forscht oder bei Robotik-Wettbewerben weltweit teilnehmen.

Wer leitet die Kinder in den Jugendhäusern an?

Das ist ganz unterschiedlich und hängt davon ab, wen wir in der Region gewinnen können. Zu einem großen Teil übernehmen das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtjugendausschusses. Dort gibt es durchaus einige, die technisch affin sind. In den Ferienangeboten haben wir selbst zahlreiche ehrenamtliche Partner*innen. Zum Beispiel technikaffine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Karlsruher Unternehmen, Azubis, die ein Azubi-Projekt daraus machen oder Studentinnen und Studenten.

Dirk Fox

geboren 1965 in Koblenz, studierte Informatik am KIT und ist seit 2008 Vorstand im CyberForum. Er ist Buchautor und Herausgeber mehrerer Fachzeitschriften (u.a. ftpedia). Seit über 30 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Datenschutz und IT-Sicherheit. Sein Unternehmen secorvo security consulting GmbH zählt zu den führenden Beratungshäusern für IT-Sicherheit und Datenschutz in Deutschland. Für seine Verdienste wurde Dirk Fox mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Über das Projekt techniKAmpus

Im Projekt techniKAmpus entwickelt die technika | Karlsruher Technik-Initiative nachhaltige außerschulische MINT-Angebote für Kinder und Jugendliche an Standorten der offenen Kinder und Jugendarbeit und bei Ferienangeboten des Stadtjugendausschuss e.V. Projektpartner sind der CyberForum e.V., der Stadtjugendausschuss e.V. (stja) und das Institut für Produktentwicklung (IPEK) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt im Rahmen der Richtlinie „Regionale Cluster für MINT-Bildung für Jugendliche“.

Über technika | Karlsruher Technik-Initiative

Die technika | Karlsruher Technik-Initiative ist ein vom CyberForum initiiertes Projekt, das junge Menschen (3. – 12. Klasse) für Technik begeistert. Als Deutschlands größte regionale MINT-Initiative erreicht die technika wöchentlich mehr als 2.000 Kinder und Jugendliche in inzwischen über 130 Schulen und Institutionen. Die technika unterstützt bei der Einrichtung von Robotik- und Technik-AGs, vermittelt Sponsoren, richtet Veranstaltungen aus und koordiniert MINT-Ferienprogramme. Mit Unternehmensbesuchen, Ferienangeboten, Robotik-Wettbewerben und Multiplikatoren-Schulungen sowie spezifischen Angeboten für Mädchen erweitert die technika kontinuierlich das Angebot. Das CyberForum arbeitet dabei mit den Hochschulen der Region zusammen und wird von zahlreichen Stiftungen und Initiativen, wie zum Beispiel karlsruhe.digital, ideell und finanziell gefördert.

Mehr Informationen zur Karlsruher Technik-Initiative: https://karlsruher-technik-initiative.de/