Lesedauer ca. 4 Minuten

Die Sharing Economy hat in den vergangen Jahren viele neue Geschäftsmodelle hervorgebracht – und dennoch nutzt die „Collaborative Economy“ noch lange nicht ihr volles Potenzial. Ein Kommentar.

Wer wissen möchte, welche Bedeutung der Sharing Economy im Jahr 2018 zukommt, muss einfach nur einen Blick in die Suchergebnisse zu diesem Begriff bei Google News werfen: „Value of Japan’s ‘sharing economy’ estimated at over ¥500 billion in 2016“, „Sydney father-of-four reveals how he’s making a lucrative living through the sharing economy“, „How the sharing economy is helping China’s retired soldiers“, „Wie Versicherer die Sharing Economy nutzen können“, „11 Beispiele: So kannst du in Zürich Sharing Economy leben“. Das war jetzt nur ein kleiner Auszug aus den Meldungen, die man derzeit zur Sharing Economy findet. Sie machen allerdings deutlich, dass das Prinzip „Teilen statt Besitzen“ die Welt, in der wir leben, verändert.

Der Leitgedanke ist schnell erklärt: Beim Sharing geht es darum, bislang ungenutzte Ressourcen effizienter zu nutzen. Gemeinsam mit anderen. Aus diesem Grund wird für diese „Wirtschaft des Teilens“ im englischsprachigen Raum auch gerne der Begriff „Collaborative Consumption“ verwendet. Am deutlichsten wird das Prinzip beim Carsharing: Durchschnittlich 23 Stunden am Tag steht ein privates Auto still – und beansprucht Stellflächen, von denen es vor allem in Großstädten ohnehin nicht mehr viele gibt. Nutzen jedoch zehn Personen ein und dasselbe Auto, sind weniger Parkplätze notwendig und die Kosten-Nutzen-Rechnung für das jeweilige Fahrzeug wird ebenfalls besser.

Dieses Prinzip lässt sich analog auf alle möglichen Bereiche übertragen: Wohnungen, Fahrräder, Luxusuhren und selbst Werkzeuge. Täglich kommen neue Geschäftsfelder dazu – und dennoch gibt es bei der Sharing Economy noch viel Luft nach oben, wie unter anderem zehn Jahre Airbnb zeigen.

Was darf die Sharing Economy?

Im August 2018 wird Airbnb zehn Jahre alt. Gegründet 2008 im Silicon Valley als Marktplatz für die Buchung und Vermittlung von Unterkünften, schickte sich das Unternehmen an, die Reisebranche auf den Kopf zu stellen. Die ursprüngliche Idee war recht simpel: Wer eine Unterkunft (Zimmer, Wohnung, Haus) besitzt, die etwa aufgrund längerer Abwesenheiten häufig leer steht, kann diese bei Airbnb einstellen und vermieten. Die Plattform übernimmt dabei lediglich die Rolle des Vermittlers zwischen Gastgeber und Gast. Im Ergebnis wird der zur Verfügung stehende Wohnraum effizienter genutzt, der Gastgeber verdient sich ein paar Euro dazu und der Gast bekommt eine günstige Unterkunft. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten – zumindest in der Theorie.

In der Praxis jedoch manifestieren sich am Beispiel Airbnb alle Probleme, die die Sharing Economy in den vergangenen Jahren hervorgebracht und bislang noch nicht gelöst hat: Während anfangs das Teilen von temporär ungenutztem Wohnraum im Vordergrund stand, ging es bereits kurze Zeit später nur noch um Profitmaximierung. Vor allem in Großstädten wurden Wohnungen in gefragten Bezirken plötzlich dauerhaft bei Airbnb angeboten, da die Einnahmen bei regelmäßigen Kurzzeitvermietungen freilich höher sind, als bei einem regulären Mietverhältnis. Dadurch wurden wiederum angestammte Mieter aus ihren Wohnungen verdrängt und die ohnehin schon angespannte Lage am Wohnungsmarkt spitzte sich weiter zu. Die Städte reagierten mit Verboten und Bußgeldern. Jüngst rügte sogar die EU-Kommission die Geschäftspraktiken von Airbnb. Bis heute fehlt es an klaren Regeln.

Und dann wäre da noch das Verhältnis zwischen Airbnb-Anbietern und der Hotellerie. Während für Hotels zahlreiche Auflagen gelten, werden Airbnb-Wohnungen häufig nicht einmal als solche deklariert. Dadurch werden in vielen Fällen weder Umsatzsteuer noch Ortstaxen fällig und selbst große Wohnungen können somit für vergleichsweise wenig Geld angemietet werden. Diese Ungleichbehandlung mahnen Branchenverbände seit Jahren an. Dem Staat entgehen durch diese Praxis unterdessen Steuereinnahmen in Millionenhöhe. Weitere Reizthemen sind der fragwürdige Datenschutz von Airbnb sowie eine Vielzahl von Betrugsfällen.

Das Beispiel Airbnb ist dabei nur eines von vielen. Wirft man etwa einen Blick auf Uber, findet man zahlreiche Parallelen: Immer mehr Uber-Fahrer nutzen ihre privaten Fahrzeuge nicht nur nebenbei, sondern hauptberuflich um Leute zu chauffieren. Damit machen sie Taxifahrern Konkurrenz – ohne dabei den Beförderungsregeln unterworfen zu sein oder gar einen Nachweis über ihre Eignung erbringen zu müssen. Das Resultat: Unmut und offene Fragen auf allen Seiten.

Aber was sagen die Plattformen selbst zu all diesen Problemen?

Disruption ja, aber nicht um jeden Preis

Das Zauberwort in diesem Kontext heißt „Disruption“. Es beschreibt einen Prozess, bei dem bestehende Geschäftsmodelle durch stark wachsende Innovationen abgelöst werden. Das klingt gut – und lässt sich noch besser vermarkten. Genau das haben Unternehmen wie Airbnb und Uber in den vergangenen Jahren auch getan: Ihre Idee durch ein geschicktes Marketing verbreitet und auf neue Märkte ausgeweitet – ohne Rücksicht auf regionale Besonderheiten und Regeln. Sobald Kritik aufkam, wurde diese als „Widerstand der alten, nicht mehr zeitgemäßen Unternehmen“ abgetan. Nicht Uber und Airbnb müssen sich den geltenden Vorschriften und Gesetzen anpassen, sondern umgekehrt. So funktioniert das in der Praxis aber leider nicht, wie die zahlreichen Gerichtsverfahren, Streiks und sogar offenen Anfeindungen gegen die Plattformen und ihre Mitglieder gezeigt haben.

Neue Geschäftsmodelle, die bestehende Strukturen aufbrechen, sind wichtig. Sie dürfen aber nicht über alles hinwegfegen, was ihnen (scheinbar) im Weg steht. Die Sharing Economy hat das Potenzial, unsere Gesellschaft nachhaltig zu verändern, ja sogar zu verbessern. Derzeit liegt der Fokus der beteiligten Unternehmen aber noch zu sehr auf der „Disruption“. Ohne Rücksicht auf Verluste. Hier muss ein Umdenken stattfinden, denn ohne gewisse (staatliche oder selbst auferlegte) Rahmenbedingungen bringen die neuen Geschäftsmodelle am Ende mehr Schaden als Nutzen.