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Unfall, extreme Wetterbedingungen, Streiks oder Großevents – wenn’s mal wieder klemmt im Stadtverkehr, stehen die Disponent:innen in den Leitstellen der Verkehrsbetriebe vor einer echten Mammutaufgabe. Schnelles Handeln ist gefragt, um das Chaos zu bewältigen und den öffentlichen Nahverkehr auf Kurs zu halten. Doch wie kann Künstliche Intelligenz dabei helfen, diese Stresssituationen zu entschärfen und den Disponent:innen in den Leitstellen wertvolle Unterstützung zu bieten?

Unter dem Dach des Kompetenzzentrums KARL wird genau daran getüftelt. Die Mission: Durch KI-gestützte Systeme die Effizienz und Reaktionsfähigkeit im öffentlichen Nahverkehr zu steigern. Hierbei geht es nicht nur um technische Lösungen, sondern auch um die menschliche Komponente – darum, wie KI und menschliche Entscheidungsträger:innen Hand in Hand arbeiten können, um den Verkehr in den Städten reibungsloser zu gestalten.

Ariane Lindemann im Gespräch mit Dr. Jochen Wendel, R&D Manager bei der INIT Group und Projektleiter in KARL.

Wie kann Künstliche Intelligenz die Arbeit von Disponent:innen im ÖPNV in Stresssituationen entlasten?

Das Ziel des Projekts ist es, ein KI-Modell zu entwickeln, das Disponent:innen in den Leitstellen unterstützt. Wir wollen eine intelligente Lösung entwickeln, die es den Betreibern ermöglicht, schnell und effektiv auf Ereignisse wie Unfälle, Baustellen, Wetterbedingungen oder Großveranstaltungen zu reagieren, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Durch die Analyse historischer Daten und die Anwendung von KI-Algorithmen werden spezifische Handlungsempfehlungen für die Disponent:innen generiert. Diese Empfehlungen reichen von der Umleitung von Fahrzeugen über die Anpassung von Fahrplänen bis hin zur Fahrgastinformation über verschiedene Kanäle wie zum Beispiel Fahrgastanzeiger oder Apps. Diese Empfehlungen werden in Echtzeit bereitgestellt und können direkt in die Leitstellensoftware integriert werden. Dadurch werden die Disponent:innen entlastet und sie können fundierte Entscheidungen treffen.

Welche Rolle spielen Echtzeitdaten für die Arbeit des KI-Modells?

Echtzeitdaten sind entscheidend für die Leistungsfähigkeit des KI-Modells. Durch die kontinuierliche Überwachung von Daten wie Verkehrsaufkommen, Wetterbedingungen und Betriebsstörungen kann das Modell schnell reagieren und präzise Empfehlungen geben. Die Integration von Echtzeitdaten ermöglicht eine dynamische Anpassung an sich ändernde Bedingungen im öffentlichen Nahverkehr.

Wie wird sichergestellt, dass das KI-Modell zuverlässig und benutzerfreundlich ist?

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass das KI-Modell zuverlässige Ergebnisse liefert und den Disponent:innen das Gefühl vermittelt, nicht ersetzt zu werden. Transparenz spielt dabei eine große Rolle, da die Disponent:innen verstehen müssen, wie das Modell Entscheidungen trifft und welche Daten dabei berücksichtigt werden. Zudem müssen die Ergebnisse des KI-Modells übersichtlich dargestellt werden, um eine einfache Nutzung zu gewährleisten.

Welche Herausforderungen gab es bei der Nutzung von Daten für das KI-Modell?

Eine große Hürde war die Aufbereitung und Anonymisierung der Daten, da diese in unterschiedlichen Formaten vorlagen und sensible Informationen enthielten. Der Zugang zu den Daten, insbesondere zu personenbezogenen Daten, erwies sich als besonders schwierig. Gründliche Vorarbeiten waren notwendig, um die Daten nutzbar zu machen. Es musste sichergestellt werden, dass die historischen Daten aus dem Intermodal Transport Control System, also der Leitstellensoftware aufbereitet und um weitere relevante Informationen ergänzt wurden. Zudem war es wichtig, die Anwendbarkeit und Benutzerfreundlichkeit des Systems sicherzustellen, indem wir die Disponent:innen aktiv in den Entwicklungsprozess einbezogen haben.

Wie reagieren die Disponent:innen auf die Einführung von Assistenzsystemen?

Die Akzeptanz ist generell hoch, da Assistenzsysteme die Arbeit erleichtern und insbesondere neuen Mitarbeitenden helfen, sich schneller einzuarbeiten. Es ist wichtig, zu betonen, dass das KI-Modell als Unterstützung für die Disponent:innen dient und sie nicht ersetzt – und dass die Entscheidungsbefugnis beim Menschen bleibt.

Wie sieht die Zukunft des Projekts aus?

Obwohl das Projekt noch Forschungscharakter hat, streben wir an, die entwickelten Lösungen in zukünftige Produkte zu integrieren. Die Herausforderungen liegen sowohl in der technischen Umsetzung als auch im Design von benutzerfreundlichen Tools, die die Disponent:innen effektiv unterstützen. Wir sind zuversichtlich, dass die in KARL entwickelten Lösungen in Zukunft in die Praxis umgesetzt werden können und den öffentlichen Nahverkehr nachhaltig verbessern werden. Das KARL-Projekt hat außerdem das Potenzial, den drohenden Fachkräftemangel im ÖPNV abzumildern, weil neues Personal schneller einsatzfähig wird.

Inwiefern könnte das Projekt auch international relevant sein?

KARL hat bereits internationale Aufmerksamkeit erregt. Insbesondere in Nordamerika, wo das Thema der Automatisierung im öffentlichen Nahverkehr ebenfalls von Interesse ist. Die Methoden und Lösungen, die in KARL entwickelt werden, könnten auch in anderen Ländern mit ähnlichen Herausforderungen wie Wetterereignissen oder Verkehrsstörungen von Nutzen sein.

Wie werden Datenschutz und Privatsphäre bei der Nutzung von Daten für das KI-Modell berücksichtigt?

Datenschutz und Privatsphäre haben oberste Priorität bei der Nutzung von Daten für das KI-Modell. Alle personenbezogenen Daten werden streng anonymisiert und ausschließlich für die Entwicklung des Modells verwendet. Es werden strenge Sicherheitsmaßnahmen implementiert, um Zugang auf sensible Daten zu kontrollieren und zu überwachen.

Welche Auswirkungen hat das KI-Modell auf die Effizienz des ÖPNV?

Das KI-Modell trägt wesentlich zur Effizienz des öffentlichen Nahverkehrs bei, indem es Disponent:innen bei der schnellen Identifizierung und Bewältigung von Betriebsstörungen unterstützt. Durch die automatische Analyse von Daten und die Bereitstellung relevanter Informationen kann das Modell dazu beitragen, Ausfälle zu minimieren und die Zuverlässigkeit des öffentlichen Nahverkehrs zu erhöhen.

Wie werden die Bedürfnisse der Fahrgäste bei der Entwicklung des KI-Modells berücksichtigt?

Bei der Entwicklung des KI-Modells stehen die Bedürfnisse der Fahrgäste im Mittelpunkt. Durch die Optimierung des ÖPNV sollen die Fahrten zuverlässiger, komfortabler und pünktlicher werden. Das Feedback der Fahrgäste wird aktiv gesammelt und fließt in die Weiterentwicklung des Modells ein, um sicherzustellen, dass es den Anforderungen und Erwartungen der Nutzer entspricht.

Über KARL

Ziel von KARL ist es, KI-unterstützte Arbeits- und Lernsysteme menschzentriert, transparent und lernförderlich zu gestalten und in konkreten Praxisanwendungen demonstrierbar zu machen. Das Projekt richtet sich an Unternehmen, Beschäftigte und Interessierte in der Region Karlsruhe, die KI-unterstützte Arbeits- und Lernsysteme einsetzen, sich damit auseinandersetzen oder diese besser verstehen wollen. KARL ist eines von derzeit 13 regionalen Kompetenzzentren, die sich mit den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Lern- und Arbeitswelt beschäftigen.

Das CyberForum ist Teil des Projektkonsortiums und hauptsächlich mit der Öffentlichkeitsarbeit, dem Community-Management sowie dem Nachhaltigkeitskonzept betraut. Konsortialführer ist die Hochschule Karlsruhe. Projektpartner sind neben sieben Forschungs- bzw. Transferpartnern auch zehn regionale Unternehmen.