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Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Spätestens seit ChatGPT sind Traumschlösser Realität geworden und der Druck auf die Unternehmen nimmt weiter zu. Man braucht keine Umfrageergebnisse abzuwarten, um zu erraten, dass ein Großteil der deutschen Unternehmen sich mit der Anwendung von KI in der Business-Welt beschäftigt. Doch gibt es einiges, was es den Unternehmen schwer macht, ihre Vorstellungen zu konkretisieren.

Das ABC der KI: Und warum Grundlagenwissen entscheidend ist

Definieren der KI: Technologien, die denken wie wir?

Künstliche Intelligenz (KI) repräsentiert eine Sammlung von Technologien, die darauf abzielen, Aspekte menschlichen Denkens zu simulieren. Ein spezifischer Bereich liegt in hochentwickelten Sprachmodellen (Large Language Model, LLM). Eines davon kennen ziemlich viele Menschen: ChatGPT. Es generiert Text, der menschliche Sprache erstaunlich gut imitiert – versteht aber den Sinn der Worte nicht. Vereinfacht gesagt erhalten Nutzer:innen immer nur die am wahrscheinlichsten richtige Antwort, basierend auf den Daten, die zum Training des LLM benutzt wurden. Mehr dazu später.

Warum ist diese Unterscheidung essentiell?

In der Geschäftswelt ist ein fundiertes Wissen über die Funktionsweise von KI unverzichtbar, denn nur wer deren Möglichkeiten und Grenzen kennt, kann sie gezielt einsetzen und neue Wettbewerbsvorteile schaffen. Natürlich kann es Schwierigkeiten geben in Bezug auf Schnittstellenkompatibilität mit Altsystemen oder Skalierbarkeit, und vor allem steht der Rechtsrahmen zur Regulierung von künstlicher Intelligenz (KI) in der Europäischen Union (der AI-Act) noch aus. Alles wichtige Punkte. Aber in diesem Text ist der Fokus auf eine andere, weitverbreitete Schwierigkeit gelegt: Mangelndes Verständnis von KI-Grundlagen und den eigenen Arbeitsprozessen im Unternehmen. Dies führt häufig zu unzureichender Vorstellungskraft und Umsetzungsfähigkeit für den praktischen Einsatz von KI.

Die doppelte Schwierigkeit: Herausforderungen von Theorie und Praxis in der KI

Viele Unternehmen spüren den Druck, neuste automatisierte Technologie einzuführen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch ohne ein grundlegendes Verständnis und ohne eine klare Anwendungsstrategie machen solche Einführungen mehr Probleme als sie welche lösen. Viele theoretisch gute Produkte von Anbietern und großartige Ideen vom Management scheitern an der praktischen Umsetzung. Ja, hier kann Unwissenheit teuer werden und Projekte verlangsamen oder sogar komplett scheitern lassen. Worte, bei denen Leadern und Planning-Spezialist:innen die Haare zu Berge stehen: verteuert, verlangsamt, gescheitert. Aber keine Angst. Technologie kann natürlich helfen, Prozesse effizienter zu gestalten – aber nicht ohne eine klare Analyse und ein Verständnis dafür, wo künstliche Intelligenz an bestehende Prozesse andocken kann. Erst die Symbiose von Prozesswelt und Technologiewelt lässt den Traum Wirklichkeit werden. Was kann man also tun?

  • Es lohnt sich also, die eigenen Prozesse (intern und extern) mit deren verschiedenen Systemumgebungen zu visualisieren und gründlich zu analysieren.
  • Und vor allem Schulungen, die das Grundverständnis von KI stärken, helfen dabei ungemein. Entgegen der landläufigen Meinung ist ein grundlegendes Verständnis der KI-Theorie weit weniger kompliziert als gedacht. Man braucht weder einen Doktortitel in Informationstechnologie, noch muss man eine Programmiersprache beherrschen.

Grenzen und Potenziale von Sprachmodellen

Praxischeck der LLMs: Einsatzgebiete und reale Grenzen

ChatGPT und ähnliche LLMs liefern datenbasierte Antworten, die oft erstaunlich detailliert und beeindruckend sind. Das Sprachmodell besteht aus den statistischen Mustern und Informationen, die bis zur letzten Trainingssitzung aufgezeichnet wurden. Die KI analysiert den Input und zerlegt ihn in einzelne Wörter und Wortteile. Anhand von Sprachmodellen, die sie aus riesigen Textdatenbanken gelernt hat, berechnet sie dann, welche Wörter und Wortfolgen am ehesten passen, um auf dieser Grundlage eine Antwort zu generieren. Hinter den beeindruckenden Antworten steckt nicht eine Art „menschlicher“ Intelligenz, sondern vereinfacht gesagt sehr komplexe Statistik. Dass die Basis nur Wahrscheinlichkeiten sind, übersteigt natürlich unsere menschliche Vorstellungskraft. Auch wenn Deep Learning etwas mehr als einfache Statistik ist und natürlich gewisse Fähigkeiten wie Musterextraktion und Generalisierung besitzt, fehlen diesen Systemen immer noch viele Kernaspekte menschlicher Intelligenz. Dazu gehören neben der Intuition auch andere menschliche Fähigkeiten wie das Bewusstsein, die menschliche Kreativität, die zwischenmenschliche Kompetenz und das ethische Urteilsvermögen, um nur einige zu nennen. Kann man es überhaupt „Intelligenz“ nennen, wenn Fähigkeiten wie „implizites Wissen“ und unbewusstes „Bauchgefühl“ fehlen? Das kann jeder für sich selbst entscheiden. Eins ist sicher: Viele Missverständnisse entstehen allein schon aus der Bezeichnung „Künstliche Intelligenz“.

Die Grenzen von LLMs zu verstehen, ist entscheidend, um ihre Stärken optimal zu nutzen und ihre Schwächen auszugleichen. Es kann gefährlich sein, allgemein erlernte Fähigkeiten ungefiltert und ungetestet auf konkrete, spezifische und einzigartige Kundenkommunikation anzuwenden. Schließlich wollen die Kunden eine Lösung für ein konkretes Problem. Wenn ChatGPT nicht für genau diesen konkreten Kundenfall geschult wurde, kann die allgemeine Erfahrung bei der Lösung spezifischer Fälle schwer helfen. Automatisierung sollte diese Lösungsorientierung immer im Fokus behalten. Hier ein konkretes Beispiel:

 KI in Aktion: Ein Fallbeispiel aus dem Kundenkontakt

Der Kundenkontakt

Situation: Die Ware wird sowohl im Firmensystem als auch im Kundenportal seit einer Woche als versandt angezeigt, befindet sich jedoch laut Versandunternehmen noch beim Hersteller. Eine unvollständige Teillieferung kam zwar schon an, aber aufgrund des fehlenden Hauptteils und eines Maschinenstillstandes erwägt die Kundin eine alternative Bestellung. Sie fragt, ob es Sinn macht, die Teile selbst per Kurier abzuholen.

Die Problematik

Dieser komplexe und emotionsgeladene Fall ist nicht für eine automatische Antwort geeignet. Allgemeine Hinweise oder Angaben von Kontaktadressen sind nicht ausreichend. Es ist frustrierend, nach dem mühsamen Eintippen des Problems von einer Stelle zur anderen geschickt zu werden. Wenn eine Lieferung dringend erwartet wird und alle Beteiligten bereits nach einer Lösung suchen, sollten Kunden nicht allein auf den Self-Service verwiesen werden. Eine oberflächliche Vereinfachung der Prozesse darf die Servicequalität nicht beeinträchtigen. Komplexe Fälle, die menschliches Einfühlungsvermögen erfordern, lassen sich noch nicht durch Software ersetzen. Am Ende landet der Fall doch wieder bei den Angestellten. Nur mit dem Unterschied, dass die Nerven der Kund:innen jetzt schon entsprechend strapaziert sind. Aber wo macht der Einsatz von einem LLM in der Arbeitswelt dann Sinn?

Was kann KI?

Halten wir eins fest: Für interne Mitarbeiter:innen ist nicht immer eine abschließende Lösung nötig, auch Vorschläge oder Teillösungen können schon helfen. KI kann als interner Assistent zum Beispiel vorgefertigte Antworttexte vorschlagen, massenhaft Texte übersetzen und an verschiedene Formate anpassen. Durch die Texterkennung kann nach Thema, Dringlichkeit oder Stimmung sortiert und priorisiert werden. Textteile können extrahiert werden, Qualitätskontrolle von Serviceantworten automatisiert durchgeführt werden, gesprochene Texte transkribiert werden und vieles mehr. Aber: Ein effektiver interner Einsatz von KI in Unternehmen erfordert selbst definierte, beobachtete Qualitätsanforderungen: Nur wenn diese erfüllt sind, sollte das Verfahren überhaupt eingesetzt werden. Also testen, klare Auswertungen fahren und den Mut haben, zu verwerfen, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden. Außerdem ist eine Schulung der Mitarbeiter:innen Pflicht, und insbesondere in der Anfangsphase gilt: Kreativität und Ausprobieren! Wer die Arbeit mit LLMs, insbesondere mit CustomGPTs, kennt, weiß, dass hier nicht verkopft eine Software programmiert wird, sondern der Lösungsweg der KI selbst überlassen wird. Das hat den Vorteil, dass vieles schnell ausprobiert werden kann und den Ideen freier Lauf gelassen werden kann. Schnell auf Ideen kommen, schnell die Schlechten verwerfen – die Besten mitnehmen. Aber kann KI nur intern helfen und ist der Kundenkontakt verboten?

Ist also Kundenkontakt mit KI verboten?

Nein, der direkte Kontakt zwischen Mensch und KI ist nicht prinzipiell verboten. Es gibt bereits wertvolle Verwendungszwecke. Weniger komplexe Aufgaben, zum Beispiel Antworten, die sonst in einem FAQ oder einem Help-Center beantwortet werden, können Kund:innen ohne langes Durchsuchen der Website in angenehmen Dialog beantwortet bekommen. Aber Transparenz ist Pflicht. Eine Aussage nach dem Motto „Diese Hilfe wird von der KI geleistet und ist als zusätzlicher Service zu unseren menschlichen Mitarbeitern für Sie da“ macht hier den Unterschied. Damit hilft man der Gesellschaft und lehrt sanft, mit KI im Service umzugehen. Langfristig wird natürlich auch direkter Kontakt zwischen Kund:innen immer normaler werden. Aber nur, wenn die Toleranz und das Verständnis der Menschen gegenüber der neuen Technologie wachsen. Und für diese Toleranz sorgt nicht irgendwer, sondern Unternehmen, die das Thema Customer-Experience beim Thema KI hochhalten.

Es gab Zeiten, als Fahrkartenautomaten an Bahnhöfen eine echte Neuerung darstellten. Diejenigen, die sie nutzen konnten, waren zufrieden, während die anderen weiterhin die Option „Schalter“ hatten. Und schon bald haben die Bahnschalter an Bedeutung verloren und nahezu jeder konnte die Automaten bedienen. Der Vorteil, jederzeit ohne Wartezeit Fahrkarten kaufen zu können, überwog die gelegentlichen Probleme mit den Automaten. So wandelt sich die Welt. Bald werden wahrscheinlich alle Tickets nur noch über eine App gekauft und die Automaten werden überflüssig werden. Die Frage ist also, wie behutsam der Übergang gestaltet wird. Werden die Probleme gelöst und bleibt der alte Service als Option bestehen? Schauen wir uns jetzt an, wie wir den Einsatz von KI in unsere Geschäftsprozesse bestmöglich vorbereiten können.

Zukunft gestalten: KI-Strategien für Unternehmen

Was braucht man für die Zukunft:

Um es klar zu sagen: Der erfolgreiche Einsatz von KI erfordert mehr als nur fundiertes IT-Fachwissen einzelner Expert:innen. Wir brauchen ein grundsätzliches und breiteres Verständnis. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die Arbeit der Beschäftigten unterstützt und verbessert werden muss, anstatt sie als Kostensenkungsmaßnahme zu sehen. Es sollte sich eine höhere Qualität der Dienstleistungen klar am Kunden orientieren und nicht am Geldbeutel.

Und zweitens ist ein grundlegendes Verständnis der eigenen Prozesse unerlässlich. KI wird bald integraler Bestandteil vieler Softwarelösungen. In Systemen wie ERP (Enterprise Resource Planning), CRM (Customer Relationship Management) und verschiedenen SaaS-Lösungen (Software as a Service) wird KI integriert sein. Diese Systeme verfügen über große Mengen an strukturierten Daten, die auch eine ideale Grundlage für das „Supervised Learning“ bieten. In der „DNA der Softwarelösungen“ werden die Möglichkeiten auf die spezifischen Anforderungen des Unternehmens zugeschnitten. Aber das Kennen der eigenen Prozesse bleibt dann immer noch Pflicht.

Last but not least: Ein bisschen Experimentieren kann nicht schaden. Experimentieren? Richtig: Experimentieren. Es handelt sich bei KI um ein komplexes Unterfangen, das nicht an einem Tag in Angriff genommen werden kann. Wir haben viele Stakeholder, viele Abhängigkeiten und stetige Änderungen. Wir sollten uns verpflichten, schon ein bisschen im KI-Sandkasten zu spielen. Warum nicht proaktiv ein Pilotprojekt starten?

Warum nicht ein kleines Pilotprojekt?

  • Kleines, interdisziplinäres Projektteam mit interessierten Mitarbeiter:innen erstellen
  • KI-Grundlagen schulen – Angestellte und Führungskräfte fortbilden und spielerisch an das Thema heranführen
  • Prozesse und Systeme auf KI-Integrationspotenzial prüfen
  • Im kontrollierbaren, internen Rahmen testen und experimentieren
  • Qualitätsstandards definieren lernen – Kriterien für die Leistungsbewertung durchdenken und ausprobieren
  • Sicht der Nutzer:innen verstehen lernen (egal ob in der Firma oder bei den Kunden), im Kleinen von Anfang an Feedbackmechanismen einbauen, auch Skalierungsfähigkeit mitdenken
  • Interesse schaffen, Innovation fördern, Ideen sammeln

Unternehmen, die zu lange stillstehen, geraten ins Hintertreffen. Unternehmen, die kopflos rennen, können in einer Sackgasse landen. Unternehmen, die im kleinen Rahmen üben, um später schnell reagieren zu können, haben eine gute Ausgangsposition.

Wenn gesetzliche Klarheit herrscht, werden alle sprinten. Besser läuft man sich schon vorher warm. Der Wandel, den KI in der Arbeitswelt herbeiführt, ist unaufhaltsam. Die Zukunft gehört denjenigen, die KI als nützliches Werkzeug und nicht als Selbstzweck sehen. In den Unternehmen sind wir Meister der Planung und Vorhersage – und das ist auch gut so. Aber hier sollten wir einen neuen Muskel trainieren. Der Mut zum Experiment ist gefordert – aber die Mühe lohnt sich!