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Die Corona-Krise hat uns auf erschreckende Weise vor Augen geführt, wie rückständig das deutsche Bildungssystem im Bereich Digital Learning ist. Und daran wird sich vorerst auch nichts ändern. Ein Kommentar.

Als die Schulen in Deutschland im März 2020 geschlossen wurden, führte dies der breiten Öffentlichkeit erstmals vor Augen, dass die Kultusministerien der Länder das Thema Digital Learning vollständig verschlafen hatten. Selbst die banalsten Dinge, wie etwa dienstliche E-Mail-Adressen für die Lehrkräfte, waren nicht vorhanden. Mit Mühe und Not quälte man sich durch den ersten Lockdown. Aber nun gut, aus Fehlern lernt man.

Sollte man zumindest meinen. Umso entsetzter waren viele Eltern zu Beginn der Schulschließungen im Januar 2021, die offenbarten, dass sich nahezu nichts verändert hatte. Die Schulen, die mit digitalen Plattformen arbeiteten, konnten diese zum Teil nicht nutzen, weil die Server völlig überlastet waren. Andere Lehrkräfte blieben sich treu und verschickten die Arbeitsblätter einfach gleich per Post. Viele Schulleiter*innen machten auch überhaupt kein Geheimnis daraus, dass „man nicht auf einen zweiten Lockdown vorbereitet war“.

Die Probleme beginnen bereits in der Ausbildung

Um zu verstehen, warum sich Deutschlands Bildungssystem mit der Digitalisierung so schwer tut, muss man mit einem Blick auf die Ausbildung der Lehrkräfte an den Hochschulen beginnen. Dort lernen sie zwar alles über die Exegese komplexer literarischer Werke, höhere Mathematik oder das Lesen altenglischer Texte – aber nicht, wie man einen Computer bedient. „Digitales Lernen“ ist – wenn überhaupt – ein Wahlveranstaltung, die man ein Semester lang freiwillig belegt.

Danach kommen sie ins Referendariat – und werden von älteren Lehrkräften unter ihre Fittiche genommen, die ihr Leben lang nur mit Tafel, Kreide, Kopierer und Tageslichtprojektor gearbeitet haben. Smart Boards? Tablets? Es hat die vergangenen 50 Jahre ohne funktioniert, also wird es auch die nächsten 50 Jahre ohne funktionieren. Jeder Versuch, etwas am Status quo zu ändern, wird vom Kollegium kritisch beäugt.

Dabei gibt es durchaus junge wie alte Lehrkräfte, die sich – aus welchen Gründen auch immer – für Digital Learning begeistern können. Aber wenn sie sich damit dann unbezahlt in ihrer sowieso schon raren Freizeit befassen sollen und ihnen auch anderweitig keine Mittel zur Verfügung gestellt werden, dann lässt die Motivation früher oder später bei jedem nach.

Digitalisierung der Bildung: Föderalismus, Ausschreibungen und Datenschutz als Endgegner

Aber die Lehrkräfte – oder vielmehr deren Ausbildung und Prägung durch die Schulen – sind nur ein Teil des Problems. Über allem schwebt der Föderalismus. Dieser hat in bestimmten Bereichen seine Vorteile. In der Corona-Krise stellte sich die Souveränität der Länder mit Blick auf die Digitalisierung der Bildung allerdings schnell als Ursprung allen Übels heraus. Jedes Bundesland ging (und geht) beim Home Schooling seinen eigenen Weg. Eine Gemeinsamkeit gibt es aber dann doch: Keiner führt ans Ziel.

Exemplarisch sei an dieser Stelle die digitale Bildungsplattform „Ella“ erwähnt, auf die sich im Dezember 2015 die damalige grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg verständigt hatte. 1,3 Millionen Nutzer an öffentlichen Schulen sollten von der Lehr- und Lernplattform profitieren. Doch aus der Bildungs-Cloud wurde nichts. Kurz vor der Einführung im Februar 2018 wies „Ella“ noch immer so gravierende technische Schwierigkeiten auf, dass Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) das Projekt stoppte. Die Zusammenarbeit mit dem Zweckverband Iteos, der mit der Umsetzung beauftragt war, wurde beendet. Über acht Millionen Euro waren zu diesem Zeitpunkt bereits in die eingestellt Plattform geflossen.

Im Anschluss wurde alles erneut ausgeschrieben. Was uns zum nächsten Problem bringt. Ausschreibungen sind im öffentlichen Sektor in den meisten Fällen Pflicht. Ähnlich wie beim Föderalismus gibt es dafür gute Gründe. Aber Ausschreibungsverfahren sind langwierig und unterliegen mit unter auch zweifelhaften Kriterien. Aus diesem Grund waren die Behörden in der Corona-Krise nahezu chancenlos, flexibel und zeitnah auf die Home Schooling-Erfordernisse zu reagieren.

Dennoch versuchten einige Schulen zu improvisieren. Dazu muss man wissen, dass nicht nur die Bundesländer in Sachen Bildung ihr eigenes Süppchen kochen, sondern auch die Schulen. Denn obwohl beispielsweise Baden-Württemberg an einer zentralen Bildungsplattform arbeitet, steht es den Schulen frei, eigene Lösungen zu nutzen. Und so kann es passieren, dass die eine Schule im Ort echtes Home Schooling mit digitalen Lerninhalten und Videocalls anbietet, während die andere ausgedruckte Arbeitsblätter mit der Post verschickt.

Der Kampf gegen umsetzbare IT-Lösungen

Viele Schulen, die improvisieren wollten, hatten ihre Rechnung allerdings ohne Deutschlands liebstes Kind gemacht: den Datenschutz. Einfache und schnell umsetzbare IT-Lösungen, wie sie beispielsweise Microsoft bietet, werden derzeit von zahlreichen Verbänden aktiv „bekämpft“. Selbiges gilt für leistungsstarke Cloud-Infrastrukturen. Stattdessen wird mit der DSGVO gewedelt und für Open Source-Lösungen sowie eigene Rechenzentren geworben. Dass die Schulen weder über die notwendigen Kapazitäten noch über entsprechend geschultes Personal verfügen, wird dabei gänzlich ignoriert.

Und selbst wenn all diese Probleme aus der Welt geschafft sind, bleibt noch die Frage, wie sichergestellt wird, dass jede Schülerin und jeder Schüler über die notwendige Hardware verfügt, um überhaupt am Digital Learning teilhaben zu können.