Lesedauer ca. 6 Minuten

Auch in Produktionsumgebungen wird KI zunehmend eingesetzt, um Mitarbeitende zu entlasten und dem Fachkräftemangel zu begegnen. Welches Nutzungspotenzial in der KI steckt, welches die großen Herausforderungen sind und warum eine KI-Ethik unverzichtbar ist, lest ihr im Interview mit Jens Beyer von LAVRIO.solutions aus dem CyberForum Netzwerk.

Von Ana López

Welche konkreten Anwendungen und Vorteile bietet KI in der heutigen Produktionsumgebung? Wie können KI-Technologien eingesetzt werden?

Es gibt vielfältige Anwendungen von KI, die revolutionäre Veränderungen mit sich bringen. Beispielsweise sehen wir seit einigen Jahren Qualitätskontrollen unterstützt durch KI-Methoden, die Arbeitsabläufe wesentlich ergonomischer und effizienter gestalten. Bei immer schneller werdenden Produktionsumgebungen ist diese Entlastung für die Arbeitnehmer*innen deutlich spürbar. Neben Qualitätskontrollen ist auch die Echtzeitüberwachung der gesamten Prozesse eine gewinnbringende KI-Anwendung. Die KI kann Anomalien im Prozess entdecken und Korrekturmaßnahmen vorschlagen. Ebenso sind Methoden zum Einlernen von neuen Mitarbeitenden oder Saisonkräften ein Bereich, in dem KI viele Herausforderungen produzierender Unternehmen löst. Hierbei unterstützen die KI-Systeme zum Beispiel zielgenau die neuen Mitarbeitenden bei der Arbeit und geben Vorschläge und Hinweise für die nächsten Arbeitsschritte.

Stichwort “predictive maintenance” – im Wartungsbereich wird KI bereits verstärkt eingesetzt …

Im Bereich der Wartung gibt es verschiedene Entwicklungen, die die Langlebigkeit von Maschinen verbessern und Wartungsausfälle minimieren. Neben Dashboards mit konkreten KI-generierten Empfehlungen für die nächsten Wartungsschritte, ist natürlich auch die „vorausschauende Wartung“ (predictive maintenance) ein mittlerweile an vielen Stellen eingesetztes KI-System. Hierdurch wird vorhergesagt, welcher Teil einer Maschine ausfallen könnte und wann er ersetzt werden soll.

Welche Herausforderungen und Risiken sind mit dem Einsatz von KI in Produktionsprozessen verbunden und wie können sie minimiert werden?

Technische Herausforderungen liegen zum Beispiel in der Datenqualität: KI-Systeme sind stark von den vorhandenen Trainingsdaten abhängig. Ungenaue, unvollständige oder unzuverlässige Daten können hier schnell zu Fehlern führen. Technisch herausfordernd ist auch die Integration in bestehende Systeme. Die Einführung von KI-Systemen in Produktionsumgebungen kann komplex sein, insbesondere, wenn ältere Maschinen und Systeme beteiligt sind.
Zudem fehlt es an qualifizierten Fachkräften, die sowohl in der KI-Technologie als auch der Produktion erfahren sind. Diese werden aber für die Einführung und Wartung von KI-Systemen benötigt.
Auch soziale und organisatorische Aspekte spielen eine Rolle. Eine gewisse Skepsis gegenüber KI-Systemen kann zu Verzögerungen in der Einführung und Umgehung der Systeme bis hin zu Sabotage durch die Skeptiker*innen führen.

Wie kann man die Akzeptanz der Mitarbeitenden gegenüber KI erhöhen?

Hier gilt es, von Anfang an offen alle Beteiligten am Prozess abzuholen, zu schulen, und in den Einführungsprozess stark einzubinden. Transparenz der KI-Systeme, die wir durch technische Maßnahmen erreichen können (Stichwort „erklärbare KI“, oder „explainable AI, XAI“) hilft hier, die Akzeptanz zu erhöhen. Auch der Fokus auf hybride Systeme, in denen KI-Vorschläge mit menschlicher Expertise gepaart werden, hilft deutlich dabei, Akzeptanz aufzubauen.
Während der gesamten Einführungsphase und am Anfang der Produktiv-Phase sollten Schulungen und Workshops begleitend angeboten werden, um die organisatorischen, aber auch technischen Herausforderungen klar im Blick zu haben. So kann man dann auch schnell reagieren, wenn eine neue Herausforderung auftritt. Dies ist ein wichtiges Thema, mit dem wir uns auch kontinuierlich in Forschungsprojekten wie KARL („KI in Arbeit und Lernen in der Region Karlsruhe“) auseinandersetzen.

Wie kann man sicherstellen, dass KI in der Produktionsethik verantwortungsbewusst eingesetzt wird?

Die ethischen Implikationen von KI sind uns ein zentrales Anliegen, insbesondere in den Bereichen, in denen sie einen direkten Einfluss auf menschliche Arbeitsplätze, Sicherheit und Privatsphäre haben. Im Kontext der Produktion sind das unter anderem die Sicherheit der Arbeitnehmer*innen, Datenschutz und Prozessqualität.
Um KI-Systeme verantwortungsbewusst einzusetzen, gibt es mehrere Ansatzpunkte. Einerseits sollten die KI-Systeme transparent gestaltet sein, so dass die Entscheidungsprozesse der KI nachvollziehbar und erklärbar sind. Dies ist besonders wichtig in Bereichen, in denen die KI-Entscheidungen direkte Auswirkungen auf Arbeitnehmer*innen haben. Andererseits bleiben die endgültigen Entscheidungen bei Menschen. KI bietet im Idealfall eine sehr gute Entscheidungshilfe an.

Die Beteiligung der Mitarbeitenden ist auch und gerade aus ethischer Sicht enorm wichtig. Nur gut geschulte Mitarbeitende, die die KI-Technologie verstehen, können die ethischen Auswirkungen einschätzen.

Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

Der Datenschutz sollte auch von vorneherein mit bedacht werden. Bei der Erfassung und Verarbeitung von Daten müssen wir immer prüfen, inwieweit die Privatsphäre und die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden.

Was gilt es besonders bei multinationalen Unternehmen zu beachten?

Für Unternehmen mit weltweiten Standorten gehört natürlich auch eine gewisse kulturelle Sensitivität zum verantwortungsbewussten Einsatz der KI. Je nach Region müssen hier die Unterschiede berücksichtigt werden, die in Bezug auf KI vorhanden sind.

Wie wichtig sind ethische Standards für den Einsatz von KI?

Für Unternehmen ist es essenziell, klare ethische Richtlinien für den Einsatz von KI zu entwickeln. Wir sehen hier in der Region Karlsruhe Vorreiter, die in ihren Digitallaboren an solchen Grundsätzen arbeiten. Die können jetzt noch nicht starr und final sein, da sich die KI-Technologie und ihre Einsatzbereiche kontinuierlich entwickeln. Aber eine Grundlage kann und muss man jetzt schaffen. Das erhöht das Vertrauen der Arbeitnehmer*innen und ist eine gute Basis für diesen Produktivitätssprung.

Welche Fähigkeiten werden zukünftig von Mitarbeitenden in der Industrie benötigt?

Die KI-Projekte, die wir zurzeit begleiten und sehen, haben vor allem das Ziel, über Empfehlungen der KI-Systeme menschliche Arbeitskräfte zu entlasten, unergonomische Prozessschritte zu automatisieren, Geschwindigkeit rauszunehmen und Stress zu reduzieren. Natürlich bedeutet das, dass die Arbeitnehmenden offen für neues sein müssen. Wir brauchen Ansprechpartner*innen, die ihre Prozesse kennen, aber auf der anderen Seite Verbesserungen und neue Prozesse akzeptieren.
Es ist deshalb wichtig, dass sie grundlegende Fähigkeiten, bzw. Kenntnisse in Datenanalyse, maschinellem Lernen und Robotik erwerben. Nur dann können sie die KI-Systeme kritisch hinterfragen und aufkommende Probleme schneller erkennen.

Welche Best Practices gibt es?

Konkrete Beispiele sind mittlerweile zum Glück viele vorhanden. Es gibt zum Beispiel im Forschungsprojekt „KARL“ einige spannende Use Cases, die die Vorteile in der Produktion klar darstellen. Hier wurde ein Assistenzsystem für die Montage von Elektromotoren entwickelt. Es kamen verschiedene KI-Modelle zur Unterstützung im Gesamtsystem zum Einsatz, zum Beispiel Handbewegungserkennungen durch Sensoren und KI-Modelle der Firma Kinemic oder direkte Unterstützung der Werker*innen durch Optimums „Schlauer Klaus“, der mit einer Kamera den Fertigungsprozess überwacht und direkte Hinweise zum nächsten Schritt liefert. Dieses Projekt zielt ganz klar darauf ab, das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu steigern, in dem Fehlerpotentiale und Stress reduziert werden. Gleichzeitig hilft es auch, einen „Skill-Gap“ zu minimieren, da alle Werker*innen diese Unterstützung erfahren.

Die große Angst ist, die Entscheidungshoheit zu verlieren …

Die Entscheidungshoheit verbleibt bei diesen KI-Systemen bei den Menschen. Ein produktionsnaher Use Case ist hier zum Beispiel die in Zusammenarbeit mit der INIT entstehende Unterstützung für Verkehrsmanager*innen im öffentlichen Nahverkehr. Hier entwickeln wir als LAVRIO.solutions ein Modell zur Unterstützung von Arbeitnehmenden in einer zeitkritischen Situation. Die Verkehrsdisponent*innen bekommen nicht nur eine Empfehlung der KI, was sie als nächstes tun sollten, sondern auch direkt einen Hinweis, warum die KI diese Empfehlung ausspricht. Dadurch können sie entscheiden, ob sie dieser Empfehlung folgen oder ob die KI doch nicht alle entscheidenden Faktoren mit einbezogen hat.

Also Mensch und KI als sich gegenseitig unterstützende Partner?

Absolut. Wir sehen anhand dieser Beispiele, dass der Fokus auf der Unterstützung von Menschen liegt. Gleichzeitig sind diese Use Cases erfolgreich, weil die Anwender*innen und alle am Prozess Interessierten in den jeweiligen Unternehmen von vorneherein stark eingebunden werden. KI wird immer mehr ein Teamspiel, in dem die Firmen den meisten Nutzen daraus ziehen, die die Projekte technisch einwandfrei umsetzen, und gleichzeitig organisatorisch die Herausforderungen von vorneherein anpacken.

 

Jens Beyer ist Data Scientist und KI-Berater bei der Lavrio.solutions GmbH in Karlsruhe. Seine Schwerpunkte liegen auf der schnellen, interaktiven Entwicklung von KI-Systemen und der Konzeption von KI-Modulen für bestehende Software-Anwendungen. Er begleitet Softwarehäuser auf ihrem Weg zur KI und berät Unternehmen bei KI-Einführungsprojekten.

Du willst mehr über das Thema wissen, tiefer einsteigen oder dich in Sachen KI weiterbilden?
In der CyberForum Akademie wirst du mit intelligenten Skills und Methoden für deine digitale Zukunft gerüstet. Betrachte Digitalisierung ganzheitlich, lerne die Grundlagen von KI und finde heraus, wie dein KI-Projekt ein Erfolg wird.