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Der regionale Apfel ist nachhaltiger als die Flugananas aus Costa Rica. Zur Aufzucht einer Avocado werden mehr als 300 Liter Wasser benötigt und sechsmal Fleisch pro Woche steht nicht für nachhaltigen Konsum. Das ist bekannt. Aber woher weiß ich eigentlich, wie nachhaltig mein täglicher Lebensmittel-Einkauf wirklich ist? Der Kassenzettel könnte die Lösung sein.

Ariane Lindemann spricht mit Simon Pfeiffer und Timo Bräutigam von Project Count über einen CO2-Fußabdruckzähler, der Kassenbons scannt und damit nachhaltiges Verhalten messbar macht.  

Wozu ein CO2-Fußabdruckzähler? 

Nachhaltig einkaufen ist eine der effektivsten Möglichkeiten, den eigenen CO2-Fußabdruck zu minimieren. Messbar wird unser nachhaltiges Verhalten aber erst, wenn wir auch einen konkreten Wert haben für die Produkte in unserem Einkaufswagen. 

Dieser Wert ergibt sich aus dem Kassenzettel?

Ja. Mit der App scannst du deinen Kassenbon und Zeile für Zeile wird geprüft, wie hoch die CO2-Bilanz der einzelnen Positionen ist. Der Wert, der sich daraus ergibt – vorausgesetzt du erfasst alle Kassenbons – gibt dir an, wie hoch dein CO2-Verbrauch in einem bestimmten Zeitraum pro Monat ist.

Angenommen, das Ergebnis lautet: Mein Einkauf erzeugt acht Kilo CO2. Dann weiß ich ja eigentlich noch nichts … 

Damit die Nutzer wirklich etwas mit dem Wert anfangen können, geben wir einen prozentualen Wert aus, der sich am Klimaziel von Paris misst. Das Paris-Ziel haben wir aus den gesamtdeutschen Zielen auf die einzelnen Personen im Monat heruntergerechnet. Demnach hat jeder Mensch einen persönlichen Wert von knapp 45 Kilo CO2, den er pro Monat für Lebensmitteleinkäufe verwenden sollte. Am Ende steht eine Zahl, die angibt, wieviel Prozent CO2 von diesem Budget dein Einkauf verursacht.

Um es noch verständlicher zu machen, ziehen wir außerdem Vergleiche hinzu. Zum Beispiel: Dieser Wert ist vergleichbar mit einer Autofahrt von 40 Kilometern oder er entspricht einer warmen Dusche von 35 Minuten.

Ich habe ein Rinderfilet gekauft. Auf dem Kassenzettel steht aber keine Angabe zum Gewicht. Was mache ich?

In solchen Fällen legen wir ein Rinderfilet in der üblichen Pro-Kopf-Größe zugrunde. Darüber hinaus kann der Nutzer auch Werte anpassen und das Gewicht oder auch die Menge manuell eingeben.

Wo kommen die Werte her, die ihr den Produkten zugrunde legt? 

Wir nutzen die Datenbank einer dänischen Universität, die rund 500 Grundprodukte beinhaltet. Diese erweitern wir um weitere Produkte, so dass wir aktuell bei rund 1000 Produkten sind. Mit der KI können wir auch Artikel zusammenbringen, die nicht in der Datenbank sind. Nimm zum Beispiel Fleisch. Du hast eine Hinterkeule gekauft. Der Artikel ist in der Datenbank nicht enthalten. Das System wählt dann das Produkt aus, das diesem Begriff am nähesten kommt.

Gibt der Kassenbon immer ausreichende Informationen?

Leider nein. Das ist noch ein großes Hindernis. Auf den Bons stehen oft viele Abkürzungen oder Angaben wie „Handeingabe 1,50 Euro“. Damit können wir natürlich nichts anfangen. Da gibt es eine klare Grenze, was eine KI jemals können wird. Das heißt, um ein annähernd hundert Prozent akkurates Ergebnis zu haben, muss der Nutzer am Ende von 20 Artikeln zwei oder drei manuell anpassen. Beim heutigen Stand mit den Kassenzetteln ist das unausweichlich.

Und den Kassenzettel komplett umgehen?

Wir würden natürlich gerne den Kassenzettel komplett umgehen, erstens, um das unnötige Papier zu sparen, und zweitens, um im Zweifelsfall auch mehr Produktinformationen zu bekommen. Nur Stand heute ist es halt leider so, dass es nur in wenigen Fällen überhaupt eine digitale Lösung gibt in den Supermärkten. Zumal auch hier nur die Daten übertragen werden, die auch auf dem Kassenzettel stehen. In allen anderen Fällen sind wir noch weit davon entfernt, dass es da eine einheitliche Form von digitalen Kassenzetteln gibt.

Heißt, Geschäftsmodell noch mal überdenken?

Die App steht und funktioniert auch. Jetzt wollen wir die KI weiterentwickeln. Wichtig waren für uns an dieser Stelle aber die Erfahrungen im CyberLab Accelerator, wo klar wurde, dass die Umsetzung unserer Geschäftsidee noch von äußeren Faktoren ausgebremst wird. Dadurch waren wir gezwungen, neue Möglichkeiten auszuloten.

Wohin switched ihr jetzt um?

Wir haben überlegt, dass es eigentlich noch besser wäre, wenn der Nutzer die CO2-Daten gleich direkt beim Einkauf zur Verfügung hätte, also bevor er das Produkt auf das Laufband legt. Denn mit unserem Algorithmus können wir ja genauso gut Preisschilder in Supermärkten mit einem CO2-Wert ausstatten. Eine andere Idee wäre, unsere App in eine Händler-App zu integrieren.

Aber das würde bedeuten, der Handel müsste mit ins Boot.

Richtig. Wir haben diverse Supermärkte angesprochen. Hier suchen wir jetzt Partner, um das Projekt pilotmäßig zu testen. Das würde das Problem, dass die Leute beim Einkauf mehr Infos über den Fußabdruck bekommen, besser lösen als unsere App das im ersten Schritt kann. Allerdings ist der Handel hier noch sehr zurückhaltend.

Schade eigentlich, denn wenn der Handel, zum Beispiel Aldi, Lidl, Edeka, da einsteigen würde, würde das ja auch auf deren Nachhaltigkeitsengagement einzahlen …

In jedem Fall. Die Befürchtung der Händler ist allerdings, die Kunden würden mit zu vielen Informationen überhäuft. Zudem mahlen die Mühlen im Konzernbereich natürlich sehr langsam.

Wie sieht es mit der Digitalisierung im Handel überhaupt aus?

Wenn man sich überlegt, dass es im Handel flächendeckend fast keine digitalen Kassenzettel gibt, ist es verständlich, warum es schwer ist, da etwas Neues zu etablieren. Ein digitaler Kassenzettel ist momentan nichts anderes als ein Foto von einem Kassenzettel als PDF-Dokument. Das ist ein digitaler Kassenzettel in Deutschland Stand heute. Die Lösung wäre, eine Kundenkarte, die Bezahlung und Scan gleichzeitig übernimmt. Dort hätte man dann alle Daten, die man braucht.

Aber der Handel macht doch schon viel fürs Klima. Keine Aldi oder Lidl-Werbung ohne Kommentare zum Thema Nachhaltigkeit ….

Ja, aber das ist viel Sustainability Talk. In Wirklichkeit gibt es da wenig Bereitschaft, etwas Handfestes zu machen. Jeder redet davon, dass Nachhaltigkeit wichtig ist, aber keiner weiß, wie nachhaltig seine Einkäufe wirklich sind.

Willkommen in der Zukunft!

Leider ist das die Realität, die wir momentan erleben. Aber diese Transparenz, die wir aktuell bieten, wird früher oder später kommen. Möglicherweise in einigen Jahren sogar rechtlich verankert.

Wie geht es weiter?

Wir würden das Projekt gerne mit einem einzelnen Supermarkt um die Ecke ausprobieren. Wenn sich jemand finden würde, der Lust hat, das Ganze für einen Monat zu testen und in seinem Laden die Daten direkt beim Produkt abzudrucken, könnten wir einen großen Schritt weiterkommen. Wir bräuchten lediglich eine Sortimentsliste, ansonsten hätte der Händler keinen Aufwand damit.

Würdet ihr nach euren jetzigen Erfahrungen etwas anders machen?

Definitiv nein. Aber wenn wir merken, wir kommen in dem Markt nicht weiter, sind wir maximal flexibel. Wenn wir morgen ein anderes Produkt finden, wo wir mit CO2-Transparenz besser reinkommen, dann werden wir das machen. Uns ist wichtig, Leute in die Lage zu versetzen, tatsächlich zu verstehen, was ihr Einkauf für einen Impact hat und wo jeder einzelne beim Einkaufen etwas ändern kann.