Gabi B. geht in Rente. 26 Jahre war sie im Unternehmen. Letzter Arbeitstag: Kleiner Umtrunk. Alle klatschen zum Abschied. Danke Gabi – für alles! Ihre Stelle ist noch nicht neu besetzt. Fachkräfte sind schwer zu kriegen. Übergabe gab es deshalb keine. Schon jetzt ist klar: Der oder die Neue wird Monate für die Einarbeitung brauchen. Denn was alle vergessen haben: Gabi zu fragen, wie eigentlich ihr Arbeitstag aussah. Welche Besonderheiten gab es? Wie ging sie Projekte an? Welche Kontakte waren wie geartet? Darunter auch viel Wissen, das nicht in Dateiablagen zu finden ist.
Offboarding ist in Unternehmen oft noch ein blinder Fleck. Fehlt es, wird Geld und Zeit versenkt. Und letztlich geht es auch nicht nur um den Erhalt des Wissens. Wie Mitarbeitende von Bord geschickt werden, spiegelt auch den Arbeitgeber-Spirit nach innen und außen. Ariane Lindemann spricht mit Dinah Schmechel vom CyberLab-Alumni Themis über ein KI-Tool, das den Austrittsprozess von Mitarbeitenden optimal löst.
Von Ariane Lindemann
Offboarding wird immer wichtiger. Warum?
In den nächsten zwölf Jahren werden in Deutschland mehr als 16 Millionen Menschen in den Ruhestand gehen. Das heißt, mit diesen Leuten geht ein enormer Wissens- und vor allem auch ein wertvoller Erfahrungsschatz für Unternehmen verloren. Unsere Gespräche mit Unternehmen, öffentlichen Organisationen und Personalabteilungen haben gezeigt: Aktuell gibt es kaum Pläne, was gemacht werden kann, um das Wissen und die Erfahrung in Unternehmen zu halten.
Der Ruhestand kommt ja in den seltensten Fällen völlig überraschend.
Eine Übergabe sollte hier problemlos möglich sein.
Das stimmt. Aber wenn man sich den Fachkräftemangel in Deutschland anschaut, ist es eben nicht so, dass einer kommt und der Nächste gleich anfängt. In vielen Fällen dauert es Monate, bis die Stelle wieder besetzt ist. Nicht nur bei Ruheständler*innen, auch bei normalen Kündigungen. Kolleginnen und Kollegen schaffen es deshalb kaum, das Wissen dieser Person zu halten und dann zielgerichtet an die Nachfolge weiterzugeben.
Nicht nur Wissen geht dann verloren, sondern auch Geld …
Fluktuationskosten sind tatsächlich ein großes Problem für Unternehmen. Der wirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, dass Mitarbeitende nicht handlungsfähig sind, weil ihnen das nötige Wissen fehlt, ist teilweise riesig. Eine wichtige Aufgabe jedes Unternehmens sollte sein, dafür zu sorgen, dass neue Mitarbeitende dort möglichst nahtlos anknüpfen, wo die andere Person aufgehört hat. Die Frage ist: Wie kann das Offboarding der einen Person zum Onboarding der nächsten werden?
„Wie kann das Offboarding der einen Person zum Onboarding der nächsten werden?“
Was fehlt also?
Ein strukturiertes Exit-Management. Denn was aktuell passiert, wenn Leute gehen: In der letzten Woche kriegen sie einen Laufzettel, geben ihren Laptop zurück, die Schlüsselkarte, das Handy, legen vielleicht noch ein paar Dokumente ab, schicken eine Übergabe-E-Mail und ein paar Abschiedsworte an Kolleg*innen und Partner*innen. Das wars.
Aber viele Unternehmen nutzen doch bereits Wissensmanagement-Tools …
Ja, es gibt natürlich eine Menge Wissensmanagementsysteme, manche funktionieren besser als andere. Aber ganz oft wirken diese eher wie eine Art Informationssackgasse. Du hast eine Ablage, da packen alle ihr Wissen rein, über Suchfunktionen findet man das meiste – wenn es gut läuft – auch wieder, aber es fließt nicht wirklich in den Unternehmenskreislauf ein.
Wo sind denn die kritischen Punkte der Wissensübergabe in Unternehmen und wo ist der größte und teuerste Verlust, wenn das Wissen verlorengeht?
Das ist wirklich da, wo eine Person geht und eine neue anfängt. Denn diese Person braucht erst mal Monate, um auf das gleiche Level zu kommen oder sich Dinge ganz neu zu erarbeiten. Das produziert unglaublich viel Ineffizienz. Deshalb ist für uns genau diese Schnittstelle so spannend, um das Gehen der einen und das Kommen der nächsten Person zu vereinfachen. Mit Themis kann man innerhalb von Minuten, also nicht Tagen und Wochen, das Wissen für nachfolgende Personen aufbereiten. Und das Ganze nicht nur textbasiert!
Jetzt bin ich neugierig …
Wir nutzen Künstliche Intelligenz, ähnlich der Technologie von ChatGPT. Mitarbeitende, die in Ruhestand gehen, können Dokumente, die sie im Laufe ihres Arbeitslebens erstellt haben, ob es Präsentationen sind oder Berichte per Drag&Drop in unser Tool ziehen. Diese werden dann gescreent, zusammengefasst und in ein neues interaktives Format umgewandelt und lassen sich mit einem Klick teilen.
Am Ende hast also du eine Videodatei?
Genau, wir haben uns bewusst für Video als Medium entschieden, da es besonders für Millennials und Gen-Z das beliebteste Format ist, um Wissen aufzunehmen und weiterzugeben. Das Video wird automatisch ansprechend gestaltet, du kannst dich aufnehmen, deine individuellen Kommentare oder Arbeitserfahrungen auf der Tonspur ergänzen und das Ganze dann gezielt mit Kolleg*innen teilen. Der Empfänger kann sich durch das Video klicken und findet die entsprechend dazugehörigen Originaldateien in Links hinterlegt. Du kannst aus dem Tool heraus relevante Kolleg*innen kontaktieren, Nachrichten schreiben, Texte übersetzen oder verschieben.
Das ist ein niederschwelliges Format, um Wissen zu sichern und zu übertragen, ohne dass du dich durch endlose Dokumente quälen musst. Eine Art Wegweiser mit Verweis auf die jeweiligen Dokumente, wie E-Mails, Dateien, Fotos, Tabellen, Gesprächsnotizen, Kundendaten etc.
Wieviel Zeit kostet mich das?
Das ist eine Sache von Minuten.
Wow, wie geht das?
Wir arbeiten mit automatisierten Vorlagen. Das heißt, wir fragen bestimmte Dinge einfach ab. Eine wertvolle Erfahrung, die zum Beispiel oft in ihrer Relevanz unterschätzt wird, lässt sich mit einer einfachen Frage einfangen: Wie sah eigentlich deine Woche aus?
Man übergibt Dokumente und Accounts. Aber wesentlich sind doch auch Dinge, die man nirgendwo nachschlagen kann. Zum Beispiel: Wie ist mein Tag strukturiert? Mit wem spreche ich zu welchem Thema? Mehr als das reine Fachwissen sind genau diese Inhalte oftmals noch informativer für Kolleg*innen. Diese Vorlagen nehmen einem den Großteil der Arbeit ab. Keine*r muss sich vor ein weißes Blatt Papier setzen und bei Null anfangen.
Und wo ist da die KI?
Unser Ziel ist, dass, dass du vieles gar nicht mehr selbst erstellen musst, sondern Maschinelles Lernen und Natural Language Processing den Großteil übernehmen. Nutzer*innen laden relevante Dokumente hoch, unser Tool screent diese und dann wird automatisch eine bestehende Vorlage ausgefüllt.
Nehmen wir mal als Beispiel deine journalistische Arbeit. Du lädst alle Interviews hoch, die du geführt hast, dazu noch die E-Mail-Kommunikation. Daraus erstellt die KI einen Leitfaden, sodass andere sich problemlos an deinen Erfahrungen orientieren können. Am Ende schaust du noch mal drüber und passt gegebenenfalls etwas an. Das heißt, über eine solche Vorlage kann man den Arbeitsprozess nachvollziehen, die Arbeitswoche, Projekte, Absprachen, etc.
Eure Zielgruppe ist eher etwas älter, weil es sich in der Regel um Leute handelt, die in den Ruhestand gehen. Was heißt das für das Produkt Themis?
Das Produkt muss einfach zu handhaben, intuitiv und barrierefrei sein. Wir haben ein tolles Produkt- und Design-Team, welches dies fokussiert.
Wo soll es mit Themis hingehen?
Wir wollen das Synonym für Offboarding sein. Das heißt, wenn Leute ein Unternehmen verlassen, sind wir immer Teil des Prozesses.
„Wir wollen das Synonym für Offboarding sein.“
Das Gründungsteam
Als CEO kümmert sich Dinah um die Businessseite von Themis. Nach ihrer Zeit als Beraterin hat sie zuletzt den deutschen Markteintritt für GoFundMe geleitet, dem Weltmarktführer für Spendenplattformen.
Teresa hat neben Digitalisierungsberatung von DAX 30-Konzernen bei TLGG digitale Produkte bei der Bertelsmann-Stiftung entwickelt.
CTO André programmiert, seit er acht ist und stand vor Themis vielen Startups und Unternehmen als Lead-Developer zur Seite.
Foto: Sarah Gottschalk