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Gehalts- und Honorarunterschiede zwischen Frau und Mann sind in Deutschland noch immer an der Tagesordnung. Doch wie sieht es im Startup Umfeld aus? Wie stehen Frauen und Finanzen bei der Gründung im Zusammenhang? Wir haben dazu Ljubow Chaikevitch, Verhandlungsexpertin und Gründerin interviewt. In der kurzen Zeit von nur zwei Jahren hat sie es geschafft ihre eigenen Tagessätze zu vervielfachen. Ihre Mission ist es nun mit ihrer selbst entwickelten 5-schrittigen Verhandlungs-Erfolgsformel anderen Frauen zeigen, dass Verhandeln keine Raketenwissenschaft ist.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass im Jahr 2020 Frauen noch immer weniger verdienen als Männer?

Das hat unterschiedliche Gründe. Der unbereinigte Gender Pay Gap in Deutschland betrug laut Statischem Bundesamt in 2019 20%. Das heißt, dass der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen 20 % niedriger ausfiel als bei Männern. 14% davon sind strukturell bedingt, kommen also dadurch zustande, dass Frauen z.B. häufiger in Teilzeit arbeiten, ihre Berufslaufbahn für Kinder unterbrechen, schlechter bezahlter Berufe wählen.

Der bereinigte Gender Pay Gap liegt aber immer noch bei 6%, das bedeutet, dass Frauen in Deutschland bei gleicher beruflicher Tätigkeit und Qualifikation immer noch weniger als Männer verdienen. Das hat verschiedene Ursachen, einer davon ist, dass Frauen ihr Gehalt gar nicht oder zu selten verhandeln. Das beobachte ich sehr häufig bei Frauen, die ich betreue. Sie haben Angst dreist oder unverschämt zu wirken und erwarten, dass der Chef oder die Chefin die gute Leistung sieht und eine Gehaltserhöhung von sich aus initiiert. Das passiert leider in den wenigsten Fällen. Um Frauen in diesem Bereich zu unterstützen habe ich FRAU VERHANDELT und unsere kostenfreie Online-Konferenz, die Equal Pay Nights ins Leben gerufen. Mittlerweile konnten wir schon über 500 Frauen helfen und haben über 5500 Frauen in unserer Facebook-Community, die sich über offen über ihre Gehälter und Honorare austauschen.

Sie sagen, dass Gehaltsverhandlungen keine Raketenwissenschaft sind. Wie kann jede einzelne Frau dazu beitragen, dass es bald eine Gleichberichtigung gibt?

Die komplette Gleichberechtigung ist glaube ich nur politisch herbeizuführen und ich würde mir sehr wünschen eines Tages in Deutschland die entsprechende Gesetzgebung zu sehen. Spanien z.B. hat vor wenigen Wochen ein Gesetz verabschiedet, das Unternehmen dazu verpflichtet bei gleicher Tätigkeit Frauen und Männern das gleiche Gehalt zu bezahlen.
Wir sind in Deutschland aus meiner Sicht noch weit davon weg. Daher ist meine Empfehlung, dass jede Frau für sich einsteht und aktiv wird und andere Frauen dazu ermutigt und inspiriert.

Sie haben selbst gegründet. Auf was sollten Frauen ihrer Meinung nach bei einer Unternehmensgründung oder der Selbstständigkeit achten?

Aus meiner Sicht ist es wichtig zu erkennen, dass Arbeitszeit Lebenszeit ist und eine Gründung kein Sprint, sondern ein Marathon ist. Das heißt, man sollte an einem Geschäftsmodell arbeiten, das einem Spaß macht.
Auch als Gründerin gilt es sehr früh schon zu verstehen und zu erarbeiten, was die eigene Leistung und das eigene Produkt auf dem Markt wert ist und sich nicht unter Wert zu verkaufen. Das Schöne an der Gründung und Selbstständigkeit ist, dass man je nach Thema noch einfacher die Möglichkeit hat weitere Einkommensströme aufzubauen und Zeit von Geld zu entkoppeln.

Extrem wichtig ist mir auch, dass Gründerinnen ihre persönlichen Finanzen nicht außer Acht lassen und selbst die Verantwortung für die Finanzen in ihrem Unternehmen übernehmen statt es sofort an vermeintliche „Experten“ auszulagern.
Gerade, wenn wir die Gefahr der Altersarmut in Deutschland für Frauen betrachten, finde ich es sehr wichtig, dass Frauen auch in der Gründungsphase nicht vergessen in ihre Altersvorsorge zu investieren.

Welchen letzten Tipp geben Sie Frauen mit an die Hand, um ihren Preis zu verlangen?

Den eigenen Marktwert zu kennen – ob auf sich selbst als Person bezogen oder auf das eigene Produkt und sich viel mit erfolgreichen Menschen aus der eigenen Branche auszutauschen. Mir persönlich helfen z.B. Mastermind-Gruppen und Mentor*innen zum Beispiel sehr das Business zu entwickeln.

Und zu guter Letzt: Wer nicht fragt, kann nicht gewinnen – wir dürfen nicht erwarten, dass andere Menschen uns unsere Wünsche von den Augen ablesen können. Und wie im gesamten Leben gilt im Verhandeln: Übung macht den Meister!

Zur Person: Ljubow Chaikevitch ist Innovationsberaterin und seit 2008 selbstständig. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin hat unter anderem das Bertelsmann-Startup careerloft mit aufgebaut, die Partnerunternehmen der Innovations-Festivals new.New Festival der GFT Technologies SE. betreut und den Vertrieb für Startups an der Gründungsberatungsstelle der Universität Stuttgart, der TTI GmbH übernommen.
2018 gründete sie FRAU VERHANDELT., um Frauen zu unterstützen entsprechende Gehälter und Honorare zu erhalten und die Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern in Deutschland aufzuheben.

Anmerkung der Redaktion: Ljubow Chaikevitch ist am 06.11.2020 Teil der Female Founders Night des CyberForum. Hier wird Sie Gründerinnen erklären, wie sie den Weg zu angemessenen Honoraren und Preisen finden. Die Veranstaltung ist kostenlos und die Anmeldung ist über diesen Link möglich.