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Für den Einsatz in urbanen Ballungsräumen sind die Straßenlaternen des Münchener Startup-Unternehmems Eluminocity Gmbh geradezu prädestiniert. In den Masten der intelligenten Laternen befindet sich nämlich noch eine Ladestation für Elektroautos und dank des Einsatzes von modernen LED-Leuchten wird weit weniger Strom verbraucht als bei herkömmlichen Röhrensystemen. Außerdem befindet sich in den Straßenlaternen noch ein Bewegungsmelder. Das Licht geht deshalb erst dann an, wenn sich Menschen im unmittelbaren Umfeld der Laterne befinden.

Wegen der innovativen Technologie haben sich bereits die Stadtverwaltungen von München, Chicago, Oxford und Eindhoven für den Einsatz von Eluminocity-Lampen entschieden. Und auch vor Karlsruhe hat die Entwicklung nicht halt gemacht. Auf dem Durlacher Turmberg verfügen die beiden Lampen der Serie SM!GHT (steht für Smart City Light) aus dem Innovationscampus des Energieversorgers EnBW neben den energiesparenden LED-Leuchten und einer Ladestation für Elektroautos auch noch über einen Notrufknopf. Für den ehemaligen Eindhovener Bürgermeister Rob van Gijzel sind intelligente Lampen mit Bewegungsmelder und Notruffunktion sogar ein wirksames Werkzeug bei der Verbrechensbekämpfung. „So laufen Kriminelle direkt in die Arme der Polizei“, sagte derVorsitzende des internationalen Städte-Netzwerks Intelligent Community Forum bei der Abschlussdiskussion der Karlsruher Gespräche 2018.

Bei der 22. Auflage der gesellschafspolitischen Vortragsreihe diskutierten Experten aus verschiedenen Fachrichtungen drei Tage lang unter dem Motto „Die künstlich intelligente Stadt“ über die Auswirkungen eines zunehmend vernetzten Lebensraums auf die Bewohner. „Es ist offenkundig, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen zum Konzept und zur Umsetzung einer intelligenten Stadt gibt“, betonte ZAK-Direktorin Caroline Y. Robertson-von Trotha bei ihrer Eröffnungsansprache. Bereits in der Vergangenheit hätten sich die Karlsruher Gespräche der schwierigen Gratwanderung bei der Steuerung von stadtplanerischen Prozessen gewidmet. Die Frage nach der Gestaltungshoheit solcher teilweise radikaler Prozesse sei dabei mit enormen Chancen sowie mit erheblichen Risiken verbunden. Deshalb kamen bei den Karlsruher Gesprächen auch prominente Kritiker wie der Londoner Historiker Leo Hollis oder der amerikanische Medienwissenschaftler Trebor Scholz zu Wort.

Karlsruher Gespräche
Bei der 22. Auflage der gesellschafspolitischen Vortragsreihe diskutierten Experten aus verschiedenen Fachrichtungen drei Tage lang unter dem Motto „Die künstlich intelligente Stadt“ über die Auswirkungen eines zunehmend vernetzten Lebensraums auf die Bewohner. (Bild: ZAK)

Wird Karlsruhe zur „Google City“?

„Die Vision einer komplett vernetzten urbanen Landschaft wirft ernsthafte Fragen über die Zukunft der Demokratie und die Stadt als Ort persönlicher Entfaltung auf“, betonte Hollis. Als mahnende Beispiele einer komplett vernetzten Umgebung nannte der Historiker digitale Werbesäulen mit Sensoren zur Registrierung von Fußgängern sowie die „Heat List“, mit der die Polizei von Chicago nach potenziellen Mördern fahndet. „Beim Einsatz von solchen Techniken sind die Menschen keine Bürger mehr, sondern nur noch Daten“, appellierte Hollis für eine kritische Auseinandersetzung mit modernen Überwachungstechniken. Für ein Umdenken ist es nach Hollis` Einschätzung noch nicht zu spät.

Scholz warnte bei der Entwicklung von intelligenten Städten vor allem vor einem Verdrängungswettbewerb, an dessen Ende sich ganze Metropolenregionen – ähnlich wie der Rest der digitalen Wirtschaft – in der Hand von wenigen mächtigen Firmen befinden. „Das sind dann dieselben Unternehmen, die bereits Zugriff auf den digitalen Fußabdruck und die Datenporträts der Bürger haben“, betonte Scholz. Und selbst eine Stadt wie Karlsruhe könnte durch eine rein wirtschaftlich orientierte Entwicklung zur „Google City“ werden. Wie sich der Würgegriff der „schrecklichen fünf“ IT-Giganten Amazon, Facebook, Google, Microsoft und Apple auf den urbanen Raum auswirken wird, ist für Scholz derzeit noch nicht vorhersehbar.

Und selbst in der anfangs vielfach gelobten Share Economy gehörten durch den stetigen Expansionskurs von Branchenriesen wie Uber oder Airbnb mittlerweile auch Ausbeutung sowie ein harter Konkurrenzkampf zur Tagesordnung. „Natürlich bringen das Internet der Dinge und die Künstliche Intelligenz für die Konsumenten, das sind jene Leute, die man in einer Stadt früher Bürger nannte, zunächst einmal erstaunliche Annehmlichkeiten und kurzfristige Vorteile mit sich“, so Scholz. Trotzdem sollten die Menschen beim Einsatz von neuen Technologien immer deren Auswirkungen auf ihr künftiges Wohlbefinden im Blick behalten.

„Es gibt keine einfachen Antworten“

Doch auch die Befürworter der so genannten „Smart Cities“ mahnten bei ihren Vorträgen vor einem allzu blauäugigen Aktionismus. Nach Ansicht des Soziologen Harald Hinrichs sollte der Blick bei der Entwicklung von intelligenten Städten stets in die Zukunft gerichtet sein. „Niemand sollte sich von den verfügbaren Technologien überwältigen lassen“, betonte der Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Leuphana Universität Lüneburg. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz könnten Städte und Ballungsräume aber durchaus die notwenige Orientierung für eine nachhaltige Entwicklung erhalten. Mit innovativen Konzepten zu Energieversorgung und Mobilität könnten Großstädte eine Vorreiterrolle beim Kampf gegen den Klimawandel und für einen Erhalt der Artenvielfalt einnehmen. „Zum Erreichen dieser Ziele müssen aber soziale Innovationen umgesetzt werden“, appellierte Hinrichs an ein Miteinander von Technik und Gesellschaft.

Für den Ethnologen Wolfgang Kaschuba genießt die Entwicklung von sozialen Praktiken bei der Gestaltung von intelligenten Städten oberste Priorität. „Die großen Städte der Moderne sind das Produkt des aktiven und strategischen Zusammenspiels unterschiedlichster wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Faktoren“, betonte der Direktor des Berliner Instituts für Integrations- und Migrationsforschung. Kulturelle Vielfalt und soziale Diversität gehörten deshalb ebenfalls zur historischen Genetik der Städte wie technische Logistik und prozesshafte Nachhaltigkeit. „Deshalb darf sich die Vorstellung einer intelligenten Stadt nicht primär auf die Sicherung komplexer urbaner Versorgungsleistungen richten“, so Kaschuba.

Für den promovierten Telekommunikationstechniker Luis Munoz ist die digitale Transformation von Städten nur mit einer gleichzeitigen Überprüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen erforderlich. Außerdem sollten bei der Dienstleistungs-Digitalisierung zur Reduzierung der Kosten einheitliche Standards geschaffen werden. An der Unumkehrbarkeit der derzeitigen Entwicklung ließ Munoz jedoch keine Zweifel aufkommen. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mitten in einer Revolution stecken, die derjenigen ähnelt, die wir bereits mit der Einführung des digitalen zellularen Mobilfunks erlebt haben“, sagte der technische Leiter des Projekts SmartSantander.
„Einfache Antworten gibt es nicht“, stellte auch Robertson-von Trotha klar. Deshalb seien die wissenschaftsgestützten Ergebnisse auf der Basis von Grundlagenforschung sowie die Erfahrungen aus der Angewandten Forschung bei der Gestaltung von vernetzten Stadtstrukturen künftig ebenso wichtig wie die Beteiligung der städtischen Zivilgesellschaft und die Formulierung von inhaltlichen Zielen.