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Künstliche Intelligenz, autonome Supply Chain – wie können Prozesse entlang der immer komplexer werdenden Lieferkette beziehungsweise Wertschöpfung automatisiert werden? Im Interview mit dem KI-Spezialisten Blue Yonder aus Karlsruhe gehen wir genau dieser Frage nach und wagen dabei sogar einen Blick in die Glaskugel.

Dunja Riehmann über Künstliche Intelligenz und die Macht der Daten.
Dunja Riehmann, Director Marketing, Blue Yonder – a JDA company

Um auf wirtschaftliche Situationen gut vorbereitet zu sein und auf löchrige Prognosen zu verzichten, sind verlässliche Vorhersagen komplexer und wirtschaftlicher Zusammenhänge ein Muss für Wirtschaftszweige und Unternehmen. Speziell für Logistik und Industrie müssen die dazugehörigen Wertschöpfungsketten voraussagbar werden. Als neues Mitglied des JDA-Unternehmens beschäftigen Sie sich bekanntlich mit der Verknüpfung von Künstlicher Intelligenz und der Supply Chain und somit mit der Automatisierung letzterer: Was verbirgt sich hinter der Begrifflichkeit autonome Supply Chain und wie wird diese die wirtschaftliche Zukunft prägen?

Hinter der Autonomen Supply Chain verbirgt sich das Automatisieren von Prozessen entlang immer komplexer werdender Lieferketten, die sich zu globalen Liefernetzwerken entwickelt haben. In diesen Netzwerken müssen täglich viele tausend Einzelentscheidungen getroffen werden. Beispielsweise wieviel von welcher Ware und welchem Rohstoff wohin transportiert, oder wieviel von einer bestimmten Ware produziert werden muss, um den Bedarf zu decken. Wieviel kommt letztlich in den Handel und wie wird es auf einzelne Ladengeschäfte verteilt? Hierbei haben wir es mit einer Komplexität zu tun, die kein Mensch mehr beherrschen kann. Künstliche Intelligenz und Machine Learning helfen, diese Entscheidungsprozesse zu automatisieren. Nur so lässt sich die Kundenerwartung nach immer individuelleren Produkten bei ständiger Verfügbarkeit zu einem wettbewerbsfähigen Preis erfüllen.

In einer Pressemeldung war vom Einzelhandel der Zukunft zu lesen. Wie sieht dieser Ihrer Meinung nach aus? Werden dabei beispielsweise der Onlinehandel und der stationäre Handel tangiert? Als Basis können hier etwa die Echtzeitprognosen für den Einzelhandel ins Gewicht fallen. Was sind in diesem Zusammenhang Echtzeit-Supply-Chain-Netzwerke?

Die gute Nachricht zuerst: Der stationäre Handel lebt und ist für viele Kunden nach wie vor die erste Anlaufstelle, um einzukaufen. Trotzdem liegt der Online-Handel in bestimmten Produktkategorien, etwa der Elektronik, vorne. Die Zukunft des Handels liegt aber im Omni-Channel, da sich hieraus nützliche Synergien ergeben. Omni-Channel ermöglicht ein durchgängiges Einkaufserlebnis über alle Kanäle und Customer Touchpoints hinweg. Das ist nicht nur gut für den Handel, sondern auch für den Kunden. Ein Beispiel: Kunden können Waren online kaufen bzw. reservieren und direkt im Shop um die Ecke abholen oder aber Retouren im Ladengeschäft zurückgeben. Eine aktuelle Konsumentenumfrage von JDA zeigt beispielsweise, dass diese Möglichkeiten bei Kunden immer beliebter werden. Aber daraus ergeben sich natürlich ganz neue Anforderungen an die Supply Chain. Und natürlich ist es wichtig, die Wünsche der Kunden möglichst genau vorherzusehen, um die Kundenerwartung zu erfüllen, was die Warenverfügbarkeit angeht. Denn auch das gehört zum Omni-Channel: Der Wettbewerber oder das Alternativangebot ist nur einen Mausklick entfernt.

In einer Meldung schreibt Ihr Unternehmen vom sogenannten ‚Luminate ControlTower‘, der unterschiedliche Daten und somit Informationen verknüpft. Sprechen wir dabei schon von der kognitiven Supply Chain; zumindest von einer spezifischen Semantik? Können Sie die Vorteile der verknüpften Daten näher erläutern?

Der JDA Luminate Control Tower ist eine Software-as-a-Service-Lösung, die Störungen in der Supply Chain und deren Auswirkungen erkennt sowie Gegenmaßnahmen auf Basis von Machine-Learning-Erkenntnissen einleiten kann. Ein Beispiel: Ein Containerschiff trifft mit Verspätung im Hafen ein, die Ladung wird daher verspätet gelöscht und gelangt womöglich nicht rechtzeitig an den Bestimmungsort. Die Implikationen, die sich daraus für die Supply Chain ergeben, lassen sich über den Luminate Control Tower steuern und die notwendigen Entscheidungen automatisieren. So kann die verspätete Lieferung beispielsweise mit Priorität vor anderen Lieferungen behandelt werden. Der Control Tower zeigt auf Basis vorhandener Daten (siehe auch Big Data und Analyse-Software) Lösungsmöglichkeiten auf, während die KI automatisiert Entscheidungen trifft, damit ein einzelnes Problem nicht zu sehr ins Gewicht fällt bzw. die Auswirkungen auf die Supply Chain minimiert werden.

Wagen wir mal wieder einen Blick in die Glaskugel! Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft des Handels aus? Hat beispielsweise die Händlerintegration (lokal) in den Onlinehandel Sinn? Immerhin könnte man so auch an stationär gehaltene Kunden-Datensätze kommen; diesen noch besser verstehen. Wird die Produktion, Logistik und der Handel informationstechnisch immer mehr miteinander verschmelzen?

Die Zukunft des Handels liegt in einem Zusammenwachsen von online und stationär. Und ja, Produktion, Logistik, Lieferanten und die Absatzkanäle werden IT-seitig immer stärker integriert. Daraus ergeben sich Vorteile in der Nachhaltigkeit. So lässt sich über den Einsatz von künstlicher Intelligenz prognostizieren, wieviel von welcher Ware benötigt wird und die Produktionskapazitäten lassen sich anpassen, genauso wie die Auslastung in der Distribution und die Lagerkapazitäten im Handel. Dies schont Rohstoffe und optimiert die Kosten, denn es kommt zu weniger Abschreibungen und die Margen lassen sich verbessern.

Und natürlich ist es interessant, immer bessere Erkenntnisse aus besseren Daten zu gewinnen. Dabei wird es immer um die Bedürfnisse der Kunden gehen und darum, diese besser zu verstehen. Denn die Verbraucher können sich aussuchen, wo sie einkaufen. Die Auswahl ist groß. Ich habe auch keine Sorge, dass wir alle zu ‚gläsernen Kunden‘ werden. Denn obwohl wir in der Lage sind, den Absatz von Produkten sehr präzise vorherzusagen, wird es niemals möglich sein, zu wissen, welcher Mensch morgen welche Entscheidung treffen wird. Und das ist auch gut so. An einer solchen deterministischen Welt kann niemand ein Interesse haben.