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Die Vitrine mit den wuchtigen Handprothesen fällt den Besuchern beim Betreten des Foyers von Vincent Systems als zuerst ins Auge. Gut ein Dutzend aus Kunststoff und Leder gefertigte künstliche Hände sind dort hinter Glas verstaut und an manchen dieser Exponate kann über einen Federzug sogar der Daumen bewegt werden. „Früher war das Anfertigen von Prothesen noch richtiges Schuster-Handwerk“, sagt Firmengründer und Geschäftsführer Stefan Schulz mit Blick auf sein kleines Prothesen-Museum.

Und heute? „Die Herstellung moderner Prothesen ist eine Mischung aus Maschinenbau und Elektrotechnik“, weiß Schulz aus langjähriger Erfahrung. Vor knapp einem Jahrzehnt hat der promovierte Maschinenbauingenieur das Unternehmen zur Entwicklung und Produktion von hochwertigen Prothesen aus der Taufe gehoben und mittlerweile sind die High-Tech-Hände aus dem Karlsruher Südwesten auf der ganzen Welt bekannt.

Hochwertige Handprothesen sind ein Nischenmarkt

„Hochwertige Handprothesen mit mehreren beweglichen Fingern sind immer noch ein Nischenmarkt“, sagt Schulz. In dieser Nische hat sich der findige Unternehmer dank seines Durchhaltevermögens und sehr viel Experimentierfreude mittlerweile bestens eingerichtet. Rund 800 hochmoderne Handprothesen werden nach Schulz´ Schätzungen jährlich weltweit verkauft und gut 100 davon werden bereits heute in der überschaubaren Firmenzentrale der Vincent Systems GmbH im Karlsruher Stadtteil Beiertheim produziert. „Hier kommt alles aus einer Hand“, bringt Schulz seine eigene Firmenphilosophie auf den Punkt. Entwicklungsabteilung, Modellbau, Produktion, Vertrieb und orthopädische Werkstatt; sämtliche Bereiche der firmeninternen Wertschöpfungskette sind auf wenigen Quadratmetern Nutzfläche untergebracht und die meisten der zehn fest angestellten Mitarbeiter sind während des alltäglichen Geschäfts mit mehreren Aufgaben betreut.

„Unser größter Trumpf ist sicherlich unser technisches Know-How“, sagt Schulz. Dabei überlässt der Unternehmensgründer nichts dem Zufall. Selbst die kosmetischen Handschuhe für die roboterartigen Handprothesen werden in der Karlsruher Ideenschmiede entwickelt und genäht. „Für diesen Nischenmarkt gibt es einfach noch keine kompetenten Zulieferer“, sagt Schulz. Deshalb hat er mit einigen Materialien experimentiert und sich letztlich für dünne, widerstandsfähige Außenhäute aus einer Spezialtextilfaser und gegen das weit verbreitete Silikon entschieden. Mit Silikon lassen sich zwar täuschend echte, statische Handprothesen herstellen, weiß Schulz: „Aber bei einer voll beweglichen Prothese wirft das Silikon Falten, bekommt Risse und muss nach spätestens drei Monaten ersetzt werden“.

2009 wurde Vincent Systems aus der Taufe gehoben

Sein eigenes technisches Wissen für den Bau von technisch hochwertigen Handprothesen hat Schulz während seiner mehrjährigen Tätigkeit als Teamleiter für Medizintechnik und Robotik im ehemaligen Forschungszentrum Karlsruhe erlangt. „Wir waren dort der Zeit voraus und hatten bereits mehrere Prototypen für bionische Hände konzipiert“, erinnert sich Schulz. Als seine Forschungsgruppe der Medizintechnik wenige Monate nach der Gründung eingestellt wurde, wagte Schulz den Sprung in die Selbstständigkeit. „Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass ich viele Jahre lang ohne greifbare Ergebnisse geforscht haben sollte“, so Schulz. Finanzielle Unterstützung erhielt er bei Gründung seines eigenen Unternehmens allerdings ebenso wenig wie die Patente für die Konstruktion von bionischen Händen. Mit eigenem und geliehenem Geld wagte Schulz im Jahr 2009 den Sprung in die Selbstständigkeit und innerhalb eines Jahres hatte er die erste funktionsfähige High-Tech-Prothese auf den Markt gebracht.

High-Tech-Hände in fünf verschiedenen Größen

Mittlerweile vertreibt das Unternehmen mit der Serie „VINCENTevolution 3“ bereits dritte Generation von Spezial-Prothesen. Die Prothesen sind in fünf verschiedenen Größen erhältlich und mit der Entwicklung einer kleinen künstlichen Kinderhand betraten Schulz und seine Mitstreiter sogar orthopädisches Neuland. An jeder der künstlichen Hände können sechs Fingerglieder einzeln angesteuert werden. Die Steuerung der Elektromotoren erfolgt über die Muskelsignale der Prothesenträger. Außerdem entwickelt Vincent Systems auch einzelne Fingerprothesen und partielle Handprothesen mit mehreren Fingern. „Wegen eines einzigen fehlenden Fingerglieds lohnt sich eine Prothese allerdings nicht“, weiß Schulz. Aber wer bei einem Arbeitsunfall zwei oder drei Finger verliere, könne dank der technischen Hilfsmittel aus dem Hause Vincent Systems ein Leben ohne größere Einschränkungen führen.

Mit zahlreichen Innovationspreisen ausgezeichnet

Die hohe Geschwindigkeit beim Entwickeln von neuen Produkten ist nach wie vor der wichtigste Trumpf in Schulz Ärmel. Seine aktuellen Neuheiten für den umkämpften Prothesenmarkt sind ein knetbarer Akku für den besseren Tragekomfort Aufgeladen wird die biegsame Batterie über einen USB-Stick. „Für die Träger der Prothesen bedeuten solche kleinen Verbesserungen eine deutliche Erhöhung des Komforts“, so Schulz. Für die innovativen Ansätze bei der Herstellung von modernen Handprothesen wurde Vincent Systems schon mit mehreren Preisen wie dem Innovationspreis des Landes Baden-Württemberg 2016 oder dem Init Innovationspreis bei den Cyberchampions 2013 dekoriert. Zuletzt gehörte die Karlsruher Prothesenschmiede zu den drei Finalisten bei der Verleihung des Deutschen Zukunftspreises 2017. „Die positive Resonanz auf solche Nominierungen ist natürlich die beste Werbung für unsere Produkte“, so Schulz. Allerdings seien selbst Preisgelder im unteren fünfstelligen Bereich verglichen mit den millionenschweren Entwicklungsetats des größten Prothesenproduzenten Otto Bock oder des schottischen Unternehmens Touch Bionics nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

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Doch von der namhaften Konkurrenz ist Schulz nicht bange und in den kommenden Jahren will der Prothesen-Pionier die Marktanteile von Vincent Systems auf dem umkämpften Weltmarkt weiter ausbauen. „Noch immer vertrauen sehr viele Orthopäden auf relativ einfach gehaltene Standardprothesen. Das wollen wir durch eine gezielte Öffentlichkeitsoffensive und einer verstärkten Präsenz auf den internationalen Fachmessen ändern“, sagt Schulz. Der Mehrwert von hochwertigen Prothesen für die Patienten sei nämlich schon längst erwiesen und deshalb werden die Kosten für die aufwändig gestalteten Finger und Hände auch von den Krankenkassen übernommen. Außerdem denkt Schulz bereits laut über die Entwicklung von technisch ausgereiften Exo-Skeletten zur Unterstützung von Menschen mit gelähmten Gliedmaßen nach. „Auf diesem Markt gibt es noch enormes Wachstumspotenzial“, sagt Schulz.