Das Schreckensszenario zum angeblichen Tod der Innenstadt scheint seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben: „In zehn bis 15 Jahren wird jede zweite Filiale vom Markt verschwunden, der Rest aufgekauft oder fusioniert sein“, prognostiziert Handelsexperte Sierko Siemssen von der Beratungsfirma Oliver Wyman gegenüber der Welt am Sonntag. Diese Rechnung hat Wyman aber ohne die Händler gemacht. Sie sind laut Mathias Thomas, Geschäftsführer der gaxsys GmbH, zäher als manch einer vermutet.
Für Händler ist der E-Commerce ein digitaler Geschäftspartner
Wenn es nach einigen Handelsexperten geht, gehört der stationäre Handel zum alten Eisen, seine Einkaufszeiten in der Innenstadt sind längst gezählt und die Lebenserwartung schrumpft mit jedem weiteren Experten-Statement. Schließlich belegen Statistiken den Trend: Laut dem Handelsverband Deutschland erwartet der Onlinehandel ein Wachstum von elf Prozent, der stationäre Handel dagegen ein marginales Umsatzplus von zwei Prozentpunkten. Natürlich setzt der E-Commerce die lokalen Einzelhändler zurecht unter Druck, denn Enthaltsamkeit rächt sich mit einem schmerzlich fehlenden Zusatzgewinn – der vor allem für die Nutzung von Schwachlastzeiten äußerst lohnenswert wäre.
Aber mal ehrlich: Sind in der zunehmend digitalisierten Welt der Onlinehandel und der stationäre Handel ein Widerspruch? „Nein“, meint Mathias Thomas, Geschäftsführer bei der gaxsys GmbH. „Wenn ich mich bei unseren Fachhändlern im gax-System umhöre, fallen ihre Antworten zu den Gründen für die Teilnahme am E-Commerce einleuchtend wie unspektakulär aus. Für sie gründet ihre Entscheidung, für eine Anbindung an Onlinemarktplätze, wie eBay und Zalando, auf einer geschäftlichen Partnerschaft. Es erfolgt ein Austausch auf Augenhöhe und die Abhängigkeit beruht, wie bei jedem anderen Geschäft, auf Gegenseitigkeit.“ Onlinemarktplätze profitieren von einem schnelleren Zustellservice, bis hin zu „same day delivery“ und Händler generieren zusätzlichen Umsatz in Zeiten, in denen ihre Läden ohnehin weniger hoch frequentiert sind.
Mathias Thomas: „Der Mix aus online und lokal führt zum Erfolg.“
Problematisch wird die Situation dagegen für Händler, die sich vor den Zeichen der Zeit verschließen und auf den Ideenreichtum der Onlinewelt keine Antworten bereithalten. Während beispielsweise Kunden im Onlineshop rund um die Uhr einkaufen können, arbeitet der stationäre Handel innerhalb von begrenzten Geschäftszeiten. Und während der Onlinehändler auf sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook eine größere Fangemeinde erreicht, muss der Social-Media-abstinente Händler jeden seiner Kunden einzeln von seinen Produkten überzeugen. Mathias Thomas ist deshalb überzeugt: „Sowohl der lokale Handel als auch der Onlinehandel verfügen über individuelle Stärken, ein Mix aus online und lokal führt meines Erachtens letztendlich zum Erfolg.“
Lokal vor online: persönliche Beratung und ein freundliches Lächeln
Bleibt der Erfolg beim lokalen Händler aus, ist der Schuldige schnell gefunden: der Onlinehandel hat das zahme Schäfchen gerissen und die Wolle eingeheimst. Die Digitalisierung ist aber keineswegs eine Erfindung des Onlinehandels, sondern ein Zeichen des Fortschritts unserer Zeit. Es reicht nicht über den Onlinehandel zu schimpfen; vielleicht ist es vielmehr auch für den letzten lokalen Händler an der Zeit, die digitale Einkaufswelt als digitalen Geschäftspartner zu akzeptieren. Und noch viel mehr: Der lokale Handel birgt mit Sicherheit allerhand Potentiale, die es auszuschöpfen gilt. Die Aspekte der persönlichen Beratung, ein angenehmer Smalltalk – vielleicht bei einer Tasse Kaffee -, eine erfrischende Lounge-Musik während des Schlenderns, eine ungezwungene Anprobe und ein freundliches Lächeln des Verkaufspersonals – auch wenn der Kunde mal nichts kauft: Genau dieses Einkaufserlebnis ist für den lokalen Händler goldwert.
Geht es nach Mathias Thomas sollte man sich ohnehin davor hüten, sich auf alte Strukturen zu versteifen „Wir sehen die Technologieentwicklung immer als eine Gerade nach oben, aber in der Realität gibt es grundsätzlich Wellenbewegungen. Es passiert immer etwas Neues und vor allem Unvorhersehbares. Und es ist ja kein Geheimnis, dass das Thema „Smart Mobile“ die gesamte Onlinewelt revolutioniert hat und noch weiter verändern wird. Doch was kommt als nächstes? Ich bin mir sicher, nur wenn die lokalen Händler gegenüber neuen Entwicklungen offen sind und den Onlinehandel als digitalen Geschäftspartner akzeptieren, können sie mit ihm auch gewinnbringend Geschäfte machen.
Sie interessieren sich für die digitale Transformation des Einzelhandels? In der E-Commerce-Kolumne „Innenstädte und der E-Commerce“ beschäftigt sich die Redaktion von Dr. Thomas + Partner, kurz TUP, intensiv mit diesem Thema und schaut dabei kritisch über die Ladentheke.
Teil 1: Deutsche Innenstädte: Leben und sterben lassen?
Teil 2: Tod der Innenstadt? Lang lebe der stationäre Handel
Teil 3: Kommentar: Tod der Innenstadt? Nein, sagt Zalando
Quelle: Welt.de
Teaserbild: Vincent Brassine / Lizenz CC BY-NC-ND 2.0