Die urbane Logistik schreitet mit enormen Tempo voran und entwickelt beziehungsweise erfindet sich Tag für Tag neu. Wirtschaftsingenieur Matthias Hormuth spricht im Interview über das städtische Verkehrsgeschehen und dessen Entwicklungspotenzial. Seiner Meinung nach werden autonome Fahrzeuge das Verkehrsgeschehen in Zukunft zwar beeinflussen, die Mobilität aber nicht unbedingt nachhaltiger oder effizienter machen…
Wie sehen Sie derzeit die Situation der sogenannten letzten Meile? Die Städte werden ja förmlich vom Verkehr erdrückt; speziell die Kurier-, Express- und Paket-Dienstleister (KEP) verstopfen die Straßen und parken in zweiter Reihe.
Dass der Güterverkehr in unseren Städten zunimmt, ist ein Faktum. Der Online-Handel boomt, wir alle bestellen immer mehr im Internet, Lagerflächen in den Städten werden immer kleiner und die Warensendungen immer kleinteiliger. Allein im letzten Jahr wurden über 3,5 Milliarden Sendungen in Deutschland von Paket- und Kurierdiensten befördert, das sind fast 12 Millionen Pakete pro Zustelltag. Es sind immer mehr Fahrzeuge in den Städten unterwegs und durch Angebote wie Same-day- und Same-hour-Lieferungen auch immer häufiger. Die Folgen kennen wir: Volle Straßen, Parkplatzmangel sowie schlechte Luft und Lärm. Unsere Städte stehen da vor einer großen Herausforderung.
Sie selbst bieten innerhalb der PTV Group einen ‚Route Optimiser‘ an. 30 Millionen Routen am Tag werden nach eigener Aussage mittels der Software optimiert. Wie muss man sich das genau vorstellen? Und, könnte die Software nicht auch die Situation in den Städten entschärfen?
Wir bei der PTV bieten seit 40 Jahren Lösungen zur Planung und Optimierung des Verkehrs und der Transportlogistik an. Das ist ein großer Vorteil, da die urbane Logistik ein interdisziplinäres Thema ist, bei dem Anforderungen und Rahmenbedingungen der beteiligten Akteure aus unterschiedlichen Bereichen der Stadt, dem Handel, verschiedenen Industrien und den Transportunternehmen aufeinandertreffen.
Unsere Software hilft nicht nur dabei, Routen realistisch, effektiv und kostengünstig zu planen und somit den Lieferverkehr durch weniger Fahrzeuge beziehungsweise Fahrten und weniger Kilometer zu verringern. Sie verbessert außerdem das Zusammenspiel zwischen städtischer Verkehrsplanung und den Logistikern. So lassen sich mit unseren Verkehrsmodellen etwa die Auswirkungen steigender Belastungen abbilden, um daraus dann mögliche Szenarien und neue Strategien für geeignete Infrastrukturmaßnahmen abzuleiten.
Betrachten wir mal die City-Logistik aus der Perspektive einer Drohne. Was sind die größten Herausforderungen für die nächsten zehn Jahre?
In der Logistik ist sehr viel in Bewegung und wir können gespannt sein, wie sich das städtische Verkehrsgeschehen entwickeln wird. Was in der Logistik generell gilt, ist, dass schon immer und auch zukünftig Prozesse und Aufgaben weiter optimiert werden, um damit am Ende Kosten zu sparen und gleichzeitig geltende Rahmenbedingungen wie beispielsweise Sozial- oder auch Umweltvorschriften einzuhalten. Die Einbindung neuer Technologien, wie autonome Fahrzeuge oder auch Drohnen, wird sich dabei aus ihren Vorteilen gegenüber anderen Formen des Transports ergeben – in punkto Zeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit oder eben auch wieder bei den Kosten. Wir sind in zahlreichen Forschungsprojekten aktiv, um auf neue Entwicklungen vorbereitet zu sein, neue Ansätze zu finden und diese in unseren Produkten und Lösungen umzusetzen.
Die PTV Group sagt selbst, dass autonome Fahrzeuge die Mobilität nachhaltiger und effizienter machen? Was genau ist damit gemeint und wie könnte eine Stadt die autonome Technologie für sich nutzen – gibt es dahingehend schon brauchbare Konzepte?
Autonome Fahrzeuge werden das Verkehrsgeschehen in Zukunft nachhaltig beeinflussen. Ihre Einführung allein wird aber nicht genügen, um die Mobilität nachhaltiger und effizienter zu machen. So richtig nachhaltig wird es erst, wenn auch noch weitere Bündelung von Waren- oder auch Personenströmen etwa in Form von Ridesharing dazu kommen.
Dafür bedarf es aber ganzheitlicher Konzepte, die bestehende gute Ansätze berücksichtigen. In Oslo waren wir zum Beispiel gerade an einer Studie beteiligt, die die möglichen Effekte von selbstfahrenden Autos und Mobility-as-a-Service-Angeboten auf den Verkehr aufgezeigt hat. Der größte Verkehrsrückgang zeigte sich in der Simulation für ein Szenario, in dem die heutigen ÖPNV-Nutzer bei den öffentlichen Verkehrsmitteln bleiben, während die heutigen Autofahrer auf autonomes Ridesharing umsteigen. Es ist wichtig, dass sich Städte schon heute auf zukünftige Mobilitätstrends vorbereiten und konkrete Strategien entwickeln, wie sie mit Neuerungen umgehen werden.
Schauen wir uns zum Schluss die städtische Infrastruktur an. Wie muss diese in Zukunft ausschauen, wenn wir von einer emissionsfreien Stadt sprechen? Und gibt es bereits Überlegungen, eine solche Infrastruktur in den ländlichen Raum zu projizieren? Dort fühlt man sich ja in der Regel digital wie auch in Sachen Infrastruktur abgehängt.
Es ist nicht leicht, den zukünftigen Infrastrukturbedarf zu planen. Da gibt es heute noch viele unsichere Faktoren. Wir wissen zum Beispiel nicht, welche Rolle der Autobesitz in Zukunft noch spielen wird oder wie schnell autonome Fahrzeuge nun wirklich eingeführt werden. Ganz viel hängt aber auch von lokalen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen ab. Deshalb ist es für Entscheidungsträger in Städten so wichtig, die Auswirkungen neuer Entwicklungen und Trends frühzeitig zu erkennen, diese mit ihren regionalen Voraussetzungen und Entwicklungen zu verknüpfen, um entsprechende Szenarien zu bewerten und Weichen stellen zu können.
Über Matthias Hormuth
Dipl.-Wirtschaftsingenieur Matthias Hormuth ist seit 21 Jahren in verschiedenen leitenden Positionen bei der PTV Group, dem Karlsruher Software- und Beratungshaus im Bereich Transport und Verkehr. Als Solution Director Logistics Concepts verantwortet er seit vier Jahren die Umsetzung von innovativen Lösungen und Konzepten für kundenindividuelle Fragestellungen, innovative Prototypen und Ansätze im Rahmen nationaler und internationaler Forschungsprojekte.