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Weltweit laufen Projekte, bei denen Schüler und Studierende in virtuellen Umgebungen oder mithilfe von Mixed beziehungsweise Augmented Reality lernen. Die Zukunft hat begonnen.

Eine aztekische Stadt im 15. Jahrhundert erkunden, die Funktionsweise der Niere aus nächster Nähe betrachten, das Ökosystem See und seine Bewohner retten: Schüler und Studierende haben schon heute die Möglichkeit, davon nicht nur zu hören oder zu lesen, sondern all dies zu erleben. Immersive Education nennt sich diese pädagogische Idee, die auf Videobrillen wie Oculus Rift oder Cinemizer von Zeiss, Immersionswände, 3D-Stereo-Fernseher, Sensoren und Software fußt. Microsoft hat mit Hololens eine Technologie entwickelt, die dazu geeignet ist, virtuelle und reale Umgebung nahtlos miteinander zu verschmelzen.

Der lateinische Begriff Immersio bedeutet so viel wie „eintauchen“. Bei der Immersive Educationen heißt das konkret, dass die Schüler und Lehrer in eine virtuelle Umgebung eintauchen, zum Beispiel im Cyber Classroom von Visenso aus Stuttgart. In etwa zehn Schulen bundesweit kommt diese 3D-Stereo-Lernwelt bereits zum Einsatz. Das Thomas-Strittmatter-Gymnasium in St. Georgen ist eine dieser Schulen. Dort lernen seit 2008 die Schüler in einem auf MINT-Fächer – kurz für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – spezialisierten Cyber Classroom.

Mit Oculus Rift durch Ruinen

In den unteren Klassenstufen setzen noch nur die Lehrer die Technik zur Vermittlung des Unterrichtsstoffes ein. Doch ab Klasse sieben erarbeiten sich die Schüler selbst Themengebiete, etwa die Funktion des Ohrs oder Teilchenbewegungen in magnetischen Feldern. „Mit der Entwicklung und dem Einsatz des Cyber-Classrooms reagieren wir nicht nur defensiv auf das Medienverhalten unserer SchülerInnen“, sagt der Schulleiter Ralf Heinrich. „Schule muss diese Wirklichkeit aktiv mitgestalten und innovative Technik im Sinne ganzheitlicher Bildung integrieren.“

In Deutschland und anderen Ländern, wie Tschechien, den USA, Großbritannien und Irland gibt es zahlreiche weitere Projekte und Initiativen. Das Centre for Learning Technology (CeLTech), ein Kompetenzzentrum des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), hat zum Beispiel eine virtuelle Welt entworfen, um Kindern und Jugendlichen die Verkehrsregeln im Straßenverkehr beizubringen. Bei Safe Child wenden die Schüler in zufallsbasierten Verkehrssimulationen die erlernten Regeln an, ohne sich dabei real in Gefahr zu bringen.

In Irland ist im Jahr 2014 das Modellprogramm Mission V an verschiedenen Schulen gelaufen. Schüler haben zum Beispiel historische Stätten besucht und diese später im Klassenzimmer mit einer Software nachgebaut, sodass sie mit Oculus-Rift-Headsets die Ruinen auch virtuell erkunden konnten.

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In Cambridge wiederum haben Wissenschaftler der Harvard Graduate School of Education das Mixed-Reality-Lernmodul Ecomobile zum Ökosystem See entwickelt. Ausgerüstet mit Mobilgeräten erkunden die britischen Schüler einen „echten“ See und erfahren so mehr als mit bloßen Augen. Sie nehmen Wasserproben, erheben weitere Daten und erleben im Laufe der Zeit, wie im virtuellen See Fische sterben. Anhand der Simulation erleben und verstehen sie die komplexen Zusammenhänge, die Ökosysteme charakterisieren.

Virtuelle Realität statt Leichenschau

Traditionelle Lehrstoffvermittlung, wie durch die Präsentation der Lehrkräfte, über Bücher oder Videos sind noch fester Teil des Unterrichts, aber die Pilotprojekte zeigen, Immersive Education ist eine sinnvolle Ergänzung mit hochmodernen Medien. Simulationen und virtuelle Realität sind dabei nicht nur Spielerei und spannende Innovation, bei der die Aufmerksamkeit der Schüler um bis zu 90 Prozent und die Prüfungsergebnisse um bis zu 35 Prozent steigen. Immersive Education ist auch sehr gut für Projektarbeiten in Gruppen geeignet und lässt Raum für spielerisches Lernen. Der Vorteil: Das Spielprinzip stärkt die Motivation.

Vor allem aber sprengt Immersive Education die Grenzen des traditionellen Lehrens. Schüler und Studierende haben die Möglichkeit, Lerninhalte direkt und praktisch zu erleben, die zu weit weg, zu gefährlich, außerhalb der sinnlichen Wahrnehmung oder historisch sind – ganz ohne ihr Klassenzimmer zu verlassen. Die Lehrer und Dozenten können mittels der Technik komplexe und nur schwer vermittelbare Lerninhalte ganz anschaulich präsentieren. Microsoft beispielsweise zeigt zusammen mit der Case Western Reserve Universität, wie die die Hololens-Technologie helfen kann, die Anatomie des Menschen ganz ohne Leichenschau zu studieren. Im virtuellen Raum werden Schüler wie Dozenten zu aktiven Teilnehmern statt passiven Rezipienten.

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Von diesem Potenzial können auch Unternehmen bei beruflichen Trainings und Weiterbildungen profitieren. Im Virtual Dimension Center in St. Georgen erlernen Servicetechniker in virtuellen Szenarien zum Beispiel Problemlösungen. Einen Einblick, wie sich Immersions-Techniken weiterentwickeln und welche neuen Nutzungsmöglichkeiten entstehen, gibt im September die Immersion 2015, eine Veranstaltung der Universität Sorbonne in Zusammenarbeit mit dem Smithsonian Institution und der Immersive-Education-Initiative. Schwerpunk der diesjährigen Immersion, die vom 7. bis zum 10. September in Paris stattfindet, ist Kunst und Kultur.