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Nachdem techtag-Autor Frank Feil in seinem gestrigen Blog-Beitrag gezeigt hat, wie sich Elektromobilität mit einer eigenen Photovoltaikanlage zur sinnvollen mobilen Alternative entwicklen kann, beleuchtet er heute das Thema aus einer sehr subjektiven Sicht. In seinem Kommentar lobt er die technischen Entwicklungen – und moniert eine Reichweitendiskussion, die am Status Quo vorbeigehe …

Ein Kommentar von Frank Feil

„Mit dem EQV hat Mercedes-Benz erst kürzlich die erste vollelektrischen Großraumlimousine präsentiert – und macht damit deutlich: Die Elektromobilität ist erwachsen geworden. Die Mobilitätswende ist in vollem Gange – und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis vollelektrische Fahrzeuge ihren Verbrennerkollegen den Rang ablaufen werden. Der ein oder andere will das zwar noch nicht ganz wahr haben und glaubt weiterhin an ein Comeback des Diesels. Und wieder andere sehen im Wasserstoff die Antriebstechnologie der Zukunft. Aber zumindest für den Moment scheinen sich fast alle großen Autohersteller auf batteriebetriebene Elektroautos zu konzentrieren.

Lange Zeit prägten Modelle wie der Renault Zoe oder BMW i3 das Bild vom Elektroauto als Zweitwagen für umweltbewusste Besserverdiener: 30.000 bis 45.000 Euro für einen Kleinwagen, in dessen Kofferraum gerade mal zwei Kisten Wasser Platz finden? Und das bei einer Reichweite von gerade mal 200 bis 250 Kilometern? Definitiv kein Auto für die Massen. Eher eine nette Spielerei für die Stadt. Ach ja, und dann wäre da noch Tesla – mit Fahrzeugen, bei denen der Konfigurator schnell die 100.000 Euro Marke knackt. Auch keine wirkliche Alternative.

Derweil tat sich insbesondere bei den deutschen Autoherstellern lange Zeit nichts. Doch nun kommt langsam Schwung in die Sache, wie der neue Mercedes-Benz EQV zeigt.

Elektrische Familienkutsche

Während sowohl der Mercedes-Benz EQC als auch der Audi e-tron verhältnismäßig kleine SUVs sind, ist der EQV eine echte Großraumlimousine mit bis zu acht Sitzen. Trotz seiner Größe schafft der EQV laut Hersteller rund 405 Kilometer und kann in 45 Minuten von 10 auf 80 Prozent geladen werden.

Im Alltag dürfte sich die Reichweite des EQV dann irgendwo bei 300 Kilometern einpendeln, was für ein Fahrzeug dieser Größenordnung immer noch ein guter Wert ist. Denn man muss sich vor Augen führen, an wen sich das Auto richtet:

  • einerseits Familien, die komfortabel und mit ausreichend Platz unterwegs sein möchten. In rund 90 Prozent aller Fälle (Wochenendausflüge, Einkäufe, etc.) reichen dafür die 300 bis 400 Kilometer vollkommen aus. Einzig beim Jahresurlaub wird man an die Ladesäule müssen. Da man mit Kindern aber im Regelfall sowieso nach 300 Kilometern eine Pause einlegt, sind die 45 Minuten am Stromkabel durchaus verkraftbar.
  • andererseits gewerbliche Kunden. Hier dürfte der EQV in erster Linie als Shuttle für Unternehmen, Hotels, Flughäfen und Veranstaltungen zum Einsatz kommen. Dabei zählen in erster Linie Komfort und das grüne Image. Die Reichweite auf langen Strecken spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Preise nannte Mercedes-Benz für den EQV noch nicht, aber dass die erste elektrische Großraumlimousine der Stuttgarter kein Schnäppchen wird, dürfte jedem klar sein.

Elektromobilität wird alltagstauglich

Lange Zeit musste sich die Elektromobilität dafür kritisieren lassen, dass die verfügbaren Fahrzeuge zu klein und zu teuer sind, sowie in Anbetracht der schlechten Ladeinfrastruktur  eine zu geringe Reichweite besitzen. Anders ausgedrückt: Elektroautos wurde die Alltagstauglichkeit abgesprochen. Fahrzeuge wie der Mercedes-Benz EQV beweisen, dass diese Zeiten nun vorbei sind und die Elektromobilität erwachsen geworden ist. Die Großraumlimousine bietet genug Platz für die ganze Familie und mit bis zu 400 Kilometern auch genug Reichweite.

Zudem baut Ionity (ein Joint Venture an dem auch Mercedes-Benz beteiligt ist) sein Netz an Schnellladestationen kontinuierlich aus. Mehr als 100 Standorte gibt es bereits, weitere sind geplant. Dadurch können Besitzer von Elektroautos bald schon problemlos auf Deutschlands Autobahnen größere Strecken zurücklegen, ohne sich Sorgen um die Schnelllade-Infrastruktur machen zu müssen. Und mit dem Wissen, alle 300 Kilometer maximal einen Stopp von 40 Minuten einlegen zu müssen, werden sich mehr und mehr Autofahrer auf das „Abenteuer Elektromobilität“ einlassen.

Grundsätzlich wird die Elektromobilität dazu führen, dass wir unser Verständnis von „Reichweite“ überdenken werden. Denn es gibt zwar Diesel-Fahrzeuge, die 1.000 Kilometer mit einer Tankfüllung zurücklegen können, allerdings nur wenige Menschen, die eine solche Distanz am Stück durchfahren, ohne nicht mindestens eine oder zwei Pausen à 30 Minuten einzulegen. Und genau das ist der springende Punkt: Die absolute Mehrheit der Autofahrer bräuchte noch nicht einmal ein Reichweite von 250 Kilometern, da hierzulande am Tag selten mehr als 30 bis 40 Kilometer pro Auto zurückgelegt werden. Die „Reichweitenangst“ war schon immer nur ein psychologisches Problem, kein reales.“