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Digital Detox, die Entgiftung von digitalen Geräten scheint weltweit und Deutschland immer beliebter zu werden. Erst kürzlich erhielt ich von einer Bekannten über Facebook eine Einladung zu einem sogenannten „Offline Adventures“, das sich als Hüttenwochenende in den Bergen Bayerns entpuppte. Bloß ohne Smartphone, Wifi und die damit verbundenen Unterbrechungen in Form von Push-Nachrichten.

Die Sehnsucht nach dem Abschalten

Digitale Geräte wie Computer, Tablet und Smartphone sollen uns eigentlich den Alltag erleichtern. Doch warum haben dann einige Menschen das Bedürfnis danach, sich von diesen Helfern zu entfernen? Woher kommt diese Sehnsucht nach dem Abschalten?

Ich glaube, die Menschen, die sich nach Digital Detox sehnen, haben die Macht über die Technik verloren. Ob eine E-Mail, eine WhatsApp- oder eine Facebook-Nachricht: Im Wesentlichen sind diese nichts anderes, als die unerlaubte Zusendung von Aufgaben. Wenn es piept, bekommt der, der sich nicht mehr unter Kontrolle hat, das Gefühl, sofort reagieren zu müssen. Derjenige fühlt sich kontrolliert, anstatt selbst die Kontrolle zu haben.

Entgrenzung von Arbeit & Freizeit

Digitale Geräte haben es uns ermöglicht, flexibel für jeden, auch den Chef und Kollegen, erreichbar zu sein. Morgens beim Pendeln auf dem Weg ins Büro schon die E-Mails lesen zu können, ist für die einen Segen, für die anderen Fluch. Die einen schätzen es, schon zu wissen, was sie an diesem Tag erwartet, die anderen können nach Feierabend vielleicht gar nicht aufhören, sich der Arbeit zuzuwenden und das Abschalten gelingt nicht. Während die einen an der „Work-Life-Balance“ festhalten, kritisieren die anderen, dass das Konzept der Trennung von Arbeit und Leben längst überholt sei.

Interessanterweise beobachte ich gerade bei den Digital Affinen, also den Personen, deren Job die Arbeit mit digitalen Medien ausmacht, eine Sehnsucht nach dem Offline-Sein. Meine Freundin mit dem Hüttenwochende ist nur eine davon. Auch Ulrike Stöckle, Inhaberin der Agentur nachhaltig kommunizieren, veranstaltet sogenannte „Digital Detox Camps“. Auf meine Frage, was die Teilnehmer zu so einem Wochenende führt, sagt sie, dass es den Teilnehmern schwer falle, abzuschalten. Darunter leide die Konzentration – Aber das Gerät auszuschalten, sei eben auch unmöglich, man wolle trotzdem erreichbar sein für Partner, Kinder, Freunde und die Arbeitskollegen.

Effekte des Digital Detoxing

In ihren Camps lernen die Teilnehmer deshalb, sich einmal wieder auf sich selbst zu fokussieren: Durch Achtsamkeitsübungen und das Genießen mit allen Sinnen. Nach einem Tag ohne Smartphone (die Smartphones werden vor dem Wochenende von den Organisatoren weggeschlossen) und viel Zeit in der Natur spüren die Teilnehmer, dass sie sich wieder viel leichter auf etwas konzentrieren können und sich gelöster fühlen. Durch Bogenschießen, Tai-Chi-Übungen und das gemeinsame Kochen gibt es insgesamt eine positive Gruppendynamik, die mit dazu beiträgt, dass die Teilnehmer am Ende des Wochenendes ihr Smartphone überhaupt nicht mehr einschalten wollen.

Ihren persönlichen „Aha-Moment“ hatte Ulrike Stöckle vor drei Jahren, als sie mit ihrem Sohn einfach einen schönen Urlaub verbringen wollte – dieser sie aber regelmäßig vor dem Laptop mit Arbeit wiederfand. Ihr Sohn habe sie vor Burn-out gewarnt und schließlich wachgerüttelt: „Er wollte mit mir an den Strand und nicht, dass ich ständig vor diesem Ding sitze“, so Stöckle.

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Musste auch erst lernen, „den Stecker zu ziehen“: Ulrike Stöckle, Initiatorin von THE DIGITAL DETOX (Bild: THE DIGITAL DETOX)

Wie bei der Raucherentwöhnung seien die Teilnehmer zu Beginn des Programms hochmotiviert. An den zwei Tagen entwickelt jeder für sich Regeln, wie er oder sie zukünftig mit dem Smartphone im persönlichen als auch im beruflichen umgehen möchte. Manche Teilnehmer sind Wiederholungstäter bei ihren Camps: Sie kommen immer wieder, weil sie sich bewusst diese Auszeit gönnen wollen. Manche entwickeln den Wunsch, in ihrem Unternehmen etwas zu verändern und buchen Ulrike Stöckle für die komplette Belegschaft, um zu lernen, mit dem „digitalen Müll“ besser umzugehen und nachhaltiger zu kommunizieren.

„Die böse Technik“ – Echt jetzt?

Schnell wird verallgemeinert und die Technik dafür verantwortlich gemacht, wenn Kinder und Jugendliche sich in Gruppen zusammenscharen und nebeneinandersitzend über Snapchat und WhatsApp chatten. Spätestens alle 18 Minuten wird das Smartphone auf neue Nachrichten geprüft. Eltern kommen so in die Bredouille: Das Handy wegsperren oder riskieren, das Kind durch das Handyverbot indirekt vom Freundeskreis auszuschließen? Manche Teilnehmer des Digital Detox Camps beteuern, sie würden bloß wegen ihres Kindes kommen, berichtet Stöckle. Oftmals ist es anders: Gerade die Eltern sind ein schlechtes Vorbild – sie hielten sich selbst nicht an die Verhaltensregeln, die sie ihrem Kind auferlegen würden.

Wer sein Verhalten mit dem Smartphone selbst nicht kontrollieren kann, der wird an öffentlichen Orten, z. B. in Cafés, eingeschränkt: Sie kokettieren mit Sprüchen wie „Wir haben kein Wifi, unterhaltet euch!“ vor dem Eingang und wenn man in der Bar eine Gruppe von Freunden sieht, deren Tischmitte ein Stapel Smartphones schmückt, weiß jeder Bescheid, welche Regel hier gilt: Die Runde geht auf denjenigen, der als erstes zum eigenen Smartphone greift.

Einen Versuch ist es wert: Wer in Gesellschaft bewusst sein Smartphone wegpackt, tut nicht nur sich sondern auch seinen Gesprächspartnern eine Freude. (Bild: ViewApart/ iStock/ Thinkstockphotos)
Einen Versuch ist es wert: Wer in Gesellschaft bewusst sein Smartphone wegpackt, tut nicht nur sich sondern auch seinen Gesprächspartnern eine Freude. (Bild: ViewApart/ iStock/ Thinkstockphotos)

Mein Selbstversuch als Social Media Addict

In meinem Freundeskreis ist es keine Seltenheit, dass sich immer mal wieder jemand eine „Facebook-Pause“ oder ein „Tech-Shabbat“ verordnet – bevorzugt übers Wochenende oder dann, wenn wie in den Sommerferien, sowieso weniger los ist. Auch ich habe bereits mehrere Selbstversuche hinter mir, was den bewussteren Umgang mit digitalen Geräten angeht. Als ich 9 Tage offline auf einem Kreuzfahrtschiff verbrachte, erlebte ich seit 6 Jahren zum ersten mal wieder, wie es ist, ohne Einfluss von außen, ohne Medien, ohne die Werbung, ohne den ständigen Vergleich zwischen dem eigenen und dem Leben anderer zu sein. Mir wurde bewusst, wie leicht es fällt, dank der sozialen Medien dem Glauben zu verfallen, dass das Gras auf der anderen Seite immer viel grüner sei. Auf der Kreuzfahrt habe ich es dann schlicht genossen, ohne jeglichen Einfluss von außen zu leben.

Wenn ich mit Freunden ausgehe, lasse ich ab und an auch das Smartphone Zuhause. Ich bemerke, wie ich aufmerksamer zuhöre und mich voll und ganz auf die andere Person konzentrieren kann – nicht nur auf das Gesagte, auch die Mimik und Körpersprache nehme ich wieder feiner wahr, als wenn mein Handy griffbereit neben mir und meinen Gesprächpartnern auf dem Tisch liegen würde. Ich glaube, das ist das, was sich „Achtsamkeit“ nennt.

Bereits seit drei Jahren gehe ich nur noch mit ausgeschaltetem Handy schlafen, sodass mich keine Nachricht bei meiner Erholung stören kann. Angeblich soll das Einschlafen auch leichter fallen, wenn man bereits zwei Stunden vor dem Zubettgehen auf die Nutzung jeglicher digitaler Geräte verzichtet. Als Selbstständige gelingt mir das nicht immer, aber immer öfter. Vor einem halben Jahr kam das Abschalten der Push-Nachrichten hinzu. Doch auch das schien noch nicht genug.

Als ich mich in meinem letzten Urlaub dabei ertappte, dass ich stets die erste halbe Stunde des Tages noch im Bett liegend mit Facebook verbrachte, entschloss ich mich für einen Cut: Seit ich wieder in Deutschland bin, habe ich die Facebook-App für die Pflege meines persönlichen Profils sowie den Facebook Messenger vom Smartphone deinstalliert. Das ist jetzt einen Monat her. Seitdem bin ich ausgeglichener und merke vor allem: Es reicht auch, wenn ich Facebook am Laptop anschaue. Ich muss nicht auf jede Nachricht sofort reagieren. Vor allem aber habe ich das Gefühl: Ich bestimme meine Zeit, und nicht die Anforderungen anderer.

Vorschläge für Digital Detoxing im Alltag:

Ob Sie gleich ein Camp brauchen, um in den Genuss von Offlinezeiten zu kommen, oder ob es Ihnen reicht, wenn Sie im Alltag bewusster mit den digitalen Helfern umgehen – Hier sind ein paar direkt umsetzbare Tipps:

  • Kaufen Sie sich einen analogen Wecker. Wenn morgens der erste Griff nicht zum Smartphone geht, ist es einfacher, dem sofortigen Antworten auf Nachrichten anderer zu widerstehen.
  • Reservieren Sie sich für das Lesen & Beantworten von E-Mail bestimmte Zeitfenster am Tag, z. B. morgens, mittags und vor Feierabend jeweils 15 Minuten.
  • Deaktivieren Sie alle Push-Nachrichten auf Ihrem Smartphone.
  • Aktivieren Sie den Flugmodus Ihres Smartphones, wenn Sie sich schlafen legen.
  • Testen Sie es mal: Treffen Sie sich mit Ihren Freunden und lassen Sie Ihr Smartphone Zuhause – oder zumindest im Flugmodus in der (Hosen-)tasche. Wie ergeht es Ihnen damit? Stellen Sie eine Veränderung fest?

Was meinen Sie, braucht es in der Gesellschaft eine neue Etiquette im Umgang mit den digitalen Geräten? Fühlen Sie sich gestresst, wenn Sie zu viel mit digitalen Geräten arbeiten? Welche Verhaltensregeln haben Sie schon ausprobiert?

 

Verraten Sie uns bis zum 30.09.2016 in den Kommentaren unter diesem Artikel oder auf Facebook, was Ihre Vorschläge für Digital Detoxing im Alltag sind und gewinnen Sie Tickets fürs nächste Digital Detox Camp. Die Initiatorin der Digital Detox Camps, Ulrike Stöckle, verlost unter allen Kommentaren auf Facebook und im Blog zwei Tickets für ihr nächstes Digital Detox Camp am 7. und 8. Oktober in der Pfalz (mehr Infos hier).