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Eine globalisierte Welt ist 365 Tage im Jahr, sieben Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag am rotieren. „Computer können mit diesem Arbeitstempo problemlos Schritt halten. Aber Menschen brauchen auch Pausen“, betont Wirtschaftswissenschaftler Dirk Nicolas Wagner und deshalb gewinne die Achtsamkeit in einer modernen Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung.

Beim Wissenschaftsdienstag der Veranstaltungsreihe EFFEKTE referierte der Dekan der Fakultät „Betriebswirtschaft & Management“ an der Karlshochschule International University Anfang November 2018 über die Chancen und Risiken von Personalmanagement in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt. „Die Automatisierung stellt die Menschheit vor großen Herausforderungen“, stellte Wagner klar. Bereits heute sei der Mensch teilweise das schwächste Glied in einer digitalisierten Produktionskette und trotzdem für die Überwachung von hochkomplexen Automaten verantwortlich.

Problematisch wird die Entwicklung laut Wagner vor allem dann, wenn Menschen die Anweisungen der Computer ohne die Einbeziehung ihres eigenen Urteilsvermögens in die Tat umsetzen müssen, denn dadurch werde der Mensch Schritt für Schritt zu einem Rädchen in der automatisierten Welt degradiert. „Das nimmt zum Teil bizarre Züge an“, betonte Wagner. In einer schwedischen Firma hätten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits Computerchips in ihren Handgelenken implantiert, um die Arbeit effizienter zu gestalten und das Mittagessen leichter bezahlen zu können. Und selbst bei hochkomplexen Systemen seien Fehler nicht gänzlich zu vermeiden, das hätten Unfälle mit autonom gesteuerten Fahrzeugen bereits auf tragische Art und Weise aufgezeigt.

„Wir müssen uns künftig Gedanken machen, wie gute Teamarbeit von Menschen und Maschinen aussehen kann“, appellierte Wagner. Dafür müssten die entsprechenden Technologien entwickelt und der Mensch bei der Organisation der Arbeit in den Mittelpunkt gestellt werden. Entscheidend sei jedoch aller Voraussicht nach die gute Kommunikation zwischen den menschlichen Beschäftigten. „In komplexen Systemen kommt es auf die Wahrnehmung jedes Einzelnen an. Dann können auch künftig Emotionen und moralische Wertvorstellungen die Arbeit bestimmen“, so Wagner, der seine These durchaus als Gegenentwurf zum rationalisierten „homo oeconomicus“ in einer modernen Arbeitswelt versteht. Der kontrovers diskutierten These, dass aufgrund der Digitalisierung und Automatisierung bereits in wenigen Jahren rund 50 Prozent aller derzeitigen Arbeitsplätze verschwunden sein. werden, stimmt Wagner übrigens nicht zu. „Es wird neue Tätigkeiten und neue Arbeitsfelder geben. Manche Menschen werden sicherlich von Arbeitslosigkeit betroffen sein. Trotzdem wird es keinen generellen Beschäftigungsmangel geben“, so Wagner.

„Digitalsierung bringt Arbeitsplätze nach Deutschland zurück“

Nach Einschätzung von Wirtschaftsingenieur Steffen Kinkel sorgt die Digitalisierung in Deutschland künftig sogar für mehr Arbeitsplätze. „Es wird nicht mehr nur dort produziert, wo es am günstigsten ist. Sondern dort, wo auch die Kunden sitzen“, prognostizierte der Professor der Fakultät für Informatik und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft. In den letzten Jahrzehnten des vorherigen Jahrhunderts wurden zwar globale Wertschöpfungsketten aufgebaut und immer mehr Produktionsprozesse zur Kostensenkung in Billiglohnländer ausgelagert. Inzwischen würden aber die Einzelkomponenten von standardisierten Produkten wie einem Smartphone in mehreren Ländern gefertigt und das sorge für eine gewisse Trägheit. „Jedes System ist nur so stark wie das schwächste Glied in der Kette und das sind in diesem Fall die Produktionsanlagen mit der geringsten Effizienz“, sagte der ehemalige Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI).

Gründe für eine Rückverlagerung von Produktionsprozessen sind laut Kinkels Studie „Bringt die Digitalisierung die Produktion zurück nach Deutschland?“unter anderem auch die Qualitätsprobleme bei der Herstellung von komplexen Bauteilen im Ausland. „Deutsche Firmen haben den Anspruch, sich als Qualitätsführer auf dem Weltmarkt zu positionieren“, so Kinkel. Werden komplexe Tätigkeiten ausgelagert, dauert es laut Kinkels Schätzung aber zwei bis drei Jahre, bis die aus anderen Kulturkreisen stammenden Arbeiterinnen und Arbeiter entsprechend eingelernt sind. „Diese Zeit will sich heute kaum jemand mehr nehmen“, so Kinkel, und wegen der zunehmenden Geschwindigkeit der Produktionsprozesse werde auch die zeitintensive Verschiffung von Komponenten aus Ostasien nach Europa für den Spezialmaschinenbau in Deutschland zunehmend unattraktiver.

Laut einigen repräsentativen Umfrageergebnissen sind die große Wellen der Verlagerungen aus den 1990ern und nach der Osterweiterung der EU in den vergangenen Jahren deutlich abgeebbt und zudem gibt es mittlerweile einen echten Trend zu Rückverlagerungen. Deutschlandweit betrieben in den vergangenen Jahren rund 500 Betriebe aktiv die Rückverlagerung von Produktionsprozessen. Allerdings werden solche strategischen Entscheidungen nach Kinkels Erkenntnissen nur selten an die große Glocke gehängt. Er kennt auch den Grund für diese öffentliche Zurückhaltung: Internationalisierung sei eben ein echtes Trendthema und der Rückverlagerung hänge immer noch der Makel des Scheiterns an.

Um die Kosten der Produktion in Deutschland weiter zu senken und die Qualitätsstandards gleichzeitig zu erhöhen, muss nach Kinkels Einschätzung allerdings die Digitalisierung in der Produktion weiter vorangetrieben werden. In fast der Hälfte der deutschen Betriebe sei die Industrie 4.0 nämlich noch gar nicht angekommen. „Das ist sicherlich frustrierend und bisher tapsen die meisten Firmen noch sehr langsam in Richtung Digitalisierung“, so Kinkel. Dass die Digitalisierung in ferner Zukunft einmal doch ihre eigenen Kinder frisst und den Menschen in den Produktionshallen die Arbeit wegnimmt, befürchtet Kinkel allerdings nicht. „Durch die Automatisierung wird normalerweise bei gleicher Mannschaftsgröße das Produktionsvolumen erhöht und dadurch werden dann die Gesamtkosten gesenkt“, betonte Kinkel. Das Hauptproblem in der Produktion sei derzeit ohnehin vor allem der Fachkräftemangel. Deshalb müssten die Studierenden von heute bereits deutlich interdisziplinärer aufgestellt werden, um die künftigen Herausforderungen der Industrie 4.0 als Schnittstelle zwischen Maschinenbau und Informatik zu meistern.

Wertvorstellungen werden häufig schon in der Jugend geprägt

„Lebt man, um zu arbeiten oder arbeitet man, um zu leben?“. Diese Frage wird nach Einschätzung des Theologen Alexander Weihs in einer globalisierten Welt mit einem steigenden Grad an Flexibilität künftig an Bedeutung gewinnen. Für den Leiter des Instituts für Katholische Theologie an der Pädagogischen Hochschule (PH) Karlsruhe haben Menschen heute nämlich deutlich mehr Auswahlmöglichkeiten als jemals zuvor. Die Kehrseite dieser Medaille ist für Weihs allerdings eine wachsende Unsicherheit bezüglich der eigenen Lebensplanung. „Frühere Sicherheiten schwinden zunehmend. und deshalb hat jeder Mensch die Notwendigkeit, sich seinen eigenen Lebensentwurf selbstständig zu erarbeiten“, betonte Weihs bei seinem Vortrag über die „Aufgabe Biografie“. Dafür müsse aber jeder Einzelne seinen bisherigen Lebenslauf deuten und durch die Beantwortung von Fragen wie „Was ist mir wichtig?“, „Wie möchte ich leben?“ oder „Wer möchte ich sein?“ sein individuelle Zukunftsszenario entwerfen.

Der persönliche Wertekanon wird laut Weihs` Forschungen bei vielen Leute bereits während der Jugendjahre festgelegt. „Hat der Mensch eine gewisse Reife erreicht, neigt er dazu, seine Wertvorstellungen immer wenige zu ändern“, verwies Weihs auf die aktuelle Shell Jugendstudie. Überspitzt formuliert bedeutet das für Weihs. „Der Schulstoff des Faches Physik ist nach wenigen Jahren weitgehend vergessen. Die in der Kindheit vermittelten Wertvorstellungen halten dagegen ein Leben lang.“

Dass Jugendliche trotz dieser Erkenntnisse nicht durch autoritäre Vorgaben geprägt werden könnten, habe aber nicht zuletzt die kritische Leitbilddebatte der 1960er Jahre gezeigt. „Junge Leute wollen nicht so borniert sein wie die Eltern, nicht so pedantisch wie die Lehrkräfte und nicht so humorlos wie die Vorgesetzten“, so Weihs. Die Suche nach den richtigen Vorbildern ist nach Weihs` Erfahrung aber kein einfaches Unterfangen. Die Fixierung auf übermächtige Subjekte begünstige nämlich autoritäre Einstellungen und rücke alleine die Erfolgreichen ins Blickfeld. Außerdem beinhalte die Fixierung auf allzu leuchtende Vorbilder die Gefahr der Überforderung und der Frustration. Weihs` Tipp: Jugendliche sollten sich Vorbilder aus dem Trainerstab des Sportvereins oder dem nachbarschaftlichem Umfeld suchen.

Bis zum Mai 2019 gibt es jeden Monat einen EFFEKTE-Wissenschaftsdienstag auf dem Gelände des Alten Schlachthofs. In wechselnden Locations kommen Karlsruher Wissenschaftler auf die Bühne, um ihre aktuellsten Forschungsprojekte und –arbeiten zu präsentieren. Thema der Wissenschaftsreihe „EFFEKTE“ ist dieses Mal „Karlsruhe 4.0“ und bereitet auf das nächste Wissenschaftsfestival EFFEKTE im Jahr 2019 vor, bei dem sich Karlsruhe vom 29. Juni bis 7.Juli zum 4. Mal in ein riesiges Mitmach- und Experimentierlabor verwandelt.

Das Wissenschaftsfestival EFFEKTE wird seit dem Sommer 2013 alle zwei Jahre vom Wissenschaftsbüro der Stadt Karlsruhe veranstaltet. Bei den Sommerevents präsentieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Region mehrere Tage lang ihre aktuellen Erkenntnisse in kurzweiligen Vorträgen und spektakulären Shows den Bürgerinnen und Bürgern.

In der Saison 2018/19 widmet sich die EFFEKTE-Reihe unter dem Motto „Karlsruhe 4.0“ den digitalisierten Arbeitswelten und zwischen Juni und Oktober gingen an mehreren Spielstätten auf dem Gelände des Kreativparks Alter Schlachthof bereits Wissenschaftsdienstage zu den Themen „Digitalisierung: Risiken, Gefahren und Lösungen“, „Energieversorgung von Morgen“, „Visionen vom Lehren und Lernen“, „Material- und Robotikforschung“ sowie „Future Design“ über die Bühne. Am 4. Dezember geht es ab 18 Uhr im Substage mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl und Atomkritiker Rainer Moormann um das Thema „Thorium: Atomkraft ohne Risiko?“. Am 8. Januar 2019 steht ab 19.30 Uhr im Tollhaus das Thema „Robotik“ auf dem Programm, am 5. Februar geht es ab 19.30 Uhr im Substage um „Arbeitswelten der Zukunft“, am 12. März ab 19.30 Uhr im Tollhaus um „Umwelt und Katastrophen“, am 2. April um 19.30 Uhr in Substage Cafe um das Thema „Dem Gewimmel auf der Spur“ und am 7. Mai läutet der Wissenschaftsdienstag „Faszination Leben 4.0“ ab 19.30 Uhr im Substage Cafe den Endspurt aufs Wissenschaftsfestival EFFEKTE Ende Juni in der Stadt und im Otto-Dullenkopf-Park ein.