Lesedauer ca. 6 Minuten

Guter Journalismus kostet Geld. Zwar sind zahlreiche Artikel im Netz umsonst, immer mehr werden jedoch mit Paywalls monetarisiert. „Zeitungen am Kiosk gibt es schließlich auch nicht umsonst“, sagt Jonas Lerch von Articlett. „Die Frage ist nur, wie wird man wirklich gut informiert, ohne dass man für jedes Magazin ein Abo braucht?“

Ähnlich wie bei Spotify und Netflix könnten in Zukunft auch journalistische Inhalte über Plattformen zum Monatstarif abgerufen werden. Articlett macht mit seiner bahnbrechenden App den Anfang.

Jonas, Tageszeitung oder Handy?

Ganz klar Handy. Das Ritual, morgens eine Tageszeitung zu lesen, um gut informiert zu sein, wird obsolet. Vor allem bei der jüngeren Generation sind Tageszeitungen wenig bis gar nicht gefragt.

Früher dachte man immer, wenn man eine Zeitung gelesen hat, hätte man auch eine Meinung.

Bei vielen Themen ist es schwierig, sich eine Meinung zu bilden. Damit man verschiedene Standpunkte vergleichen kann, braucht man Zugriff auf mehrere Artikel, die dasselbe Thema behandeln. Das ist bei einer Zeitung und auch bei Magazinen nicht der Fall.

Also wirklich das Ende der Printmedien?

Was viele Jahre im Print-Bereich funktioniert hat, das funktioniert so nicht mehr. Mit Printangeboten erreicht man immer weniger Kunden. Auch mit digitalen Magazinen kann das nicht kompensiert werden.

Das Problem ist ja, dass man im Internet kaum noch Artikel kostenfrei lesen kann …

Ja, und das ist auch richtig. Schließlich gibt es am Kiosk ja auch keine Zeitung umsonst. Das Problem ist eher, dass, um Artikel zu lesen und deren Autor:innen zu unterstützen, kaum ein Weg an exklusiven Voll-Abos vorbeiführt. Und da sind wir ja wieder beim Problem, dass es dann schwierig und kostspielig wird, sich umfassend zu informieren.

Ihr habt an einer Alternative gebastelt, die bahnbrechend ist.

Wir haben uns überlegt, dass wir eine Lösung brauchen, mit der man übergreifend lesen kann, so wie wir es auch von Spotify und Netflix kennen. Keiner kauft mehr CDs und DVDs. Weil einem manchmal nur ein Lied gefällt. Genauso ist es auch mit den Medien. Die Idee war, ein Abo zu entwickeln, das durch den Zugriff auf viele unterschiedliche Medien sowohl für Vielleser:innen als auch für Gelegenheitsleser:innen geeignet ist. Unser Ansatz sieht so aus: Wir bündeln alle Artikel, die dasselbe Thema behandeln. Für diese Sortierung haben wir eine KI entwickelt.

Und wie wird dieser Service abgerechnet?

Ähnlich wie bei einem Mobilfunkvertrag. Man wählt den passenden Tarif aus und erhält sogenanntes Wortguthaben. Dieses Wortguthaben gilt für alle Artikel unserer Partner:innen. Das Abo ist monatlich kündbar.

Haben die Verlage verstanden, wohin es in Zukunft gehen muss?

Wir haben mit vielen Zeitungsverlagen gesprochen. Das Feedback war eindeutig. Sie alle klagten darüber, dass sie junge Leute, die ja irgendwann den Hauptkundenstamm ausmachen, nicht erreichen. Deshalb sind die Verlage, gerade was junge Menschen anbelangt, sehr offen, mit uns zu kooperieren und neue Lösungen auszuprobieren.

Was ist mit den Pay-per-Article Modellen, wie zum Beispiel Blendle?

Diese Paymodelle lohnen sich für die Publisher nicht. Kaufpsychologisch ist das sehr ungünstig, wenn man sich jedes Mal, wenn man einen Artikel lesen will, entscheiden muss, ob man ihn kauft oder nicht. Am Ende gibt man weniger Geld aus. Da haben auch die Zeitungen nichts davon. Deshalb wollten wir auf jeden Fall ein Abo-Modell entwickeln, mit dem wir für einen festen Betrag, aber mit verschiedenen Tarifen unterschiedliche Lesebedürfnisse abdecken können.

Das funktioniert aber ja nur, wenn ihr ein ganz breites Medien-Portfolio bedient ….

Was Zeitungen anbelangt, ist unser Ziel, von regional bis international alles abbilden zu können. Bei Magazinen wollen wir darüber hinaus auch Journalismus bieten aus Perspektiven, die nicht so geläufig sind, wie zum Beispiel zu Beiträgen aus migrantischen oder feministischen Perspektiven. Vielfältiger Journalismus ist uns wichtig. Und natürlich auch Wissenschaftspublikationen, die einen einfachen Zugang zu Wissenschaft schaffen. Aber auch gerne speziellere Themen, die sich eher an ein Fachpublikum richten. Wir versuchen ständig, unser Angebot zu erweitern.

Aber e-Paper-Flatrates gibt es doch bereits …

Das stimmt. Readly ist da zum Beispiel ein sehr erfolgreiches Modell. Aber dieses richtet sich eher an eine ältere Zielgruppe. An die nämlich, die mit Print-Produkten aufgewachsen sind und sich auch nichts anderes vorstellen können. Sie lesen ihre Zeitungen oder Magazine online, oftmals als PDF. Damit braucht man jungen Leuten allerdings nicht kommen.

Wichtig sind Einzelartikel, Feeds oder Story-Funktionen. Letztere sind mittlerweile etablierte Nutzungsmechaniken in den sozialen Medien, wo wir dann die einzelnen Artikel automatisiert im Storyformat aufbereiten. Dieses Format ist bei uns sehr beliebt.

Ihr werbt außerdem damit, filterblasenfrei zu sein …

Die meisten Plattformen benutzen Algorithmen, die lernen, was uns gefällt und uns automatisch immer mehr davon liefern. Das ist praktisch. Allerdings: Wenn wir nur lesen, was unsere Meinung bestärkt, verengt sich auch unser Horizont. Das Ziel der meisten Plattformen ist, dass wir möglichst viel Zeit bei ihnen verbringen, weil das die Werbeerlöse steigert. Wir wollen lieber, dass unsere Leser viel Zeit mit Articlett verbringen und das ihren Tag bereichert. Unser Dashboard ist und bleibt für immer filterblasenfrei.

Keine einfache Aufgabe, den Markt umzuwälzen – vor allem für die ältere Generation …

Es ist ja kein Geheimnis: Die Verlage haben sich lange die Augen zugehalten vor der Realität. Besonders der Lokaljournalismus ist extrem problematisch. Da gibt es Verlage, die die Digitalisierung komplett verschlafen haben und bis heute kein eigenes konkurrenzfähiges Produkt zu ihrem eigenen Printangebot haben. Sie haben komplett den Anschluss an jüngere Zielgruppen verloren und erzielen da gar keine Reichweite mehr. Viele sperren sich noch gegen neue Angebote. So langsam ist aber auch hier ein Umdenken spürbar und die Einsicht, dass es nicht mehr so funktionieren wird wie bisher.

2020 wart ihr im CyberLab Accelerator. Wenig später habt ihr euer Unternehmen gegründet. Wie hilfreich war der Inkubator?

Die Zeit im Accelerator-Programm des CyberLab war für uns enorm wichtig. Zum einen wegen der Community und wegen des Netzwerks. Der gegenseitige Austausch und die Unterstützung waren gerade in der Gründungsphase ein großer Gewinn. Aber auch im Hinblick auf die Mentoren, die uns bis heute mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Ihr habt eine riesige Marketing-Kampagne ausgerollt. Eure Plakate sah man an Bahnhöfen und auf Videoscreens …

Ja, wir haben marketingtechnisch Einiges auf die Beine gestellt. Vom klassischen online-Marketing, Instagram, die riesige Kampagne an Bahnhöfen, Plakatwerbung, Postkarten bis hin zu Kooperationen mit Asta-Verbänden. Darüber hinaus haben wir das Presse-Freiheitsquartett produziert, wo wir 32 Journalist:innen vorstellen, die in anderen Ländern für ihre Arbeit eingesperrt oder ermordet wurden. Per QR-Code kann man in unserer App mehr über das Schicksal dieser Personen lesen.

Im Moment richtet sich euer Angebot an Studierende …

Ja, das liegt daran, dass wir einen guten Draht zur dieser Zielgruppe haben und sie relativ leicht erreichen können. Langfristig ist Articlett für alle gedacht.

Werbung ist auf eurer App tabu?

Bei Articlett gibt es keine Werbung, das ist uns ganz wichtig. Lediglich bei den kostenfreien Inhalten kann Werbung enthalten sein, denn die werden ja vom jeweiligen Publisher über einen Browser hochgeladen.

 

 

Foto: © Karlsruher Institut für Technologie