Kein Witz: Es gibt Unternehmen, die Mitarbeitende bezahlen, die seit über zehn Jahren nicht mehr im Unternehmen beschäftigt sind. Besonders in global agierenden Unternehmen ist das keine Seltenheit. Das passiert immer dann, wenn Personalabteilungen wenig Überblick über ihre internationalen HR-Prozesse haben. Und es ist längst nicht das einzige Problem. Was hier – auch bei KMUs – Abhilfe schafft, erzählt Christina Haury von Haury Solutions im Interview.
Gute HR-Prozesse sind ein Wettbewerbsvorteil. Warum?
Durch die steigenden Anforderungen und die Komplexität in der HR-Arbeit wird es für HR-Verantwortliche immer schwerer, den Überblick zu behalten. Früher gab es eine Lohnabrechnung, einen Arbeitsvertrag und beim Austritt ein Zeugnis – sehr viel mehr war HR nicht. Heute kommen viele andere Themen dazu, wie z.B. Diversity, Workation, Talentmanagement, Employee Experience und vieles mehr. Die Folge: HR beschäftigt sich zunehmend mit sich selbst.
Mit welchen Problemen müssen die Unternehmen dadurch kämpfen?
Durch Doppelarbeit, Prozessbrüche und fehlende Zeit für wichtige HR-Projekte werden die richtigen Talente nicht schnell genug gefunden. Talente effektiv zu managen, erfolgreich zu binden und adäquat zu entwickeln, das erfordert Zeit.
Was ist der Grund?
Mangelnde Transparenz über die HR-Prozesse. Aber gerade für Unternehmen mit mehreren Standorten ist es essenziell, einen Überblick über globale HR-Prozesse zu haben.
Du hast ein völlig neuartiges Produkt für den HR-Markt entwickelt …
Ja. Unsere SaaS-Software TraSy ist ein Gamechanger für HR-Prozesse. Sie macht HR-Prozesse messbar und befähigt Unternehmen, eigenständig ihre standortübergreifenden Prozesse zu identifizieren, den HR-Reifegrad zu messen, Prozessbrüche zu analysieren und anhand einer Roadmap zu optimieren – passend zu den Unternehmensbedürfnissen.
„Mit unserem strukturierten Ansatz haben wir es geschafft, die Erhebungszeit von HR-Prozessen um 80 (!) Prozent zu senken.“
Wie bist du auf die Idee gekommen?
Ich habe viele Jahre verschiedene Positionen im HR verantwortet und habe gesehen, wie schwierig es ist, besonders bei multinationalen Unternehmen, einen Überblick über die einzelnen Standorte zu bekommen. Auf einer HR-Messe in Asien hörte ich von einem Konzern, der mit seinen standortübergreifenden HR-Prozessen kämpfte und vier Jahre lang einen internationalen Stab an Beratern für eine HR-Transformation einsetzte. In der Regel steht Unternehmen aber weder die Zeit noch solch ein Budget zur Verfügung. Das hat mich auf die Idee gebracht, diesen Prozess zu digitalisieren und eine Software zur Analyse von HR-Prozessen zu entwickeln.
Wie werden die Analysen bisher gemacht?
Da es meistens an Kapazitäten und Wissen fehlt, werden oft externe Beratungsgesellschaften eingesetzt. Der Beratungsmarkt ist riesig. Wir sprechen hier von einem Volumen von knapp 30 Milliarden US Dollar – allein in Europa. In solch einem Setting liegt jedoch die Daten- und Prozesshoheit beim Dienstleister und nach Projektende sind diese für das Unternehmen verloren.
HR-Software gibt es allerdings wie Sand am Meer …
Das stimmt. Aber eine Software allein macht noch keinen Prozess aus. Im HR laufen viele Themen noch manuell, abseits einer Softwarelösung. Das erste Problem , das dezentral-organisierte Unternehmen haben, ist, dass ihnen in sehr vielen Fällen der Überblick fehlt, was in den einzelnen Landesgesellschaften passiert.
Kannst du ein Beispiel nennen, welche Prozesse das genau sind, die nicht in einer herkömmlichen Software abgebildet werden?
Nehmen wir das Pre, Re-, On- und Off-Boarding. On-Boarding ist allen ein Begriff. Während das Pre-Boarding sich auf die Zeit vor dem ersten Arbeitstag konzentriert, ist mit Re-Boarding die Zeit nach einer Eltern-/Pflegezeit oder einem Sabbatical gemeint. Wenn jemand gekündigt hat, fehlt meistens ein professionelles Off-Boarding. Oft sind diese Phasen nicht durchgängig in Systemen abgebildet.
Das heißt, wenn die HR-Prozesse nicht klar genug sind, gehen wertvolle Mitarbeitende noch vor dem ersten Arbeitstag verloren …
Ja genau, denn fehlt ein gutes Pre-Boarding, können die künftigen Mitarbeitenden leicht von anderen Unternehmen abgeworben werden, da diese in der Zeit zwischen einer Kündigung und dem Start im neuen Unternehmen „vogelfrei“ sind. Wenn ihr Unternehmen es nicht schafft, den Kontakt zu den neuen Mitarbeitenden zu halten, bzw. rechtzeitig aufzubauen, dann sind die Talente auch ganz schnell weg, noch bevor sie überhaupt den Job angetreten haben!
Viel Geld wird auch in einer „unsauberen“ HR-Digitalisierung verbrannt …
Absolut. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Konzern hat es mit zweistelligen Millionenbeträgen nicht geschafft, global eine HR-Suite ins Laufen zu bringen. Burnout, Fluktuation und Frustration waren die Folgen. Das Problem: Großkonzerne stehen häufig vor der Herausforderung einer fragmentierten HR-IT-Landschaft, die sich aus On-Premise-Lösungen, Cloud-Services, Papierdokumentation und Excel-Tabellen zusammensetzt. Die Komplexität potenziert sich, wenn das Unternehmen aus mehreren Tochtergesellschaften besteht, die jeweils eigene Strukturen aufweisen. In einem solchen Szenario kann das Headquarter oft nicht einmal eine einfache Headcount für die Gruppe erheben. In diesem Worst-Case-Szenario gehen viele Talente für immer verloren. Dasselbe gilt auch für kleinere Unternehmen.
Wie bekommen Unternehmen nun die nötige Transparenz über ihre HR-Prozesse?
Mit sogenannten HR-Inventories. Unternehmen können entlang des Employee Lifecycles der Mitarbeitenden komplett eigenständig eine HR-Prozess-Erhebung anhand eines für ihre Industrie passenden Templates durchführen. Es können auch individuelle Templates zusammengestellt werden, die z.B. nur einen Teilbereich des HRs betrachten.
Um welche Bereiche geht es?
Zum Beispiel kann ein Template für die Personalentwicklung zusammengestellt werden, um herauszufinden, wie die Prozesse im Bereich Talent- oder Performancemanagement aktuell laufen. So kann man ermitteln, warum Mitarbeitende das Unternehmen verlassen, bzw. wie man diese wertvollen Talente halten kann. Denn Mitarbeitende, die gehalten werden können, müssen nicht erst wieder teuer rekrutiert werden. Auf einer Heat-Map wird dann der Reifegrad der HR-Prozesse dargestellt.
„Eine HR-Wissensdatenbank, gefüttert mit internen Best Practices, ist eine Goldgrube in einer Zeit der hohen Fluktuation von HR-Mitarbeitenden.“
Welche Rolle spielt hier eine zentrale Wissensdatenbank?
Eine HR-Wissensdatenbank spielt eine sehr zentrale Rolle, um Wissen für alle verfügbar zu machen. Gleichzeitig werden hier alle HR-Kompetenzen zu den jeweiligen HR-Kategorien erfasst und gemapped. Die Unternehmen bekommen so einen Überblick, wo im Unternehmen die jeweiligen HR-Expert*innen zum jeweiligen Thema sitzen und können auf diese Synergien zurückgreifen. Valide Echtzeitdaten und Originaldokumente ermöglichen ein standortübergreifendes Benchmarking. TraSy legt die Basis für die Harmonisierung von HR-Prozessen.
Hast du ein Beispiel aus der Praxis?
Ja. Ein Unternehmen hat in einer Erhebung festgestellt, dass es in einer Landesgesellschaft ein Employee Manual gab. Keiner im Headquarter wusste davon. Es hat sich schnell eine Task-Force gebildet, das Mitarbeitendenhandbuch wurde in allen Unternehmenssprachen übersetzt und anschließend digitalisiert. So konnte schnell ein Puzzleteil im Onboarding-Prozess eingefügt und der Prozess verbessert werden. Durch eine Harmonisierung von der Basis, war das HR-Team jederzeit hoch motiviert mit an Bord.
Wie können Unternehmen TraSy nutzen?
Auf einem Dashboard kann man anhand einer Kompetenzmap ganz einfach ablesen, welche HR-Standorte z.B. gut im Onboarding sind. Hier kann man immer weiter in die Tiefe gehen und sehen, was genau an den einzelnen Standorten gemacht wird. Dabei ist es ganz wichtig, das zu nutzen, was bereits vorhanden ist, das heißt, die Synergien, die schon da sind, transparent zu machen und zu überlegen, was man noch ergänzen könnte.
Wie können die Unternehmen die ermittelten Werte dann erfolgreich umsetzen?
Es wird eine Transformation Roadmap erstellt, die erste Ansätze zur Optimierung der HR-Prozesse liefert und konkrete Vorschläge enthält, was man tun kann und wie man es tun kann. Unternehmen behalten die volle Autonomie über ihre HR-Daten und verfügen über eine fundierte Entscheidungsgrundlage für eine HR-Transformation. Ein hat einmal zu mir gesagt: „Ohne TraSy, ist jede Personalmaßnahme, die ich implementiere, wie ein Blindflug im Nebel.“
„Ohne TraSy ist jede Personalmaßnahme, die ich implementiere, wie ein Blindflug im Nebel.“
(C. Salgado; HR-Director Kayser Group)
Lassen sich die Landesgesellschaften auf eine solche Lösung ein?
Die Erfahrung hat gezeigt, dass dieses gemeinsame Arbeiten, das Miteinander und Mitwirken auf allen HR-Ebenen, also lokal, regional und global, eine gesteigerte Akzeptanz für Veränderungen im HR-Bereich mit sich gebracht hat. Unser Tool setzt auf Partizipation und das gemeinsame (voneinander) Lernen.
Wie sind eure Erfahrungen mit dem CyberLab Accelerator?
Der Austausch im CyberLab war super. Wir hatten mit Nico einen super Consultant, der jederzeit für uns ein Ansprechpartner zu ganz unterschiedlichen Themen war. Auch ist das CyberLab ein tolles Netzwerk, auf das man jederzeit zurückgreifen kann. Egal, ob man eine Steuerberatung, eine Finanzierung oder einen Kontakt braucht, man kann jedes Thema platzieren und bekommt Antwort. Auch hat es uns geholfen, uns mit Gleichgesinnten auszutauschen.