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Wachsen Radieschen auf Bäumen? Und wie wird aus einem winzigen grauen Samen eine quietschgrüne Paprika?
Die nachhaltigste Methode, Kinder für die Herkunft unseres Essens zu sensibilisieren, ist der Eigenanbau. Beobachten, wie knallrote Tomätchen am Stock reifen oder knackige Salatköpfe aus der Erde schießen, regelmäßig gießen und dann ernten – das bringt Spaß und Lerneffekte.
Aber Urban-Gardening ist nicht nur in Kitas beliebt. Auch Unternehmen, Privatleuten, Städten und Gemeinden liegt der nachhaltige Eigenanbau zunehmend am Herzen. Aber: Damit aus ambitionierten Projekten keine vertrockneten Geisterbeete werden und reicher Ertrag garantiert ist, braucht es Expertise. Ariane Lindemann spricht mit Patrick Rodinger von
Refarm über Gemüse-Hochbeete, die wirklich überall hinpassen – auf Balkone, in Gärten, Höfe und auf andere ungenutzte Flächen. Gut möglich, dass diese Mini-Gärten bald zum Stadtbild gehören. 

Von Ariane Lindemann 

Patrick, du hast Mechatronik studiert und ein Urban-Gardening-Startup gegründet. Das sind nicht gerade Nachbardisziplinen. Wie passt das zusammen?

Als ich zum Studieren vom Land nach Karlsruhe gezogen bin, habe ich festgestellt, dass es in der Großstadt an Naturverbundenheit fehlt, weil es relativ wenig Grün gibt. Auch das Thema Umweltbildung kommt zu kurz, weil man hier nur sehr wenig Möglichkeiten hat, sein eigenes Gemüse anzubauen. Die Schrebergärten sind überfüllt, einen eigenen Garten haben die wenigsten. Wenn man in einem Mehrfamilienhaus wohnt, hat man zwar oft hinter dem Haus eine Riesenfläche, aber diese wird in den seltensten Fällen zum Anpflanzen genutzt. Was für mich auch neu war: dass ich die Menschen, mit denen ich in einem Mehrfamilienhaus wohne, überhaupt nicht kenne. Das alles hat mich nachdenklich gemacht …

Du hast die Mechatronik dann gegen Urban Gardening eingetauscht?

Ja. Das Thema Städte und Nachhaltigkeit war irgendwann so präsent und auch für mich persönlich immer wichtiger, dass ich mich ganz auf das Thema Urban Gardening fokussiert habe. Mit dem Masterstudium Technologie-Entrepreneurship an der Hochschule Karlsruhe war dann auch klar, dass es ein Startup wird.

Die Idee von Refarm: Möglichst viele Leute sollen selbst Gemüse anbauen …

Unser Ziel ist, dass die Menschen in einer Stadt einen positiven Beitrag zum Klima- und Artenschutz leisten, indem sie ihr eigenes Gemüse anbauen. Wir haben deshalb ein Hochbeet-Konzept entwickelt, das man nahezu überall einsetzen kann – auch auf versiegelten Flächen. Die Idee war, für die Flächenanbieter, also private und gewerbliche Vermieter oder Unternehmen, ein Angebot zu stricken, damit diese Mehrwerte für ihre Mitarbeiter beziehungsweise Mieter schaffen.

Was bringen die Hochbeete – außer Gemüse natürlich?

Für Unternehmen ist das Thema Urban Gardening interessant als Teambuilding-Maßnahme, die die Gesundheit und Kreativität der Mitarbeiter fördert.

Vermieter können damit ihre Mieter mehr zusammenbringen, also vor Ort die Gemeinschaft stärken, auch um sie als Mieter zu halten. Denn wenn man mit den Nachbarn im positiven Austausch ist, wechselt man nicht so schnell das Umfeld. Außerdem können sie damit ihre Liegenschaften oder Flächen optisch aufwerten, was wiederum einen Mehrwert für Mietinteressenten schafft. Kurz: Mit ökologischem Gärtnern wird ein Community-Angebot geschaffen, das einen positiven Beitrag zum Klima- und Artenschutz leistet, Menschen vor Ort zusammenbringt und für mehr Grün in den Städten sorgt.

Auch soziale Einrichtungen habt ihr im Visier. Warum sind Kitas und Schulen so wichtig, wenn es um Urban Gardening geht? 

Hochbeete sind ein tolles Lernfeld für Kinder. Wenn sie in Kitas oder Schulen etwas Eigenes anpflanzen, lernen sie nicht nur, woher das Essen auf ihren Tellern stammt. Durch die Pflege der Pflanzen üben sie sich darin, Verantwortung zu übernehmen. Auch Geduld und das Teilen wird gefördert.

Auch für Seniorenzentren sind Pflanzaktionen ein großes Thema. Viele Menschen hatten früher selbst einen Garten und es bringt ihnen Freude und Beschäftigung.

Ihr seid sechs Leute im Team. Alles Hobbygärtner? 

Das kann man fast so sagen. Ich bin begeisterter Hobbygärtner, ein Großteil des Teams hat Botanik studiert oder gärtnert seit mehreren Jahren.

Ihr nennt euch Beetcoaches. Was macht ihr genau? 

Wir helfen beim Begrünen der Flächen vor Ort und vermitteln botanisches und gesundheitsrelevantes Wissen. Wir begleiten sowohl neue als auch bereits bestehende Gartenprojekte vor Ort und digital mit unserer Expertise. Von der Besichtigung und Planung über den Aufbau von Hochbeeten bis hin zu Workshops und der dauerhaften Begleitung des Projektes über die Gartensaison hinweg unterstützen wir in allen Bereichen. Wir erstellen Beetpläne, sorgen dafür, dass sich die Pflanzen gut verstehen und können so ein ertragreiches Projekt garantieren.

Welche Vorteile haben Hochbeete gegenüber Erdpflanzungen? 

Man kann diese nahezu überall in der Stadt einsetzen, auch auf versiegelten Flächen. Die Böden in der Stadt sind meistens nicht geeignet, weil sie nicht die notwendigen Nährstoffe enthalten oder stellenweise sogar Schadstoffe beinhalten. Hochbeete schützen auch vor Nagern und Fressfeinden, die an das Gemüse wollen.

Euer Aktionsradius ist Karlsruhe und Umgebung?

Ja. Fürs Erste haben wir unser Angebot auf Karlsruhe und das Umland begrenzt. Uns ist es sehr wichtig, dass wir persönlich vor Ort sind. Einen ersten Einsäh-Workshop kann man digital nicht wirklich gut abbilden. Sondern man muss vor Ort sein und den Leuten zeigen, wo man die Löcher in die Erde macht, wie groß die Abstände sind usw. Außerdem ist einiges an Material notwendig – die Holzkästen und die Erde – das können wir logistisch bislang nur in der Region stemmen.

Wie skaliert ihr eure Idee? 

Hier haben wir verschiedene Themen im Hinterkopf: eventuell über eine Lern-Plattform, auf der wir Videos zur Verfügung stellen. Wir haben auch schon über ein Franchise-Konzept nachgedacht. Das heißt, wir skalieren über die Städte hinaus und suchen uns Leute vor Ort, die das Ganze mit kleineren Teams übernehmen. Denkbar ist auch, dass wir uns Gärtnereien ins Boot holen, die sich mit unserem Konzept einen größeren Kundenstamm aufbauen und etwas dazuverdienen können.

Wo kommen Erde und Samen her?

Erde lassen wir von lokalen Anbietern anliefern und die Samen sind alles Biosorten aus Deutschland. Diese sind auch samenfest. Das heißt, man kann sie wieder einsähen, wenn die Pflanze Samen abwirft. Erde und Samen sind Bio. Das Plastik von Plastiksäcken kompensieren wir mit einem Partner. Wir wollen so gut wie möglich nachhaltig sein. Die Hochbeete werden in den Hagsfelder Werkstätten hier in Karlsruhe produziert. 

Wollt ihr Städte und Kommunen einbinden? 

Das ist definitiv ein Thema. Bisher waren wir bei der Stadt noch nicht sehr erfolgreich. Aber da sind natürlich viele Flächen vorhanden, die man nutzen könnte, um nachhaltige Beete aufzustellen.

Wenn jemand Flächen hat, sich für Teambuilding interessiert oder die Mietergemeinschaft stärken möchte …?

…. dann würden wir uns freuen, mit unserem Projekt unterstützen zu können!

 

Refarm hat 2022 das Latitude49-Stipendium der Hoepfner Stiftung gewonnen.
Die Hoepfner Stiftung ruft das Stipendium in Kooperation mit dem CyberForum e.V. aus. Das Latitude49-Stipendium ermöglicht Vordenker*innen aller Fachrichtungen und Generationen, kreative Produktionsprozesse an der Seite von Coaches aus Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Politik (Mentoren) voranzutreiben.