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Minimierung von Lebensmittelverschwendung, Verbesserung von Wasser- und Luftqualität, Vorhersage von Waldbränden – Künstliche Intelligenz (KI) ist eine sehr mächtige Technologie, die auch großes Potential im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltschutz hat.

Interview mit KI-Experte Dr. Cyrille Waguet

Wir haben den KI-Experten Dr. Cyrille Waguet gefragt, was er an Künstlicher Intelligenz faszinierend findet, wie der tatsächliche Stand bezüglich KI und Umweltschutz aussieht und wie er die Zukunft Künstlicher Intelligenz sieht.

Wie sah Ihre erste Begegnung mit Künstlicher Intelligenz aus? Was hat Sie daran fasziniert?

Meine erste Begegnung mit Künstlicher Intelligenz fand, wie bei den meisten Menschen, bereits in meiner Kindheit durch Science-Fiction statt. Intelligente Roboter, allwissende Systeme und sprechende Assistenten, die damals noch in ferner Zukunft lagen, sind heutzutage schon mehr oder weniger Realität. Auch beruflich habe ich mich stets in Richtung Nachbildung der Intelligenz in Anwendungen und Maschinen orientiert, sei es durch mathematische Modellierung, Simulationen oder prädiktive Analysen. Das Faszinierende dabei ist, dass man durch die Anwendung der Methoden der KI/ML oft Muster in Daten aufdeckt, die für einen Menschen nicht offensichtlich sind. So findet ein Algorithmus plötzlich eine Korrelation oder einen Fehler, welchen ein Fachexperte über einen längeren Zeitraum nicht hätte finden können oder über dessen Existenz er sich nicht einmal bewusst war.

Durch Datenanalyse können wir Relationen zwischen Daten finden und erhalten so beispielsweise neues Wissen über Ökosysteme. Welche Einsatzmöglichkeiten von KI gibt es bereits im Kampf gegen den Klimawandel und für den Umweltschutz?

Durch Vernetzung und Analyse der Daten können wir mithilfe der KI eine globale Sicht auf die Fragestellung bekommen und so neue Zusammenhänge und Einflussfaktoren in Daten aufdecken, die bislang nicht berücksichtigt wurden. Dieser allgemeinen Eigenschaft bedienen sich auch viele existierende KI-Anwendungen, zum Beispiel zur Vorhersage von Waldbränden und weiteren Naturkatastrophen, zur Erfassung und Verbesserung der Luft- und Wasserqualität, zur Verhinderung des Artenschwunds oder zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung.

KI ist allerdings kein Allheilmittel und wie alle digitalen Technologien verbraucht KI ebenfalls Energie. Daher wäre mein Rat vor der Anwendung jeder datengesteuerten Technologie: Machen Sie sich neben dem zu lösenden Problem auch Gedanken über die Architektur und die Anforderungen an Daten und Algorithmen. Denn nur so kann eine als nachhaltig geplante KI-Anwendung auch nachhaltig realisiert werden.

Woran arbeiten Sie aktuell? Und wie tragen Sie mit Künstlicher Intelligenz zu einer besseren Zukunft bei?

Auch wir fördern Nachhaltigkeit und Effektivität durch Implementierung von Anwendungen für Smart Monitoring. Das sind intelligente Anwendungen zur Überwachung, Analyse und Früherkennung von Störungen und Defekten in Maschinen, Anlagen und industriellen Infrastrukturen. Nachhaltiger wird man hier durch die Erhöhung der Effektivität, beispielsweise werden in der Produktion weniger Energie und Rohstoffe verbraucht und durch eine adaptive Wartungsstrategie die Lebensdauer der Anlage gefördert. Im Transportwesen tragen unsere Anwendungen durch eine intelligente Überwachung der Bahngleise zur Erhöhung der Akzeptanz des Schienenverkehrs bei. Denn hier ist eine rechtzeitige Instandhaltung der Eisenbahnstrecken entscheidend für die Belastbarkeit, den Komfort und die Sicherheit im schienengebundenen Nah- und Fernverkehr. Greifen dadurch mehr Personen auf die Bahnangebote zurück, reduziert sich der Individualverkehr, so können Treib- und Schadstoffe eingespart werden. Auch im Bereich des Schienengüterverkehrs kann eine aufschlussreiche Übersicht über die Lage der Bahngleise zu einer besseren Planbarkeit beitragen.

Wie wird der Bereich Predictive Analytics in Zukunft aussehen?

Ich bin optimistisch, dass Anwendungen zur intelligenten Überwachung in der Zukunft mehr Akzeptanz gewinnen und die Interaktionen zwischen Menschen und KI natürlicher werden. Durch eine adaptive Wartung kann man die Arbeit eines Installateurs komfortabler und vielseitiger gestalten. In Ausnahmesituationen, wenn Wartungsteams nur in einer Notbesetzung verfügbar sind, wie aktuell in der Pandemie oder leider bei immer öfter stattfindenden Naturkatastrophen, könnte der Schienennetzbetreiber durch eine Fernüberwachung die Sicherheit der Mitarbeiter erhöhen und trotz der Notlage den Überblick über den Zustand des Schienennetzes behalten und Wartungsarbeiten priorisieren. Auch im Umfeld der industriellen Fertigung kann ein künftiger Mitarbeiter einer intelligenten Fabrik viel präziser und vorausschauender agieren und gut die Anforderungen einer flexiblen Produktion meistern.

Neben den genannten positiven Effekten – welche Risiken sollten nicht aus den Augen verloren werden?

Die bekannten Risiken sind neben der Sicherheit der KI-Systeme auch Vertrauenswürdigkeit und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse. Diese Fragen, die ebenfalls Aspekte der Ethik rund um kritische Entscheidungen berühren, gehen unterschiedliche nationale und europaweite Initiativen rund um vertrauenswürdige und erklärbare KI an (z.B. EU – https://ec.europa.eu/futurium/en/ai-alliance-consultation).

Wenn Sie sich eine Zukunft von KI-Anwendungen wünschen könnten, wie würde diese aussehen?

Künstliche Intelligenz wird nahezu alle Bereiche unseres Lebens beeinflussen, das steht für mich fest. Ich hoffe, dass die erste Phase der Akzeptanz bald gemeistert ist und wir diese Technologie entmystifiziert und effektiv erleben, sei es für bessere Diagnosen in der Medizin, personalisiertes und zielgerechtes Lernen, Pflege und Unterhaltung oder generell in der Arbeit mit Informationen. Ich sehe KI auch in der Zukunft als eine menschenzentrierte Technologie, die uns dabei unterstützt, komplexe Situationen nachhaltig zu bewältigen und bessere Entscheidungen zu treffen.

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Zur Person: Dr. Cyrille Waguet ist Gründer und CTO von incontext.technology, einem Software-Engineering-Unternehmen, das Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit in der Branche durch Künstliche Intelligenz und Machine Learning fördert. Ihre intelligente Überwachungssoftware setzt Datenerkenntnisse von Geräten, Maschinen und kritischen Infrastrukturen frei, um die Geschäftsprozesse der Kunden kontinuierlich zu verbessern.Dr. Cyrille Waguet

Er hat einen Doktortitel in Computermathematik der Universität Heidelberg und einen Ingenieursabschluss der Centrale Nantes. Mit über 20 Jahren Erfahrung in der Entwicklung datenintensiver Anwendungen und der Forschung in angewandter Mathematik konzentriert sich seine Arbeit auf die prädiktive Analyse für das industrielle IoT.