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Unser Verständnis von Führung hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Werte wie Transparenz, Offenheit, Wertschätzung und Flexibilität sind wichtiger als je zuvor. Führungskräfte binden Mitarbeitende immer mehr in Entscheidungsprozesse ein. Doch was passiert, wenn eine Ausnahmesituation, wie die aktuelle Corona-Pandemie eintritt? Wie verändert sich Führung in solchen Krisensituationen?

Wir haben Philip Keil, Berufspilot, Sachbuchautor und Speaker, gefragt wie die Corona-Krise unser Verständnis von Führung beeinflusst und was Führungskräfte aktuell von Piloten lernen können.

Was ist Ihrer Meinung nach das Ideal einer Führungskraft?
Alles unter Kontrolle zu haben. Schließlich tragen Führungskräfte eine große Verantwortung. Als Pilot bin ich ja nichts anderes als eine Führungskraft über den Wolken: ich führe ein Team, treffe Entscheidungen und tue das zum Wohle aller an Bord. Alle vertrauen mir. Um dieser enormen Verantwortung gerecht zu werden, tue ich alles, um im Cockpit immer alles unter Kontrolle zu haben. Ich liebe klare Pläne und feste Routinen. Das alles trifft auch aufs „Unternehmens-Cockpit“ zu.

Wie hat sich dieses Verständnis im Rahmen der Corona-Krise verändert und warum?
Nun ja, das Problem mit Plänen ist ja, dass sie nicht immer aufgehen, egal wie gut sie auch sein mögen. Es lässt sich nicht alles kontrollieren. Menschen machen Fehler und äußere Faktoren, auf die wir keinen Einfluss haben, machen uns einen Strich durch die Rechnung. Corona hat gerade den Effekt wie ein doppelter Triebwerksausfall inmitten eines schweren Gewitters. Der Pilot kann nichts dafür und kann den Umstand nicht ändern. Aber macht ihn das weniger verantwortlich dafür, das Beste daraus zu machen und zu versuchen, die Kiste da heil runterzubekommen? Corona hat Kontrolle und Routinen über den Haufen geworfen.

Was braucht eine Führungskraft, um krisenfest zu sein?
Die Krise schärft unseren Blick, was Führung im Kern bedeutet. Schauen Sie, als Pilot kann ich nicht mal eben rechts ranfahren. Ich muss handeln, auch wenn das bedeuten kann, dass ich Fehler mache und Fehlentscheidungen treffe. Das trainieren wir im Flugsimulator. Dieses Training ist immer auch ein knallhartes Feedback: was lief gut, wo hätte ich besser agieren können? Auch die Corona-Krise legt offen, wo wir als Unternehmen Schwächen haben, die sich jetzt rächen, und wo unsere Stärken liegen. So ziemlich der wichtigste Krisenfaktor am Boden wie in der Luft ist das Team.

Wir befinden uns nicht nur in einer äußert turbulenten Zeit, sondern müssen in den meisten Fällen bei der Kommunikation auch noch die physikalische Distanz, die durch das Home-Office entsteht, überwinden. Was bedeutet diese Distanz für die Führung?
Diese Distanz kenne ich auch an Bord: Flugbegleiter oder Fluglotsen sind wichtige Teammitglieder, und dennoch sind wir nur über Funk in Kontakt. Das kann gerade in kritischen Situationen nur funktionieren, wenn man sich auf klare und direkte Kommunikationsregeln geeinigt hat.

Als Führungskraft erst mal zuhören, nachfragen, wiederholen ist wichtig. Und noch mehr als sonst bewusst den Dialog suchen. Wer Ziele erreichen will muss es schaffen, Menschen zu erreichen.

Welchen Rat aus dem Cockpit würden Sie Führungskräften mitgeben, um diese turbulente Zeit bestmöglich zu überstehen?
Hören Sie auf Ihren „inneren Kompass“! Es ist eine Zeit ohne vorgefertigte Lösungen, ohne richtig oder falsch. Da gerät auch die Ratio schnell an ihre Grenzen. Wir alle haben aber ein Bauchgefühl, eine innere Stimme namens Intuition. Schwierige Entscheidungen gehen weit über das Rationale hinaus. Es braucht Mut, diesem „inneren Kompass“ zu folgen. Aber das zeichnet einen guten Krisenmanager aus.

Wie wird sich die Corona-Pandemie langfristig auf den Wandel des Führungsverständnis auswirken?
Ich hoffe, Führungskräfte werden nicht wieder in alte Muster verfallen: schnell zurück in die Komfortzone! Sondern die Lehren und Erfahrungen aus der Krise für sinnvolle Veränderungen nutzen. Nie kann man Dinge besser ändern, als in der Krise. Diese Veränderungen müssen nachhaltig sein, in Form eines Kulturwandels im Unternehmen. Wie der genau aussieht, hängt vom Unternehmen und ihren Lenkern ab, aber die Idee aus der Luftfahrt, wo man regelmäßig den Ernstfall durchspielt, um für den nächsten Notfall besser vorbereitet zu sein, sollte man aufgreifen.

Wie sieht für Sie die Führung der Zukunft aus?
Mein Wunsch ist, dass der Faktor Mensch in den Fokus rückt: starre Hierarchien überwindet und mehr in vernetzten, agilen Teams denkt. Dass Fehler besser thematisiert werden, um zu lernen. Die komplexen Fragen der Zukunft lassen sich nur im Team beantworten. Ein starkes Team braucht Vielfalt und Vertrauen. Das herzustellen ist Aufgabe von Führung.

Zur Person: Philip Keil ist erfahrener Berufspilot, Sachbuchautor und erfolgreicher Speaker, der 2019 und 2020 zum Keynote Speaker des Jahres für den Red Fox Award nominiert wurde. Er ist bekannt dafür, dass er seit einem Beinahe-Absturz im Jahr 2009 das „Crew Resource Management“ aus dem Flugzeug-Cockpit auf den Alltag von Führungskräften und Mitarbeitern überträgt. Philip Keil demonstriert in seiner Arbeit nicht nur, wie ihm die NASA-Strategien das Leben gerettet haben, sondern wie diese einen in seiner alltäglichen Arbeit ans Ziel führen.

Hören Sie den Vortrag zu „Führung im Wandel“ von Philip Keil bei der Gemeinschaftsveranstaltung der Techniker Krankenkasse und dem CyberForum „Forum Gesunde Wirtschaft – Führung im Wandel“ am 01.12.2020. Hier geht es zur Anmeldung.