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Mal ehrlich, wenn du in einer neuen Stadt bist, hangelst du dich meistens an den üblichen Touri-Hotspots entlang. Besondere Highlights, die diese Stadt sonst noch ausmachen, wie kleine Museen, besondere Veranstaltungen, abgefahrene Kneipen, Nischen-Events oder originelle Läden kriegst du eher selten zu Gesicht. Du bist, wo alle sind, und du isst, wo alle anderen auch essen. In das echte Leben einer Stadt eintauchen, ist gar nicht so einfach. Denn wenn du eine Stadt nach deinen Interessen erkunden möchtest, verbringst du Stunden im Netz.

Nico Laux und Philipp Gemmeke gehen mit ihrem KI-Reiseratgeber Glotting neue Wege: Du gibst einfach deine Interessen und Wünsche in eine Web-App ein und bekommst einen ganz auf dich abgestimmten Tagesplan. Ganz egal, ob du etwas anschauen, essen, Sport treiben oder shoppen willst. In der Pilotregion Karlsruhe wird die App gerade getestet. Weitere Städte folgen. Die Stadt Karlsruhe ist mit der Karlsruhe Tourismus GmbH bereits im Boot.

Ariane Lindemann im Gespräch mit Nico Laux und Philipp Gemmeke.

Ich habe morgen frei und will nach Freiburg fahren … aber das Münster kenne ich schon.

Ein Fall für Glotting. Um Freiburg von einer anderen Seite kennenzulernen, die mehr auf deine Interessen abgestimmt ist, musst du normalerweise ziemlich viel Zeit investieren und die verschiedenen Angebote im Web durchforsten. In Google werden dir in erster Linie die üblichen Touristenziele gezeigt und du siehst nur das, was alle anderen auch sehen. 

Wie hilft mir Glotting, eine Stadt authentisch zu erleben?

Für einen Besuch abseits des Mainstreams erstellen wir einen auf dich abgestimmten Tagesplan. Alles, was du tun musst, ist, dein Wunschziel, Reisezeit, deine persönlichen Präferenzen, Anzahl der Leute, Budget und was du gerne erleben möchtest – Kultur, Sport, Essen … – in die Web-App einzugeben. Wenige Klicks, keine lange Internetrecherche.

Karlsruher*innen haben schon bald das Vergnügen …

Wir haben uns für ein Pilotprojekt hier in Karlsruhe entschieden, weil wir Karlsruher sind und die Stadt in- und auswendig kennen. Wenn man Karlsruhe googelt, kommen natürlich zuerst das Schloss, das Naturkundemuseum, ZKM etc., aber wir ziehen das noch viel lokaler auf und gehen mehr in die Tiefe. Wir haben kleinere Ausstellungen, Veranstaltungen, Restaurants, für die man bei Google sehr viel mehr Zeit investieren müsste, um sie herauszufinden.

Habt ihr die Datengrundlage dafür hier in Karlsruhe geschaffen?

Ja, hier sind wir recht weit. Wir haben ziemlich viele Partner aufgenommen, aber wir haben auch bewusst auf viele verzichtet. So ersetzen wir bekannte Ketten wie Starbucks mit „espresso stazione“, McDonalds mit „Deli Burger“ oder Primark mit „UNIKAT“. Denn wir wollen kleine lokale Betriebe und Institutionen abbilden, die auch wirklich das Leben in Karlsruhe ausmachen.

Wie holt ihr euch die Daten?

 Unser Algorithmus nutzt verschiedenste Datenquellen, das meiste läuft über Webcrawling. Auf der anderen Seite nutzen wir auch regionale oder lokale Geoinformationen, wie zum Beispiel Wetterdaten, um entsprechende Angebote zu machen. Wenn wir wissen, dass es am Samstag regnet, dann würden wir eher keinen Turmberg-Spaziergang vorschlagen, sondern eher einen Museumsbesuch.

Die Stadt Karlsruhe ist bereits Kooperationspartner?

Ja, wir haben gerade die Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Die Leute von der Karlsruhe Tourismus GmbH waren total begeistert. Der Kontakt kam übrigens aus dem CyberLab. Das war einer der Gründe, weshalb wir uns für den CyberLab Accelerator entschieden haben. Wir sahen das große Potenzial, das im Netzwerk steckt. Ohne eine solche Referenz hätten wir sicher nicht so schnell den Fuß in die Tür bekommen.

Wann kann man Glotting in Karlsruhe nutzen?

Wir wollen noch in diesem Frühjahr mit der endgültigen Version live gehen. Aber wir brauchen eine IOS- oder Android App und hier die Frage: Warten wir, bis wir Kapital dafür haben oder gehen wir live, um Feedback einzusammeln …?

Das große Problem ist oft, wie man die App finanziert. Sie soll den Nutzer ja nichts kosten.

 Nach der Produktschulungs-Session im CyberLab Accelerator haben wir uns Gedanken gemacht, ob wir den Fokus richtig gesetzt haben. Diese Session war wirklich sehr, sehr hilfreich, weil unser Blick hier noch mal geschärft wurde. Die Leute im CyberLab haben klipp und klar gesagt: Wofür ist jemand bereit zu zahlen? Man findet keinen Investor, wenn man eine schöne Webseite hat, sondern sie wollen ihr Geld wieder rausholen, beziehungsweise vermehren, darum geht es. Dieses Learning war für uns extrem wichtig.

Damit die App kostenlos bleibt, braucht ihr weitere Partner …

Unser Ziel ist natürlich auch, zu den Partnern, die wir im System angelegt haben, wie zum Beispiel das ZKM oder kleinere Bars und Restaurants, die Schauburg, das Tollhaus und Co. Kontakt aufzunehmen und sie als Partner zu gewinnen. Sie haben dann die Möglichkeit, sich über einen Beitrag besser zu platzieren und zusätzliche Funktionen zu nutzen. Im Endeffekt soll die Plattform von den Partnern und Städten getragen werden.

Weitere Städte werden also folgen …

Das, was wir jetzt programmieren, das lässt sich, wenn es einmal steht, problemlos auf andere Städte ausweiten, um es zu skalieren.

Theoretisch auch weltweit?

Absolut. Wenn es in einer Stadt funktioniert, ist es für jede andere Stadt adaptierbar, ob in Mecklenburg-Vorpommern oder in Australien.

Ursprünglich war Glotting als Social Media Reiseportal gedacht. Nico, du hattest die Idee auf einem Kanada-Trip …

Ja, auf einer Kanada-Reise fiel mir auf, dass es an Möglichkeiten fehlt, sich mit anderen Leuten zu vernetzen. Ich war viel mit dem Auto unterwegs. Man kommt in eine neue Stadt, kennt hier niemand, hat recht wenig Zeit, googelt kurz, schaut sich das eine oder andere an, fällt abends ins Bett und das wars dann. Deshalb war die ursprüngliche Idee, dass Glotting ein Reiseportal ist, sozusagen ein Social Media Reiseportal, wo sich Leute vernetzen können, um gemeinsam etwas zu unternehmen oder zusammen irgendwohin zu fahren.

Tolle Idee. Aber?

Das war bereits 2017. Wir hatten schon eine Webseite und auch einige Anmeldungen. Aber es war etwas überdimensioniert aufgezogen, weil wir dachten, dass wir das global ausrollen können. Das war natürlich Wahnsinn. Die Idee war zwar gut, aber die Menge an Daten zu bekommen, damit das auch wirklich einen Mehrwert bietet, da haben wir uns „minimal“ überschätzt.

Das Ganze ist dann entwicklungstechnisch etwas eingeschlafen. 2020 haben wir die Idee erneut aufgegriffen und uns überlegt, wie wir das Geschäftsmodell kleinerdenken können. Die Frage war jetzt: Was können wir machen, das einen Mehrwert hat und wir mit unserer Mannstärke auch schaffen können? Deshalb haben wir Glotting entwickelt, eine App, die mittels KI und einem Algorithmus für den User einen Tagesplan erstellt.

Warum habt ihr dann die erste Idee dann nicht einfach auch auf die Region runtergebrochen?

Das haben wir, es gibt immer noch die Local Activities, wo man andere Leute sucht, um gemeinsam was zu unternehmen. Wir werden das später in den Tagesplaner integrieren. So kann man sagen: Ich bin neu hier in der Stadt, ich weiß nicht, was ich machen soll, oder ich bin für zwei Tage hier und möchte etwas unternehmen, kenne aber niemanden. Dann erstelle ich einfach eine Aktivität und frage, wer Lust hat, heute Abend was zu unternehmen. Man kann sich dann über den Ratgeber und Tagesplaner direkt vernetzen und auch mit Locals in Kontakt kommen. Aber das stellen wir erst mal noch hintenan, weil uns dafür momentan noch Personalressourcen fehlen.