Wenn zwei Menschen sich anrempeln, ist das relativ ungefährlich. Ein Mensch-Roboter-Crash kann dagegen übel enden. Denn Roboter sind gefühllose Wesen. Noch. Jetzt kriegen sie von 3D Printing Solutions eine Haut verpasst, die als virtuelle Knautschzone wirkt. Sensoren sorgen dafür, dass im Fall einer Kollision der Roboter sofort stoppt. Besonders für Roboterarme, die mit Werkzeugen ausgestattet sind, ist die innovative 3D-Skin ein Meilenstein in Sachen Arbeitsschutz in der kooperativen Robotik.
Ariane Lindemann im Gespräch mit Sven Doll von 3D Printing Solutions.
Der Verkauf von Robotern, die in der Lage sind, mit Menschen zu kollaborieren, geht gerade durch die Decke. Woher kommt dieser Hype?
Aktuell eingesetzte Produktionssysteme sind sehr stark auf Serienproduktion, also auf immer gleichbleibende Produkte ausgelegt. Das liegt daran, dass die Produktionsabläufe über die Jahre meistens mit großen Roboteranlagen perfektioniert wurden. Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage nach individuellen Produkten. Das bedeutet im Produktionsprozess jedoch eine sehr aufwendige Umprogrammierung, vor der die Unternehmen verständlicherweise zurückschrecken. Deshalb gewinnt die kooperative Robotik, also die Kombination von Roboter und Mensch, zunehmend an Bedeutung.
Wie ist die Aufgabenverteilung in der Mensch-Roboter-Kollaboration?
Der Roboter übernimmt die Aufgabe, extrem schnell ohne Ermüdungserscheinungen, komplexe Produkte in immer gleichbleibender Qualität zu produzieren. Der Mensch hingegen kann auf sich ändernde Situationen reagieren. Das heißt: erkennt er eine Veränderung im Produktionsprozess, kann er individuell eingreifen und den Roboter entsprechend unterstützen.
Jetzt kommt ein großes „Aber“ …?
Ja. In den meisten Fällen stehen diese Roboter aktuell noch hinter einem Zaun, einer Plexiglasscheibe oder einem Lichtvorhang, der den Roboter vor dem Menschen schützt. Damit ist allerdings das Ziel verfehlt, dass Mensch und Roboter am selben Bauteil zeitgleich zusammenarbeiten.
Der Grund dafür ist die Angst vor einem Mensch-Roboter-Crash?
Genau das. Denn auch wenn es rein zulassungstechnisch erlaubt ist, stellt es dennoch ein sehr großes Gefahrenrisiko dar, dem sich der Mensch aussetzt. Das Vertrauen darauf, dass ein Roboter, der unter Umständen mehrere Tonnen wiegt, auch wirklich stoppt, wenn er einen berührt, haben logischerweise noch die wenigsten. Aktuell stoppen die Roboter zwar im Moment der Kollision, aber der Kontakt war dennoch da. Wenn man sich vorstellt, dass man mit nur fünf oder sechs Km/h gegen eine Metallwand rennt – das tut schon weh und kann zu ernsthaften Verletzungen führen. Die Abneigung von Mitarbeitern gegen solche Geräte ist daher ziemlich verständlich.
Besonders gefährlich ist das, wenn Werkzeuge an den Roboterarmen befestigt sind …
Das allergrößte Risiko geht im seltensten Fall vom Roboterarm selbst aus, sondern von dem Endeffektor, dem Werkzeug, das am Roboterarm befestigt ist. Das kann ein Greifer sein, der Pick-to-Place-Aufgaben übernimmt, aber auch ein Schweißgerät, ein Bohrer, Schrauber oder ein Sägeblatt. Alle diese Geräte haben eins gemeinsam: Sie können sehr gefährlich sein.
Bei einem Roboter, der zwar ultrasicher eingehaust ist, aber an dessen Ende ein Industrieschrauber hängt, der mit mehreren Tausend Umdrehungen pro Minute hantiert, ist das Risiko nicht wirklich der Roboter. Die Wahrscheinlichkeit, dass man von einem Schrauber oder auch von einem Sägeblatt getroffen wird, ist weitaus höher.
Eure Lösung: Fettpölsterchen!
Wenn du so willst: Ja. Genaugenommen geben wir dem Roboter eine Art menschliche Haut.
Diese Haut hat zwei Aufgaben. Erstens eine Berührung zu detektieren und dann ein Stopp-Signal oder eine Ausweichbewegung einzuleiten, wie es jeder Mensch auch machen würde. Zweitens: Die Weichheit und Nachgiebigkeit dieser Haut ermöglicht noch weiteren Spielraum, den der Roboter braucht, um zu stoppen. Genau dieses „Fettpolster“ geben wir ihm, damit Mensch und Roboter auf Tuchfühlung zusammenarbeiten können. Eventuelle Kollisionen werden durch diesen 3D-Skin abgefedert und der Roboter stoppt. Dafür wird der Roboter mit einem komplett eingehausten Sensor ausgestattet, der auf den Endeffektor angepasst ist und diesem Gefühl gibt.
„Wir geben dem Roboter eine Art menschliche Haut.“
Ist es nicht ziemlich aufwendig, für verschiedene Endeffektoren jedes Mal eine zweite Haut zu konstruieren?
Ein wichtiger Punkt. Denn wir haben gar nicht so viele Konstrukteure, um für dauerhaft wechselnde Anwendungsfälle jedes Mal alles neu konstruieren zu können. Deshalb haben wir uns überlegt, unsere komplette Konstruktion zu automatisieren. Und hier stehen wir jetzt als Startup.
Und hier kommt auch der 3D-Druck ins Spiel …
Genau. Wir haben Lösungen gefunden, mit denen wir Rundungen an die unterschiedlichsten Geometrien anpassen können, zum Beispiel an Schrauber, Bohrer, Ultraschallgeräte und andere. Die Arbeit, die bisher von einem Konstrukteur durchgeführt werden musste, versuchen wir gerade komplett zu digitalisieren, beziehungsweise zu automatisieren. Das bedeutet, wir geben nur noch die Kontur vor und im Hintergrund entwickelt sich durch Eingabe von Parametern diese Lösung automatisch für jede Geometrie.
Durch die Kombination unterschiedlichster 3D-Druckarten auf teilweise eigens entwickelten 3D-Druckern können wir jetzt die komplette Fertigung dieser Elemente in 3D drucken – ohne die Notwendigkeit von Stützkonstruktionen. Das bedeutet, bis auf die Schrauben ist jedes Bauteil unserer Lösung additiv hergestellt und damit zu jedem Zeitpunkt austauschbar, anpassbar und individualisierbar.
Welche Anforderungen sind an das Material gestellt?
Es muss nachgiebig sein, den Stoß abdämpfen und flexibel sein. Nachgiebige Materialien sind im Augenblick im 3D-Druck noch sehr exotisch. Für uns ist ein spezielles TPU das perfekte Material. Für alle anderen Bauteile nutzen wir die unterschiedlichsten Materialkombinationen, sehr viel faserverstärkte Materialien, zum Beispiel mit Carbonfaser. Bei Hochtemperaturanwendungen ist es wichtig, dass sämtliche Komponenten sehr stabil und langlebig sind.
Also taugt 3D Druck durchaus auch für die Serienproduktion?
Auf jeden Fall. Es ist ein Irrglaube, dass 3D-Druck nicht auf Serienproduktion ausgelegt ist. Einige Drucker benötigen allerdings momentan noch das menschliche Eingreifen, für das Be- und Entladen. Aber auch hier versuchen wir, uns ein bisschen davon zu distanzieren, dass 3D-Druck dauerhaft eine Person braucht, die das Ganze überwacht, weil das unserem Automatisierungsansatz widerspricht.
Für die Entwicklung braucht ihr vermutlich viele verschiedene Drucker.
Ja, wir haben inzwischen einen Fuhrpark von 30 bis 40 Druckern unterschiedlichster Art und Größe. Darunter einige Großraum 3D-Drucker, die über 1,60 Meter große Bauteile herstellen können. Sie gehören zu den größten Druckern, die es aktuell auf dem Markt gibt.
Das geht ganz schön ins Geld …
Das war tatsächlich zu Beginn ein Problem. Denn in Zeiten, in denen wir mit der Entwicklung beschäftigt waren, standen die Drucker still. Das war echt ärgerlich. Wir hatten Produktionskapazitäten, konnten sie aber selbst nicht nutzen. Dann haben wir recht schnell angefangen, die leere Kapazität mit Dienstleistungen von 3D-Druckteilen zu füllen. Das ist im Augenblick unser zweites Standbein. Gleichzeitig finanzieren wir damit die komplette Entwicklung und sparen uns so die Investorensuche.
Geniale Idee. Auch im Hinblick darauf, dass die Firmen, die jetzt bei euch Teile fertigen lassen, zu dauerhaften Kunden werden könnten …
Das ist unser Hauptziel. Sie sowohl für die 3D-Druck-Dienstleistung dauerhaft zu binden, was sehr gut funktioniert, und dann im Anschluss natürlich auch unsere eigenen Produkte hier zu platzieren. Wir versuchen, unsere Marketingstrategie bewusst auf diese Kunden zu lenken und da Lösungen zu entwickeln, die uns ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen.
Ihr seid die ersten Mieter im Smart Production Park gewesen, der neben Büros auch Production Spaces bietet. Wie profitiert ihr davon?
Der Smart Production Park ist die einzige Location, wo Büro und Produktion unter einem Dach sind. Bisherige Angebote waren immer nur reine Bürogebäude. Wir sind große Fans vom „SPP“. Wenn man direkt bei der Produktion arbeitet, hat man ständiges Feedback und kann Entwicklungsschritte in Echtzeit verfolgen. Wir haben hier in einem ca. 100 Quadratmeter großen Druckpark alle Möglichkeiten – von Starkstrom bis Druckluft –, um zu produzieren, Produkte zu testen und neue Produktionsmöglichkeiten auszuloten. Unsere Vision ist allerdings nicht, irgendwann unsere komplette Produktion hier aufzubauen, wir brauchen einfach den Platz, um Tests durchzuführen und uns zu finanzieren.
Das schöne Ambiente und der Austausch im Startup-Umfeld sowie mit anderen Firmen, der Zugang zu Endkunden über das gesamte Netzwerk, das sind Dinge, von denen wir von Anfang an bereits stark profitiert haben.
Geplant ist jetzt auch eine Plattform …
Ja. Im Augenblick arbeiten wir an einer Plattform, auf der man die Bauteile hochladen kann, die dann automatisch auf unserem Drucker gestartet werden und in den Versand gehen. Das versuchen wir gerade verstärkt in der Region Karlsruhe zu bewerben. Und wir wollen auch für andere Firmen und für andere Startups Prototypen herstellen und sie in der Entwicklungsphase unterstützen. Eigentlich war es so nie geplant, dass wir in den Herstellungsprozess mit reingehen, aber mittlerweile hat es sich als die perfekte Synergie herausgestellt.