Baden-Württembergs neue Grün-Schwarze Landesregierung will in den kommenden fünf Jahren insbesondere Startups fördern und die Digitalisierung der Wirtschaft vorantreiben. Wir haben uns den Koalitionsvertrag im Detail angeschaut.
Der Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen den Grünen und der CDU in Baden-Württemberg ist bereits seit einigen Tagen öffentlich im Netz einsehbar. Unter dem Titel „Baden-Württemberg gestalten: Verlässlich. Nachhaltig. Innovativ.“ wird auf 140 Seiten aufgelistet, welche Ziele sich die neue Landesregierung gesetzt hat – und das sind einige.
Bevor wir uns den Vertrag aber gleich genauer anschauen, sei an dieser Stelle noch Markus Reiter von Netzpolitik.org zitiert:
In Koalitionsverträgen ist erfahrungsgemäß Vorsicht bei den Formulierungen geboten: Es macht einen großen Unterschied, ob da „wollen“, „sollen“ oder „werden“ bzw. „müssen“ steht. Die ersten beiden Formulierungen haben mehr den Charakter von Absichtserklärungen, während ein „werden“ und „müssen“ schon deutlicher ist, aber auch nicht garantiert, dass ein Vorhaben umgesetzt wird.
Startups und das Gründungsnetzwerk BW
In Baden-Württemberg leben aus Sicht der Koalitionäre „hervorragend ausgebildete, ideenreiche und fleißige Menschen“. Es gibt eine Vielzahl „hochinnovativer Unternehmen, eine exzellente Wissenschaftslandschaft und erfolgreiche Netzwerke aus Forschung und Industrie.“ Das alles macht Baden-Württemberg zu einem Innovationsland, für das es von „zentraler Bedeutung [ist], die Chance der Digitalisierung zu nutzen.“
In diesem Zusammenhang spielen vor allem junge Unternehmen eine wichtige Rolle. „Baden-Württemberg ist das Land der Tüftler und Erfinder. Wir wollen Baden-Württemberg zum Magneten für kreative Menschen machen und die Risikobereitschaft fördern. Unser Ziel ist es, Baden-Württemberg zum dynamischsten Gründerland in Europa zu machen.“ Insgesamt vier Mal taucht das Wort „Startups“ im Koalitionsvertrag auf. Die „Gründer“ bringt es auf 19 Erwähnungen. Im Gründungsnetzwerk BW sollen sie mit Investoren, der Wissenschaft und etablierten Unternehmen vernetzt werden. Das Land selbst soll die Rolle des Ansprechpartners, aber auch des Vermittlers einnehmen. Die Grün-Schwarze Koalition verspricht, die Gründungsberatung zu verbessern und hochschulnahe Ausgründungen zu fördern.
„Gründungen von Genossenschaften werden wir erleichtern und die Rahmenbedingungen setzen, damit das Genossenschaftsmodell kreativ und vielseitig mit Leben ausgefüllt werden kann. […] Wo immer möglich werden wir die Innovationspartnerschaft von Startups und Mittelstand befördern.“ Als Schwerpunkte definiert der Koalitionsvertrag Smart Data, intelligente Systeme und intelligente Mobilität.
Wagniskapital aus dem Innovationsfonds BW
Startups brauchen neben innovativen Ideen zu Beginn vor allem Kapital. Aus diesem Grund will sich Grün-Schwarz für eine Stärkung des Wagniskapitals einsetzen. Der Wagniskapitalfonds des Landes soll zum Innovationsfonds BW weiterentwickelt werden: „Insbesondere werden wir prüfen, wie privates Kapital zur Vergrößerung des Fonds eingebunden werden kann und wie die Gründungs- und Wachstumsprozesse der geförderten Unternehmen besser betreut werden können.“
Zur Betreuung sollen unter anderem private Investoren herangezogen werden, die auch an einem Erfahrungsaustausch mit den Startups interessiert sind. Das daraus entstehende Wissensnetzwerk soll mit dazu beitragen, dass die Jungunternehmer auch nach ihrer erfolgreichen Gründung in Baden-Württemberg bleiben. „Auf Bundesebene streben wir unter anderem an, dass junge, innovative Unternehmen ihre Verluste auch bei Eigentümerwechsel steuerlich weiter vortragen können. Wir brauchen eine Gründerkultur, die von der Schule bis zur Universität unternehmerisches Denken vermittelt.“
Gescheitert – und nun? Diese Frage beantwortet die neue Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag recht deutlich: „In Baden-Württemberg soll eine Innovationskultur einziehen, die auch eine „Kultur des Scheitern Dürfens“ ist.“ Denn auch im Rahmen von gescheiterten Gründungen werden oft Erfahrungen gesammelt, die die Basis späteren Erfolgs sein können.
Digital@BW – die Digitalisierung des Landes
Ganze 52 Mal taucht der Begriff „Digitalisierung“ im Grün-Schwarzen Koalitionsvertrag auf. Das macht deutlich, wie wichtig das Thema für die neue Landesregierung ist. Aus gutem Grund: die Digitalisierung erfasst nach und nach alle Lebensbereiche und spielt deshalb nicht nur im wirtschaftlichen sondern auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext eine entscheidende Rolle: „Die Digitalisierung wird Baden-Württemberg entscheidend prägen. Wir verstehen die Digitalisierung als Gestaltungsaufgabe, die Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gleichermaßen fordert.“
An erster Stelle steht dabei das Thema Breitbandausbau, denn gerade im ländlichen Raum zählt die Verfügbarkeit von schnellem Internet inzwischen zu den wichtigsten Standortfaktoren. „Mit einem Breitbandprogramm wollen wir erhebliche Mittel bereitstellen, um die flächendeckende Verfügbarkeit von Bandbreiten ab 50 MBit/s im ganzen Land zügig voranzutreiben.“ Interessant ist dabei vor allem die Formulierung „ab 50 MBit/s“, da es derzeit noch Gegenden in Baden-Württemberg gibt, die selbst von einer Leitung mit 16 MBit/s nur träumen können.
Und es wird noch interessanter: „Beim Breitbandausbau haben Glasfaserleitungen für uns Vorrang vor kupferbasierten Lösungen. Wir haben mittelfristig das Ziel, dass jedes Gebäude in Baden-Württemberg einen Glasfaseranschluss erhält.“ Das entscheidende Wort in dieser Passage dürfte dabei wohl „mittelfristig“ sein, denn um das vom Bund gesteckte Ziel, bis zum Jahr 2018 eine flächendeckende Breitbandversorgung mit Geschwindigkeiten von mindestens 50 MBit/s zu erreichen, dürfte auch Baden-Württemberg zunächst nicht um das umstrittene Vectoring-Verfahren herumkommen.
Das Hauptproblem beim Glasfaserausbau bleibt die Finanzierung: „Der Schwerpunkt des Netzausbaus soll dabei auf dem Glasfaserausbau über das Betreibermodell liegen. In begründeten Fällen soll aber auch eine Förderung der Wirtschaftlichkeitslücken der Netzbetreiber auf Antrag von Kommunen und Kreisen, die das Bundesprogramm nutzen wollen, möglich sein.“
Weiterhin plant die neue Landesregierung den Ausbau des mobilen Internets ebenso voranzutreiben, wie die Digitalisierung der Verwaltung: „Baden-Württemberg machen wir bundesweit zum Vorreiter für E-Government und eine Verwaltung 4.0.“ Ebenso sollen der Mittelstand, Schulen und Universitäten digitalisiert werden.
Viele Versprechen, wenig Konkretes
Das Thema Digitalisierung nimmt ganze vier Seiten im Grün-Schwarzen Koalitionsvertrag ein. Vier Seiten, die gespickt sind mit Standard-Aussagen, um die im Jahr 2016 ohnehin keine Regierung herumkommt: Der Glasfaserausbau hat Priorität – finanzieren sollen ihn aber die Netzbetreiber, für die das im Regelfall nicht wirtschaftlich ist. Schulen sollen in der Bildungscloud arbeiten – dabei haben derzeit die meisten Schulen nicht einmal ein digitales Whiteboard, geschweige denn W-Lan. Baden-Württemberg soll zum Vorreiter für E-Government werden – manche Ämter haben aber gerade erst die E-Mail für sich entdeckt.
Das soll jetzt nicht pessimistisch klingen, aber dennoch deutlich machen, dass all das, was der Koalitionsvertrag verspricht, in dieser Form in den kommenden fünf Jahren nicht realisierbar sein wird. So groß können die Budgettöpfe gar nicht sein. Die Ansätze und Vorhaben der Grün-Schwarzen Koalition sind gut und lobenswert, aber erst die kommenden fünf Jahre werden zeigen, wie innovativ und digital Baden-Württemberg wirklich sein kann. Die Leistung der neuen Regierung bemisst sich an konkreten Fortschritten, nicht an abstrakten Versprechungen.