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Alle sechs Sekunden stirbt ein Kind noch vor seinem fünften Lebensjahr. Die Todesfälle ereignen sich dabei meist in Entwicklungsländern. Fehlendes Wissen über Hygiene, Ernährung oder Familienplanung sind Gründe für diese hohe Sterblichkeitsrate.

Während wir in der westlichen Welt unendlichen Zugang zu Wissen und Bildung haben, kämpft man in Entwicklungsländern mit Problemen wie Analphabetismus oder fehlender Stromversorgung. Wie aber bringt man überlebenswichtiges Basiswissen in abgelegene, ländliche Regionen? Felicitas und Marcel Heyne haben sich mit diesem Problem beschäftigt und wollen mit ihrem Startup URIDU die Lösung liefern.

Liebe Felicitas, du hast zusammen mit deinem Mann Marcel Heyne 2015 das gemeinnützige Projekt URIDU auf den Weg gebracht. Erzähle mir doch in ein paar Sätzen was euer Projekt ausmacht.

Wir stellen Landfrauen in Entwicklungsländern wichtige Informationen zu Themen wie Gesundheit, Familie und Erwerbsmöglichkeiten zur Verfügung. Da diese Frauen weder lesen noch schreiben können und außerdem in Regionen leben, wo es keine Elektrizität gibt, nutzen wir dazu robuste, solarbetriebene MP3-Player. Absolut Low-Tech für uns, aber perfekt für diesen Einsatzzweck. Die Texte – gegliedert in kurze, einfach verständliche Frage-Antwort-Blöcke – werden darauf in der Muttersprache der jeweiligen Frauen vor Ort aufgenommen. Weltweit helfen schon 10.000 Freiwillige (meist ebenfalls Frauen) dabei, die Texte in derzeit über 100 Sprachen zu übersetzen.

URIDU
Felicitas und Marcel Heyne vor Ort in Tansania (Bild: URIDU)

Gab es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis, das euch dazu bewegte, URIDU zu starten?

Das gab es tatsächlich in einer ZDF-Dokumentation des Journalisten Claus Kleber („Hunger!“). Darin sieht man, wie ein kleines indisches Mädchen beinahe stirbt, nur weil ihrer Mutter ganz simples Basiswissen zum Thema Gesundheit fehlt. Das Kind ist am Verhungern; Nahrung gäbe es, aber die Kleine ist einfach zu schwach, um etwas zu essen und die Mutter weiß nicht, was sie tun soll. Die Lösung ist ganz simpel: ein bisschen Zuckerwasser, das dem Kind die nötige Energie liefert, wieder feste Nahrung zu sich zu nehmen. Uns hat das zutiefst erschüttert: Auf der einen Seite stehen wir westlichen Frauen mit einem 24/7-Zugang zu allem Wissen dieser Welt, auf der anderen Seite stehen diese Frauen, deren Kinder sterben, nur weil die Mütter nicht über einfachste physiologische Zusammenhänge Bescheid wissen. Wir wollten unbedingt etwas tun, um diesem Ungleichgewicht entgegen zu wirken.

Welche Fragestellungen werden mit dem MP3forLife-Player beantwortet?

Die Inhalte untergliedern sich in drei Bereiche: Gesundheit, Familie und Arbeit. Gesundheit beinhaltet vor allem Informationen zur Krankheitsprävention (beispielsweise was Keime sind, wie sie übertragen werden und warum Händewaschen wichtig ist), aber auch Fragen zur Frauengesundheit, Kinderpflege und Ernährung werden beantwortet. . Im Kapitel Familie geht es um Familienplanung, aber auch um andere Themen (beispielsweise um häusliche Gewalt, Konflikte in der Familie oder Unfallprävention). Das Kapitel Arbeit bauen wir gerade noch aus; momentan geht es darin viel um Arbeitssicherheit, aber da kommen noch Inhalte zu Erwerbsmöglichkeiten (z. B. Hühnerzucht oder Imkerei) und Existenzaufbau (beispielsweise
mittels Mikrokrediten oder Village Savings Groups) hinzu. Die Inhalte werden ohnehin alle fortlaufend ergänzt und erweitert.

In welchen Ländern ist der MP3forLife-Player schon im Einsatz?

Wir haben Pilotprojekte in Tansania, Uganda und im Kongo laufen. In Vorbereitung sind etliche weitere Länder wie Kenia, Nepal, Indien und China. Die Resonanz der Nutzerinnen und der örtlichen NGOs ist durchweg positiv, das Konzept wird sehr gut angenommen.

Neben dem MP3forLife-Player betreut ihr auch Uridupedia, eine auch über langsame 2G-Netze verfügbare Website mit Textblöcken, die wichtige Informationen für Frauen in ländlichen Regionen enthalten. Kannst du mir sagen, welche Fragestellungen die häufigsten sind?

Dazu haben wir tatsächlich gerade eine kleine Analyse durchgeführt, und zwar auf den Philippinen, wo die Website schon besonders häufig aufgerufen wird (über 300 Zugriffe pro Tag). Ganz vorne liegen dort Fragen rund um das Thema Frauengesundheit (von Menstruationsproblemen bis hin zu Unfruchtbarkeit) und Verhütung. Aber auch Fragen zum Thema Drogen und Alkohol, Gewalt gegen Frauen und Mangelernährung (beispielsweise nach Beriberi) werden sehr häufig gestellt. Man muss dazu vielleicht noch erwähnen, dass unsere Uridupedia auf den Philippinen – wie auch in 50 anderen Entwicklungsländern – durch unsere Kooperation mit dem Free Basics Projekt von Facebook über mobile Netze ohne Internetzugangskosten nutzbar ist.

Was sind die besonderen Herausforderungen des Projektes?

Die „Nachfrageseite“ macht uns keinen Kummer – seit wir mit dem Projekt im Internet sichtbar geworden sind (vor allem über die Übersetzungsplattform), erreichen uns täglich Anfragen von NGOs aus aller Welt, die sich für die Idee begeistern und gerne mit uns zusammen Projekte in ihrer Region auf die Beine stellen möchten. Es hakt derzeit noch an den Finanzierungsmöglichkeiten, da es sich fast immer um kleine Graswurzelorganisationen handelt (was auch in unserem Sinne ist, die sind am direktesten an den Frauen vor Ort dran). Seit November 2016 sind wir jetzt als gemeinnützige Organisation anerkannt und auch berechtigt, Spender und Sponsoren zu werben. Da müssen wir jetzt einfach alles dran setzen, genügend Gelder aufzutreiben.

Wo siehst du euer Projekt in fünf Jahren?

So ein paar hunderttausend Player hätten wir bis dahin schon gerne verteilt … :-) Gleichzeitig arbeiten wir aber an zusätzlichen Möglichkeiten, das Projekt zu skalieren: Zum einen werden schon heute etwa in Kenia alleine zigtausend MP3-fähige Geräte von Social Enterprises an arme Familien verkauft. Wir arbeiten mit den entsprechenden Unternehmen zusammen, um diese Geräte mit unseren Inhalten darauf auszuliefern. Dazu bauen wir gerade die Kampagne “SD4Africa” auf. Außerdem wollen wir unsere Inhalte durch Nutzung von Technologien wie Natural Language Processing mittelfristig in Form von Chatbots und digitalen Assistenten verfügbar machen. Gerade in Asien wird diese Form des Zugangs in Zukunft sicherlich von großer Relevanz sein. Der Kern unseres Projektes sind strukturierte Inhalte, die wir technologisch auf verschiedene Weise ausspielen.

Wie kann ich URIDU unterstützen?

Wir freuen uns natürlich über Spenden und Firmen, die sich im Rahmen von Corporate Responsibility einbringen möchten. Aber auch spannende Kontakte zu Menschen, die sich in irgendeiner Form einbringen möchten, sind hoch willkommen. Und last but not least sind wir jeder Plattform dankbar, die uns Gelegenheit bietet, unser Projekt in Deutschland und auch international überhaupt mal bekannt zu machen. Euch zum Beispiel! :-)