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Israel hat sich in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Technologie- und Startup-Hotspots der Welt entwickelt. Um sich vor Ort über die aktuellen Entwicklungen der israelischen Startup-Szene zu informieren, reiste eine baden-württembergische Delegation um Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut kürzlich nach Tel Aviv und Jerusalem. Auch David Hermanns, Geschäftsführer des CyberForum, hat an der Reise teilgenommen und schildert seine Eindrücke.

Noch bevor wir überhaupt so richtig in Israel angekommen waren – auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel – wurde ich von meinem aus dem Irak stammenden Taxifahrer gefragt, ob ich schon mitbekommen hätte, dass „wir“ die Firma mobileye  für 15,3 Miliarden Euro an Intel verkauft hätten?

Und mit „wir“ meinte er die Nation Israel. Dieses Land, etwa so groß wie das Bundesland Hessen, habe die größte Startup-Dichte sowie die höchste Risikoinvestmentrate der Welt, erzählte er mir stolz. Er habe seinem reichen Onkel aus Amerika schon vor Jahren empfohlen, 5.000 Euro zu investieren, um mindestens 100.000 Euro Gewinn zu machen. Das habe sein Onkel daraufhin getan und am Ende dabei 180.000€ verdient. Es folgte eine detaillierte Ausführung über die Firma, das Produkt und den 600 Millionen-Exit.
Ob der Onkel nun wirklich mit einem Plus von 175.000 Euro aus dem Deal herausging oder ob mit meinem Taxifahrer die Fantasie durchgegangen war, sei dahingestellt. Und es ist auch egal. Ich war beindruckt. Nicht von der Geschichte selbst, sondern vom Elan und Enthusiasmus meiner neuen Bekanntschaft. In Karlsruhe müsste man wohl lange suchen, um einen Taxifahrer zu finden, der sich derart mit der Startup-Szene identifiziert oder seiner Verwandtschaft gar zu Risiko-Investment rät.

Startup Nation Israel: ein Startup auf 431 Menschen

Im Laufe meiner Reise wurde mir jedoch klar, warum sich ganz Israel derart mit der Startup-Szene identifiziert. Doch beginnen wir am Anfang; und mit ein paar Hintergrundinformationen.

Israel verfügt weder über einen starken Binnenmarkt, noch sind dort Weltkonzerne ansässig. Dafür hat das Land am Mittelmeer eine exzellente Forschungslandschaft, hervorragende internationale Geschäftsbeziehungen und eine der fortschrittlichsten Armeen der Welt mit Hightech-Ausrüstung. Das sah vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders aus. Vor ca. 15 Jahren befand sich das Land in einer ökonomischen Krise. Das Bruttoinlandsprodukt lag 2002 bei gerade einmal 121,1 Milliarden US-Dollar und schrumpfte im Vergleich zum Vorjahr um 1%. Das Pro-Kopf-Einkommen sank sogar um 3% und erreichte somit das schlechteste Ergebnis seit 50 Jahren. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 lag das Bruttoinlandsprodukt bei 287, 8 Millionen US-Dollar.

Das Land musste etwas tun und startete deshalb eine Großoffensive (keine militärische!), um aus seinen Wissenschaftlern Entrepreneure zu machen. Dabei setzte Israel auf ein langfristiges strategisches Programm zur Aufbesserung seiner Wirtschaft auf: Zum einen wurden von staatlicher Seite 10 Fonds mit jeweils 20 bis 30 Millionen Euro Risikokapital eingerichtet, die heute übrigens alle privatisiert sind.

Zum anderen wurden an den Forschungseinrichtungen sogenannte Verbindungsoffiziere eingesetzt mit der Aufgabe, Innovationen aufzuspüren und diese gemeinsam mit den Gründern zum Erfolg zu führen. Eigens dafür wurden mehrere Inkubatoren eingerichtet, die eng mit den Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Und die Großoffensive fruchtete, denn in der Folge erwuchsen aus den Forschungseinrichtungen zahlreiche Spin-offs, so dass Israel mittlerweile auf über 5.000 israelische Startups blicken kann. Nur das Silicon Valley hat im weltweiten Vergleich mehr Unternehmen hervorgebracht. Beeindruckend, oder?

Mit einem straffen Programm auf den Weg zur Internationalisierung

Und die Innovationskraft ebendieser Großoffensive, des langfristig angelegten strategischen Programms, konnte ich vor Ort live miterleben– bei den Jerusalem Venture Partners. Die 1993 gegründete Venture-Capital-Gesellschaft mit Fokus auf Digitale Medien, Business Software und Cyber Security wählt aus tausenden von Bewerbungen pro Jahr fünf Geschäftsideen aus, um diese dann in einem straffen Programm zur Marktreife zu führen.

Zu Beginn des Programms erhält jedes der ausgewählten Unternehmen 500.000 Euro, um ein sogenanntes Minimum Viable Product (MVP) zu entwickeln. Der jeweilige Inkubator erhält außerdem 100.000 Euro für die nachhaltige Unterstützung der Gründer. Nach 6 bis 12 Monaten Inkubationszeit wird dann an die Großkonzerne und Global Player herangetreten, um zu evaluieren, ob das MVP den Marktbedarf auch decken kann. Ist dies der Fall, erhält das Startup für die Fertigstellung seines Produktes zunächst ein Investment in Höhe von 1 bis 2 Millionen Euro und dann nochmals 10 bis 20 Millionen Euro, um den internationalen Markt zu erobern. Ganz großes Kino!

Nur die besten Lösungen kommen weiter

Doch mehr noch als alle Inkubatoren-Programme und Startup-Fonds faszinierte mich der israelische Spirit, mit dem mir auch schon der Taxifahrer unmittelbar nach meiner Ankunft entgegentrat. Die Frage, die sich mir dabei stellte: Was macht die Leute dort so risikofreudig?

Ein Erklärungsversuch kam von Dr. Erel Margalit, einem der Gründer der Jerusalem Venture Capital. Er meinte, die Risikobereitschaft sei auf ein antiautoritäres Gen zurückzuführen, das alle Israelis in sich trügen. Und auf die Kindererziehung: Kindern werde viel Unabhängigkeit zugestanden und deshalb sei ein Großteil bereits in jungen Jahren selbständig und wagemutig.

Weiterhin ist die Risikofreude laut Dr. Margalit auch auf die gesellschaftliche und politische Situation in Israel zurückzuführen: Keiner weiß, was morgen kommt, weshalb jedem eine gewisse Improvisationsfähigkeit innewohne. Und so laute die Doktrin, selbst wenn es keinen genauen Plan gebe, trotzdem immer: „You have to complete your mission!“. Und eben diese innere Einstellung, führe auch dazu, dass Israelis bei Gründungen mit dem entsprechenden Engagement und einem unnachgiebigen Willen bei der Sache sind.

Was kann Baden-Württembergs Gründerlandschaft von Israel lernen?

Und das ist es auch, was ich mit nach Hause nehme: Wir müssen unsere Mission beenden und Baden-Württemberg zu dem Startup-Standort in Europa machen. Die Voraussetzungen dafür sind gut: Mit dem starken Mittelstand und Großkonzernen wie Daimler oder Bosch haben wir die Kunden für Jungunternehmer direkt vor der Haustür.

Doch braucht es dafür einen langen Atem. Israel hat vor 15 Jahren die Weichen für den heutigen Erfolg gestellt, mit einer klaren und langfristigen Strategie. Dagegen erscheint mir so manch ein Unterstützungsprogramme in Baden-Württemberg gut gemeint, aber zu kurz gegriffen: Viele der hiesigen Förderlinien basieren meist auf ESF-Programmen mit einer festen Projektlaufzeit und können deshalb niemals solch eine Verstetigung erfahren, wie die israelischen Pendants. Darüber hinaus ist die Fördersumme für Startups im Verhältnis zum Gesamthaushalt bisher noch sehr überschaubar. Und auch was die Vermarktung betrifft, können wir uns eine Scheibe von Israel abschneiden: Zu jeder Zeit und an jeder Station auf unserer Reise wurden uns die immer gleichen Zahlen, Daten, Fakten und Claims präsentiert. Keine Alleingänge oder Einzelkämpfer. Alles war aus einem Guss.

Das fehlt hier. Wer nach Karlsruhe, Stuttgart oder Mannheim kommt, bekommt immer nur die jeweilige Region präsentiert und niemals Baden-Württemberg im Gesamten. Dabei würde eine koordinierte und abgestimmte Strategie baden-württembergischen Startups bei der Internationalisierung helfen und internationale Startups zu uns ins Ländle ziehen. Das ist unbestreitbar. Auf dem Start-up-Gipfel Baden-Württemberg am 14. Juli werden Ministerpräsident Kretschmann und Wirtschaftsministerin Dr. Hoffmeister-Kraut neue Förderprogramme für das Startup-Land Baden–Württemberg vorstellen. Ich bin gespannt, ob sie damit ein Moonshot Startup-Programm für Baden-Württemberg zünden. Notwendig ist es!

Lasst es uns anpacken. Complete your Mission!