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Die Geschichte des Fernsehens in Deutschland reicht zurück bis in die 30er – damals noch in schwarz-weiß und verfügbar in öffentlichen Fernsehstuben. 1967 schließlich startete das Farbfernsehen in Deutschland, und trotz diverser Konkurrenzprodukte erfreut sich das klassische TV bis heute großer Beliebtheit. Noch?
Ein Interview mit Christian Pitschmann, Leiter des SWR-Studios Karlsruhe, passend zum Welttag des Fernsehens am 21. November.

Welttag des Fernsehens
Christian Pitschmann, SWR-Studioleiter in Karlsruhe.
(Bild: © SWR/Frank Stiller)

Herr Pitschmann, was war Ihre erste Begegnung mit dem Fernsehen, und was war seither für Sie die größte Veränderung in der Fernsehlandschaft?

Eine einzige Familie in unserer Straße hatte einen Fernseher; da trafen sich dann immer alle Kinder aus der Nachbarschaft, um gemeinsam zweimal in der Woche Folgen des Pferdeabenteuers „Fury“ und die dramatischen Siegeszüge von Ritter „Ivanhoe“ anzugucken – das war Mitte der 60er. Zur Fußball WM 1966 kaufte dann mein Vater einen Blaupunkt Fernseher – wie so viele andere damals.
Die größte Veränderung, derzeit, ist für mich TV on demand samt Mediatheken und die damit verbundene Mobilität und Unabhängigkeit: online Fernsehen schauen, wann und wo man will.

Man hört heutzutage oft, das lineare Fernsehen sei aufgrund der Konkurrenz durch Streamingdienste und Videoplattformen längst tot. Die Nutzerzahlen sprechen dagegen: 223 Minuten verbringen die Deutschen täglich vor dem TV, wobei vor allem die Senioren den Schnitt in die Höhe drücken. Wird das Fernsehen zunehmend zum Seniorenmedium?

Ist doch klar, dass ältere Menschen mehr Zeit zuhause verbringen und wenn man die Demografie in der Republik anschaut, dann sind die Zahlen, die Sie nennen, auch keine Überraschung. Von Seniorenmedium will ich aber nicht sprechen. Unser jüngster Sohn ist 19 Jahre alt und leidenschaftlicher Glotzer: was guckt der? Serien freilich, die linear liefen und die er sich aus dem Speicher holt, wann er will; aber auch Nachrichtenformate, aber nicht 1:1, sondern online aus der Mediathek aufs Tablet … Das lineare Fernsehen wird als Quelle vieler Inhalte noch sehr lange leben. Was irgendwann kommt? Keine Ahnung! Freilich: der Erfolg des linearen Fernsehens hängt künftig noch stärker von der Qualität seines Inhalts ab – dies gilt aber wohl für jedes Produkt auf der Welt.

Fernsehmacher bemühen sich unter anderem durch crossmediale Vermarktung, auch ein jüngeres Publikum anzusprechen – zum Beispiel durch begleitende Apps wie die Tatort-App, oder eine die Sendung begleitende Social Media Strategie. Was könnte oder sollte hier noch getan werden, welche Kanäle sind Ihrer Meinung nach noch nicht ausgeschöpft?

Wenn der Inhalt nicht zielgruppengerecht aufbereitet wird, oder wenn die ganze „Geschichte“ nichts taugt, fiktional und non-fiktional, dann verhilft auch die tollste App und das wildeste Geposte in den Social Media nicht zum Erfolg – eher zum shitstorm. Junges Publikum will ernst genommen werden und sich vor allem auch in den Inhalten tatsächlich wiederfinden. Dem müssen sich die linearen Kanäle anpassen. Und ich behaupte, das gilt vor allem auch für vermeintlich „dröge“ Genres wie Politik, Wirtschaft und Kultur. Vor allem sind die Jüngeren an Aktualität interessiert, an guten Reportagen, an verständlichem Hintergrund und nicht am „Redakteursfernsehen“. Dazu kommen dann gute Serien mit fiktionalem Inhalt, die witzig und auch intelligent sein sollten – siehe „Big Bang Theory“, seit 2009 bei Pro Sieben, in der linearen Erstausstrahlung bei CBS, läuft dort seit 2007, die erfolgreichste Serie 2014 und 2015 im deutschen Fernsehen in der werberelevanten Zielgruppe der 14 bis 49 jährigen.

Eine klassische Fernsehproduktion ist extrem zeitaufwändig und teuer, ein Online-Video hingegen ist schnell mal mit dem Smartphone gedreht und genauso schnell gepostet. Haben Sie den Eindruck, dass „Qualitäts(fernseh)journalismus“ im digitalen Zeitalter überhaupt noch ausreichend gewürdigt wird?

Die jüngeren Kolleginnen und Kollegen unseres SWR online Formates „DasDing vor Ort“ arbeiten als VJs, als Videojournalisten – und deren Produkte haben 1a Qualität, technisch wie inhaltlich. Und die junge Klientel goutiert die gute Qualität – ich bin sogar sicher: dies wird gerade von einem jungen Format der öffentlich-rechtlichen zu Recht erwartet. Wackelige, unscharfe Smartphone-Sequenzen taugen im Fernsehen doch allenfalls entweder als kurze Augenzeugenberichte für aktuelle Formate oder für Schadenfreude-Sendungen, die private Katastrophen-Videos aneinanderhängen, z.B. „Uuups Panneshow“ oder ähnliches. Und überhaupt, was ist denn Qualitätsjournalismus? Damit kann doch nur das „solide Handwerk“ gemeint sein, auf das auch in unabsehbarer Zukunft nicht verzichtet werden kann: gute Recherche, gute Interviews, gute Sprache, gute Bilder, hohe Kreativität, Seriosität.

Ihr Wunsch für das Fernsehen der Zukunft:

Es muss auf jeden Fall gesellschaftlich bleiben, das gilt für den öffentlich-rechtlichen Anbieter gleichermaßen wie für den privaten Anbieter. Nur durch gute Inhalte, egal in welchem Genre – und da zähle ich den Boulevard unbedingt dazu – kann das Fernsehen bestehen, um zum Beispiel auch den derzeitigen Anfeindungen in Teilen der Bevölkerung entgegenzutreten. Fernsehen muss akzeptabel sein, egal wie, wo und wann man es konsumiert.

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