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„Ein Hacker ist jemand, der versucht einen Weg zu finden, wie man mit einer Kaffeemaschine Toast zubereiten kann“. Dieses Bonmot wird dem Computeraktivisten und Mitbegründer des Chaos Computer Club (CCC) Wau Holland zugeschrieben und hat offenbar noch heute Gültigkeit. Denn wenn Hacker ein bestehendes System erst in seine Einzelteile zerlegen und dann durch das Einsetzen anderer Techniken verbessern, dann wurde während der diesjährigen Gulaschprogrammiernacht (GPN) sogar das Medienmuseum ZKM sowie die Hochschule für Gestaltung (HfG) gewissermaßen gehackt.

Über 1000 Teilnehmer machten aus den Lichthöfen der beiden künstlerischen Leuchtturminstitutionen während der 18. Auflage des mittlerweile viertägigen Hacker-Marathons Anfang Mai mit viel Einfallsreichtum und einer gehörigen Portion Esprit nämlich das wohl größte Experimentierfeld des gesamten Südwestens. Wo sonst Museumsgäste durch die Gänge flanieren oder Studierende über ihren Abschlussarbeiten brüten, saßen Hunderte von Technik-Tüftlern mit Laptops und Lötkolben an langen Arbeitstischen oder auf gemütlichen Sofas. Und selbst das Außengelände zwischen der ehemaligen Waffenfabrik und der Generalbundesanwaltschaft hatten die Hacker in Beschlag genommen und mit zahlreichen Hängematten und Liegestühlen in eine gemütliche Freiluftlounge zum Dösen und Diskutieren verwandelt.

Gulaschprogrammiernacht
Wo sonst Museumsgäste durch die Gänge flanieren oder Studierende über ihren Abschlussarbeiten brüten, saßen Hunderte von Technik-Tüftlern mit Laptops und Lötkolben an langen Arbeitstischen oder auf gemütlichen Sofas. (Bild: Ekart Kinkel)

„Imagepflege für die Hackerszene“

„Mit der Gulaschprogrammiernacht wollen wir aktive Imagepflege für die Hackerszene betreiben“, betonte Mitorganisator Christian Lölkes von der Karlsruher Hackervereinigung Entropia, einem regionalen Ableger des CCC in Hamburg. „Hacker sind keine langhaarigen Nerds, die sich von Pizza und Cola ernähren und aus ihren Kellern heraus Angriffe auf die Sicherheitssysteme von Banken und Regierungen unternehmen“, stellte Lölkes klar. Das gemeinsame Ziel von Hackervereinigungen wie Entropia ist laut Lölkes nämlich vielmehr die „Verbesserung der Gesellschaft durch technische Lösungen“ und dafür werden die vorhandenen Maschinen wie von Wau Holland beschrieben eben gerne mal in die Einzelteile zerlegt und wieder neu zusammengebaut. „Wenn daraus etwas Besseres entsteht, ist das ein guter Hack“, so Lölkes.

An praktischen Beispielen für gelungene Hacks herrschte während der viertägigen GPN18 einmal mehr kein Mangel. Teilnehmer „Nervengift“ programmierte eine computergesteuerte Pfaff-Nähmaschine zum Reparieren von zerschlissenen Kleidungsstücken und „Pathim“ und „fabianurban“ bauten die Elektromotoren von ausrangierten Hoverboards in Skateboards und Bobbycars ein. „So können die alten Teile wiederverwertet und einer neuen Nutzung zugeführt werden“, erläuterten die beiden Konstrukteure. Aus zwei leeren Mate-Getränkekisten und einigen Elektromotoren fertigte das Duo sogar einen komfortablen Flitzer. Der Clou an der Geschichte: Eine leere Getränkekiste wurde zum Sitz für den Fahrer umfunktioniert, in der anderen konnten gekühlte Getränkeflaschen durch ZKM und HfG transportiert werden.

Gulaschprogrammiernacht 2018
„Pathim“ und „fabianurban“ bauten die Elektromotoren von ausrangierten Hoverboards in Skateboards und Bobbycars ein. (Bild: CC-BY 4.0 »Florian Köhler, cheatha.de«)

Dass sich die Teilnehmer der langen Programmiernacht mit ihren Nicknames anreden gehört dabei ebenso zur Tradition des Hacker-Treffens wie ein Männeranteil von geschätzten 95 Prozent und die vielen nerdigen T-Shirts mit Aufschriften wie „I cracked your next password“ oder „Wanted! Schroedingers Cat – dead or alive“. Zur Erklärung für Nichtwissenschaftler: Bei seinem berühmten Gedankenexperiment entwarf der österreichischen Physikers Erwin Schrödinger ein fiktives Szenario, bei der eine in einer Kiste eingesperrte Katze gleichzeitig tot und lebendig ist. Und auch beim Essen überließen die Teilnehmer des Hacker-Treffens ebenfalls nichts dem Zufall. Teilnehmerin „Shantalya“ fertigte am Vorabend ihres 42sten Geburtstags mit dem 3D-Drucker Formen zur Fertigung von Schokoladentafeln mit den Motiven „42“ und „Don‘t Panic“ an – eine süß-ironische Anspielung auf Douglas Adams Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“, die gerade in der technikaffinen Informatiker-Szene regelrechten Kultstatus genießt.

Fachvorträge über Intersexualität im Internet oder Telematik in der Medizinbranche

Die Verbindung von analoger und digitaler Welt war auch das Thema beim Fachvortrag „Pluto – a not so smart watch“ von Lukas und Steffen. Dafür haben die beiden Entwickler in eine handelsübliche, wasserdichte Casio-Armbanduhr mit einfachem LCD-Display ihre eigene Hardware eingebaut und den Chronometer dadurch mit zahlreichen neuen Klingeltönen und Funktionen ausgestattet. „Eine wasserdichte Uhr selbst zu bauen, wäre deutlich schwieriger gewesen als der Einbau einer neuen Hardware“, betonten die beiden Projektentwickler.

Bei den rund 50 Fachreferaten wurden auch zahlreiche gesellschaftspolitische Themen wie die Intersexualität im Internet oder die Venenerkennung durch Sensoren behandelt. Hausarzt Stefan Streit behandelte bei seinem Referat „Aus einem anderen Land – Telematik der Medizin“ von den Problemen beim Einrichten eines Netzwerks von 200 000 Ärzten zum Abgleich von persönlichen Patientendaten. „Auf der einen Seite haben wir mit der Schutzwürdigkeit der Patientendaten zu kämpfen“, so Streit, doch auf der anderen Seite könnten gerade komplexe Krankheitsbilder durch einen schnellen Abgleich mit einer Datenbank besser diagnostiziert und effizienter behandelt werden. Neben den vielen technischen und rechtlichen Hürden erschweren nach Streits Ansicht auch die verkrusteten analogen Strukturen der Krankenkassen das Projekt

Indisches Hackerquartett präsentiert Software zur Bildkategorisierung

Erstmals dabei waren bei der 18ten Auflage der Programmiernacht auch vier Mitglieder des indischen Hackerteams „Morpheus“, die Anfang des Jahres mit ihrem System zur Kategorisierung von unsortierten Bildern einen von ZKM und Goethe-Institut organisierten Hackathon in Mumbai gewannen und ihr Siegerprojekt nun in Karlsruhe präsentierten. „Gerade im Kunstbereich sind viele der digitalisierten Bilder nicht richtig kategorisiert und deshalb hat ein solches Projekt einen echten gesellschaftlichen Mehrwert“, betont Lölkes. Mit dem ZKM steht Entropia auch sonst in regem Austausch und auch bei der Konzeption der derzeitigen Sonderausstellung Open Codes waren einige der Karlsruher Hacker aktiv beteiligt.

Das namensgebende Gulasch ist noch immer Programm

Gulaschprogrammiernacht
Das namensgebende Gulasch ist noch immer Programm. (Bild: CC-BY 4.0 »Florian Köhler, cheatha.de«)

Die erste Gulaschprogrammiernacht wurde bereits um die Jahrtausendwende von Entropia ins Leben gerufen. „Damals hatten wir kein Geld für die Miete und unsere Gäste mussten deshalb Gulasch mitbringen“, erinnert sich Lölkes an die Anfänge. Seit zehn Jahren geht die GPN mit stetig steigenden Teilnehmerzahlen in ZKM und HfG über die Bühne. „Die große Resonanz zeigt uns ganz klar, das Hacken mittlerweile voll im Trend liegt“, betont Lölkes. Das namensgebende Gulasch wurde auch bei der 18. GPN wieder kredenzt. „Vier Abende am Stück können wir das den Teilnehmern allerdings nicht zumuten“, sagt Lölkes mit einem Schmunzeln und deshalb standen neben dem klassischen ungarischen Nationalgericht auch noch eine vegetarische Alternative sowie ein orientalisches Curry und Pizza auf dem Speiseplan. Selbst beim Gulaschkochen lassen die Technik-Tüftler übrigens ihren Einfallsreichtum spielen, so Lölkes. „Wer ein vegetarisches Gulasch so hinbekommt, dass man den Unterschied zum fleischhaltigen nicht schmeckt, der hat das Gulasch erfolgreich gehackt“.