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Ein Ex-Internetunternehmer kritisiert das Internet. Im Januar ist Andrew Keens zweites Buch „Das digitale Debakel“ auf Deutsch erschienen. Eine Einschätzung.

Heilsversprechen und Untergangsvisionen begleiten jede Medieninnovation – so auch das World Wide Web. Nun ist das Internet längst nicht mehr neu. Diskutiert wird immer noch heftig. Doch während man heute auf dem Diskursfeld kaum noch Idealisten trifft, stehen die Kritiker dicht gedrängt. Sie werden nicht nur gehört, sondern auch gewürdigt, wie Jaron Lanier, der im vergangenen Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Dass der Pessimismus aktuell dominiert, wundert angesichts der Datensammelwut der NSA und der Übermacht der Internet-Konzerne nicht.

Auch Andrew Keen stimmt wieder in diesen Chor ein, und das zum Erscheinen seines zweiten Buches in Deutschland öffentlichkeitswirksam bei der Digital-Life-Design 15 (DLD15). Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr hat mit dem Silicon-Valley-Kenner und ehemaligen Internetunternehmer in diesem Rahmen auch ein interessantes Gespräch geführt. In seinem 300 Seiten starken Band „The Internet is not the Answer“ wirft Keen ein Schlaglicht auf die Internetkonzerne und die Menschen an ihrer Spitze, kritisiert Phänomene wie Big Data oder Share Economy, beklagt die „Ungerechtigkeiten in unserer Netzwerkgesellschaft“ und warnt vor drohender Arbeitslosigkeit. Die deutsche Übersetzung von Jürgen Neubauer mit dem Titel „Das digitale Debakel. Warum das Internet gescheitert ist – und wie wir es retten können“ ist aktuell bei der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen, die zur Verlagsgruppe Random House gehört. Preis für die gebundene Ausgabe: 19,90 Euro.

Verheerende Auswirkungen auf die Kultur

Im Jahr 2008 legte der gebürtige Brite mit seinem ersten Buch „Die Stunde der Stümper“ eine reißerische Polemik vor. Während er darin mit den Amateuren, Wikipedia-Begeisterten, Facebook-Süchtigen oder urheberrechtsverletzenden Filesharern, abrechnet und die Gratiskultur und Trivialisierung anprangert, wechselt er jetzt den Fokus. Weniger Übertreibungen zu bemühen, wie er es 2009 in einem Spiegel-Online-Interview angekündigt hat, ist ihm allerdings nicht so recht gelungen. Er malt die Zukunft auch diesmal rabenschwarz und führt den Lesern wieder vor, „welch verheerende Auswirkungen das Internet auf die Kultur hat“.

Keens Duktus strengt streckenweise an. Inhaltlich hält er, was er verspricht. Er analysiert gezielt und auf Basis statistischer Daten sämtliche Probleme, die uns aktuell in Bezug auf das Internet und die digitale Gesellschaft umtreiben: die Technisierung als Herausforderung für den Arbeitsmarkt, „Der gläserne Mensch“ (Kapitel 7), Armut und Ungleichheit. Auch sein Appell an die Verantwortung jedes Einzelnen, dass wir alle mit unserem Verhalten und unseren Entscheidungen die Zukunft mitgestalten, ist scharfsinnig. Dabei verwundert nur, dass er anderseits seine Leser als Gläubige der Internet-Heilsversprechen anspricht. Nur weil Facebook, Google oder Amazon noch die Mythen der vernetzten, digitalen Gesellschaft zu Werbezwecken nutzen, fallen doch die Nutzer nicht gleich darauf rein.

Keen inszeniert sich so als Befreier von Mythen, an die wir längst nicht mehr glauben, auf die er aber vermutlich in den 1990er Jahren als Gründer im Silicon Valley baute. Das zumindest lässt er bei seinem aktuellen Gespräch mit Spiegel Online durchblicken: „Es macht mir Sorgen, dass das Silicon Valley, in dem es doch um Gleichheit, digitale Chancen und Demokratisierung gehen soll, real das Gegenteil bewirkt, ohne dass das jemand geplant hätte.“