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Virtual Reality, Simulationssoftware und Künstliche Intelligenz: Bereits zum siebten Mal beschäftigte sich der bizplay Gamification Kongress Mitte Oktober 2018 mit den Synergie-Effekten zwischen Industrie und der Computerspielbranche. Über 300 Teilnehmende bescherten den Veranstaltern vom Unternehmernetzwerk CyberForum, dem K3 – Kultur- und Kreativwirtschaftsbüro Karlsruhe, der Karlsruher Messe- und Kongress (KMK) GmbH sowie der gerenwa GmbH ein Rekordergebnis.

„Die Vernetzung der einzelnen Branchen schreitet im Bereich der Digitalisierung immer weiter voran“, freute sich Organisator Frank Thieme von der KMK über die positive Resonanz auf den als Schnittstelle zwischen Business (biz) und Computerspielen (play) konzipierten Kongress. Anwendungen aus den virtuellen Spielewelten würden schließlich schon längst in zahlreichen anderen alltäglichen Gebieten wie beim Lernen, beim Einkaufen oder beim Sport eingesetzt.

„Computerspielbranche nimmt Vorreiterrolle ein“

„Die Computerspielbranche nimmt in vielen Bereichen der Digitalisierung als Keimzelle für Innovationen eine echte Vorreiterrolle ein. Davon können andere Branchen sehr gut profitieren“, so Thieme. Bei der bizplay wurden deshalb Workshops zu den drei Themenfeldern Mobilität, Kreativwirtschaft und Künstliche Intelligenz (KI) angeboten. Vor allem auf dem Gebiet der KI setze die Gaming-Branche seit längerer Zeit Standards, verwies Thieme auf die Siege von Computern gegen die weltbesten menschlichen Spieler in den komplexen Brettspielen Schach und Go. Doch auch die Automobilbranche nimmt seit vielen Jahren Impulse aus der Computerspielindustrie auf. Das machte auf der bizplay auch Armin Gräter von der BMW Group bei seinem Vortrag über Automatisiertes Fahren deutlich.

Moralisches Dilemma beim Einsatz von fahrerlosen Autos

Für bizplay-Kurator und gerenwa-Geschäftsführer Steffen P. Walz ist der Einsatz von fahrerlosen Autos im Straßenverkehr allerdings auch mit einem moralischen Dilemma verbunden. „Auch ein selbstfahrendes Auto kann Unfälle verursachen. Und dabei können Menschen zu Schaden kommen“, so Walz. Trotzdem seien autonome Systeme mit Sicherheit sicherer als menschliche Autofahrer und deshalb sollte der Einsatz solcher Technologien eigentlich nicht zur Debatte stehen. „Wenn die Anzahl der Unfälle reduziert werden kann, kommt das auf jeden Fall der Allgemeinheit zugute“, so Walz. Allerdings müssten die fahrerlosen Autos vor ihrem Einsatz im Straßenverkehr auf Teststrecken und in computergestützten Simulationen auf Herz und Nieren getestet werden.

Bereits heute sind Autos für Walz aber die idealen Experimentierfelder für multimediale Anwendungen aus der Computerspielbranche.“Kinder könnten auf dem Rücksitz mit Videos und Augmented Reality beschäftigt werden. Dann werden selbst längere Roadtrips für die Eltern deutlich entspannter“, so Walz. Bei aller Euphorie über die technischen Möglichkeiten zur digitalen Freizeitgestaltung sollten Erwachsene aber immer die tägliche Verweildauer ihres Nachwuchses vor den Bildschirmen im Auge haben und bei zu exzessiver Nutzung gegebenenfalls gegensteuern. Bei der Überprüfung des Medienverhaltens sei jedoch ein überaus differenzierter Blick auf die einzelnen Anwendungen vonnöten. „Man kann heute nicht mehr generell zwischen guter und schlechter Mediennutzung unterscheiden“, so Walz.

Bad News: Spielerische Auseinandersetzung mit Falschmeldungen im Internet

Dass ein Computerspiel auch einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftspolitischen Aufklärung leisten kann, machte der Journalist Ruurd Oosterwoud bei seinem Vortrag über die spielerische Prävention gegen gezielte Desinformation deutlich. Der Gründer der kritischen niederländischen Nachrichtenplattform Drog hat gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Cambridge das Browserspiel „Bad News“ entwickelt. Dabei sollen Spielerinnen und Spieler durch das Platzieren von gezielten Falschmeldungen möglichst viel Aufmerksamkeit generieren. Bereits wenige Wochen nach dem offiziellen Startschuss spielten rund 100 000 Leute das Spiel und verbreiteten Falschinformationen und krude Verschwörungstheorien. „Wir wollen den Leuten spielerisch zeigen, wie einfach es ist, falsche Nachrichten zu produzieren und übers Internet zu verbreiten“, nannte Oosterwoud den Grund für die Entwicklung des Spiels. Auf diese Weise könnten die Leute Nachrichten im Internet kritischer hinterfragen und die Spreu besser vom Weizen trennen.

„Gefälschte Nachrichten können sehr gefährlich sein. Aber wir dürfen vor solchen Nachrichten keine Angst haben. Sonst gewinnen die Gegner“, so Oosterwoud. Als typisches Beispiel für die virale Verbreitung einer gefälschten Nachrichtenmeldung nannte er den „Fall Lisa“. Nur wenige Stunden nachdem im Januar 2016 in sozialen Medien über die mutmaßliche Vergewaltigung eines 13-Jährigen Mädchens durch Migranten berichtet wurde, gingen die ersten russischstämmigen Demonstranten mit AfD-Anhängern auf die Straße und machten mit rechtspopulistischen Parolen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland mobil. Urheber dieser Falschmeldung waren laut Oosterwoud höchstwahrscheinlich russische Agenturen und so genannte Trolle.

Mit der Gründung einer fiktiven niederländischen Troll-Armee wollen Oosterwoud und seine Mitstreiter deshalb auch die Mechanismen der staatlich finanzierten Falschmeldungsindustrie ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Und bei Workshops in Schulen werden Jugendliche von Oosterwoud und seinen Mitstreitern ebenfalls für die Unterschiede zwischen echten und falschen Nachrichtenmeldungen sensibilisiert. Über 800 000 Leute lasen in Holland laut Oosterwoud übrigens die Meldung über eine drohende Hitzewelle mit Temperaturen von dauerhaft über 39 Grad Celsius in den Niederlanden. „Geschrieben wurde diese Meldung von zwei 14-jährigen Jugendlichen“, so Oosterwoud. „Und gebraucht haben sie dafür noch nicht einmal eine halbe Stunde“.