Letztens durfte ich einen Shitstorm am Internet-Himmel aufziehen sehen: Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) launcht Emma, „die erste virtuelle Influencerin“ – und erntet vorrangig Spott und Hohn. Und nicht nur das: Viele Nutzer:innen auf Instagram und LinkedIn waren richtig sauer. Ich frage mich natürlich: Was können wir aus diesem Shitstorm in der Unternehmenskommunikation lernen? Werden bald virtuelle Influencer:innen das Gesicht nach außen sein?
Ich fange von vorne an. Mit der rasanten Entwicklung von GenAI im letzten Jahr wurden uns neue, tolle Werkzeuge an die Hand gegeben. Runway und Co. egalisieren die Filmbranche und schaffen Möglichkeiten, die es zuvor für normale Menschen nie gab. Filme erschaffen? Bilder generieren? Und das alles mit einem Klick? Die Versprechen klingen toll, die ersten Gehversuche sind mind-blowing. Das Alter Ego am Strand mit Beachbody? Läuft. Die Einstiegshürde: gering. Und dann? Dann wird es anstrengend, wie mit allem Neuen, was man so meistern möchte. Photoshop, Paint, die erste digitale Kamera, Handyfotografie: Diese Tools haben Millionen begeistert, aber über die ersten Babysteps sind die wenigsten gekommen. Denn es erfordert Durchhaltevermögen und Kreativität.
Zurück zu Emma. Das Versprechen der DZT: Eine technikaffine Zielgruppe ansprechen und rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Die Kritikpunkte? Die Umsetzung bekommt jeder Absolvent eines IHK-Kurses für GenAI nach ein paar Stunden Spielen hin (kein Scherz, leider). Von den projizierten Stereotypen einer weiblichen Touristin mal ganz zu schweigen. Und wenn schon technisch schlecht, dann auch inhaltlich hohl – anders kann man das Storytelling nicht beschreiben. In Kürze: Diese „Influencerin“ verbindet nicht, schafft keine Mehrwerte, erzeugt keinen „relatable Content“, wohl auch weil sie einfach (noch) keine Persönlichkeit hat.
Spannend wird es in der Kommentarspalte, wie immer. Neben der grundsätzlichen „Weshalb“-Frage wird hauptsächlich über die Technologie diskutiert – und weniger über Inhalte und Botschaft. Eine Diskussion, die eigentlich am Kern vorbei geht.
Denn virtuelle Influencer:innen sind überhaupt nichts Neues. In Asien und Nordamerika gibt es einige bekannte Beispiele, wie z.B. Lil Miquela oder Aitana Lopez, welche, wie ihre realen Vorbilder, Millionendeals mit Brands haben und auch außerhalb ihrer eigenen Kanäle aktiv sind.
Was unterscheidet also eine virtuelle Influencer:in von ihren echten Kolleg:innen in der Wirkung? Im besten Fall: nichts. Sie baut eine Community um sich herum auf, veröffentlicht „relatable Content“, weckt Gefühle, macht Lust auf Interaktionen – und beeinflusst Menschen in ihrer Wahrnehmung und ihren Entscheidungen.
Also einfach nur eine KI-Unternehmens-Persona schaffen und los geht das Corporate influencen? Nein, es ist eine größere Kunst, einer digitalen Person Leben einzuhauchen als einer real existierenden, denn es erfordert exzellentes Storytelling, viel Zeit und Know-how und eine strategisch-kreative Vision. Erst wenn eine Community aufgebaut wurde, kann (von ihr) der Titel Influencer:in verliehen werden. Und nicht, wie die DZT, einen einzigen (herzlosen) Clip auf einen leeren Kanal zu setzen und zu sagen: Diese Person ist nun eine Influencer:in, viel Spaß damit.
In einer Welt, in der Institutionen an Vertrauen verlieren und Einzelpersonen damit überschüttet werden, könnten virtuelle Influencer:innen diese Lücke schließen. Die Frage lautet: Was können virtuelle Avatare, was echte Personen nicht können? Klar, sie sind steuerbar, wechseln nicht den Arbeitgeber, sind offen für Veränderungen, haben keine Leichen im Keller und sie sind da, wenn man sie braucht.
Die größte Chance liegt aber woanders: Sie können sich Dinge erlauben, welche für echte Menschen tabu wären. Mal ein bisschen frecher sein, sich weit aus dem Fenster lehnen? Humor? Mal eine ganz neue Seite zeigen? Alles möglich, es wird verziehen – ist ja nicht echt. Virtuelle Influencer:innen können die funny bones eines Unternehmens werden und ihre Zielgruppen unterhalten. Denn Unterhaltung ist das, was am besten ankommt, egal in welcher Zielgruppe, egal auf welchem Kanal.
Was ich im Kern sagen möchte: Storytelling ist und bleibt der Schlüssel ins Herz der Menschen. Die Techniken mögen sich ändern, aber nicht die Geschichten. Virtuelle Influencer:innen aufzubauen ist eine tolle Idee, erfordert aber viel Liebe, Vorbereitung und eine klare Strategie. Und gerade für Unternehmen, welche sich schwertun, eigene Corporate Influencer:innen aufzubauen, liegt darin eine tolle Chance – nur nehmt es nicht auf die leichte Schulter.
Und noch eine ganz persönliche Bitte, wenn ihr euch innovativ darstellen wollt: KI ist nur ein Werkzeug und kein Selbstzweck. Nicht die Nutzung moderner GenAI-Technologie lässt euch glänzen, es sind die Geschichten, die ihr damit erzählt.