TTIP, das geplante transatlantische Freihandelsabkommen steckt in der Krise. Mit nur noch 34 Prozent ist die Zustimmung in dem schon immer TTIP-kritischen Deutschland laut einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts TNS Emnid weiter gesunken. Hier ein paar Thesen, warum eine sachliche Argumentation zu Gunsten der Vereinbarung jeden marktwirtschaftlich denkenden Menschen angeht.
Gegner attackieren das Abkommen – und prügeln die Wirtschaft
Man brauchte nur die Plakate und die Slogans auf der großen Anti-TTIP Demonstration in Berlin vor wenigen Wochen zu lesen, um zu erkennen, dass es hier nicht ums Detail, sondern ums große Ganze ging: „Keine Wirtschaftsnato“, „TTIP ist böse“, „Unser Essen, unser Land bleibt in unserer Hand“ oder „Kein Freifahrschein für die Profite der Konzerne“ lauteten die Slogans. Und immer wenn hinter Plakaten ein bunter Strauß von Gruppen hinterherläuft, die sonst keine Schnittmenge haben, dann kann es weniger um Argumente, sondern nur um die großen Überschriften gehen. Von rechts bis links, von grün bis fromm waren alle dabei, die mit der Art und Weise wie unsere Marktwirtschaft organisiert ist, ein grundsätzliches Problem haben.
TTIP ist da nur ein guter Anlass, um sich wieder einmal auf der Straße und in diversen Initativen zu treffen. Die Bewegung wird geeint vom Nein, der Angst und gemeinsamen Feindbildern: die großen Konzerne, die technokratische EU, Kapitalisten als solche und die imperialistischen Amerikaner im besonderen.
Um nicht missverstanden zu werden: Ohne bürgerschaftliches Engagement und ohne Proteste wäre nie die in der Tat sinnvolle Diskussion über das Abkommen zustande gekommen. Aber es geht den dominierenden Stimmen in der Protestbewegung längst nicht mehr um die Debatte, es geht ums antikapitalistische Prinzip. Das sollte auch denjenigen wachrütteln, der mit dem einen oder anderen Aspekt von TTIP Probleme hat.
Sich nicht in der Debatte zu engagieren, überlässt Wortführern das Thema, die ganz grundsätzlich ein Problem mit der freien Wirtschaft haben.
Die Debatte läuft, als verhandelten zwei Agrarnationen
Mit einem cleveren Schachzug haben die Gegner der Diskussion den entscheidenden Dreh gegeben: Sie ignorieren einfach den dominierenden Teil der Handelsbeziehungen, den Austausch von Industrieprodukten, der etwa durch die Anwendung unterschiedlicher Maß- und Genehmigungssysteme manchmal auf absurde Weise behindert wird. Sie fokussieren sich hingegen auf das hochemotionale, aber letztlich für den Handelsaustausch nur marginale Thema Landwirtschaft und Lebensmittel.
Die Zahlen sprechen für sich: Nur 1,1 Prozent der von den USA nach Deutschland exportierten Waren sind Nahrungsmittel, im Gegenzug kommen beim Export deutscher Unternehmen in die USA Maschinen und Fahrzeuge auf einen Anteil von 50,8 Prozent. Weder die EU noch die USA dürften deshalb ein Interesse daran haben, ein Abkommen ausgerechnet an der ökonomisch eher unbedeutenden Landwirtschaft scheitern zu lassen.
Man kann in der Tat die unterschiedlichen Traditionen im Verbraucherschutz für inkompatibel halten und deshalb diesen Aspekt eines Abkommens ablehnen. Die EU verbietet viele chemische Substanzen einfach vorsorglich, ohne wissenschaftliche Beweise abzuwarten, in den USA hängt hingegen das Damoklesschwert enormer Schadenersatzsummen über den Erzeugern, sollte es tatsächlich ein Problem mit einer von ihnen verwendeten Substanz geben.
Und da Anwälte in den Vereinigten Staaten jeden Anreiz haben, solche Fälle auszuschlachten, ist dieser Druck real. Die USA also als ein Land zu karikieren, in dem die Verbraucher wehrlos von großen Konzernen vergiftet werden, ist absurd. Dass die Ängste vor der US-Massenproduktion in Deutschland besonders groß sind, hat im übrigen seinen Charme: Die Deutschen geben für Lebensmittel weniger aus als fast alle anderen Europäer.
Deutschland ist zudem die Heimat großer Fleischproduzenten und andere EU-Länder beklagen sich über die Dumping-Praktiken an deutschen Schlachthöfen…
Die USA sind keine Bananenrepublik
Man hat den Eindruck, dass manche TTIP-Gegner in Deutschland ihr Amerikabild immer noch aus Western beziehen. Die USA sind eine Demokratie, ein hoch entwickelter Industrie- und Rechtsstaat.
Ja, es stimmt: Bei vielen gesellschaftspolitischen Abwägungen entscheiden sich die Amerikaner im Zweifelsfall für die Freiheit, die Europäer für staatlichen Schutz. Aber im Rahmen dieser Grundorientierung gibt es viele Facetten. Das schönste Beispiel dafür ist das viel zitierte und viel missbrauchte Chlorhuhn. Wenn Amerikaner lesen, dass knapp ein Fünftel der Hühner aus deutscher und europäischer Produktion mit Salmonellen belastet sind, dann kommt ihnen das kalte Grausen. Das hat in der Tat damit zu tun, dass wir in der EU auf das Desinfektionsverfahren mit Chlor verzichten. Europäer fürchten sich eben mehr vor Chemie als vor „natürlichen“ Gefahren.
Wenn man nun den Amerikanern erzählt, dass ein Schluck von Schwimmbadwasser schlimmer ist als der Verzehr von jeder Menge Hühnchen und dass aber andererseits Salmonellen schlimme Krankheiten hervorrufen können, dann kapieren sie ihrerseits unsere europäische Art der Abwägung nicht so recht. Die Liste ließe sich verlängern: US-Tierzüchter gehen mit Hormonbeigaben großzügig um, die Europäer benützen hingegen massenhaft Antibiotika. Die Regeln für Medikamente und Transplantate sind in den USA deutlich strenger. Und war da nicht etwas mit US-Dieselvorschriften, an denen sich ein großer deutscher Autohersteller die Zähne ausgebissen hat…?
Deutschland braucht TTIP mehr als die USA
Man braucht nur auf die Zahlen beim Exportanteil zu blicken – und schon bricht die These, dass TTIP auf amerikanischen Imperialismusgelüsten gründet, in sich zusammen.
Exporte haben am Bruttoinlandsprodukt der USA nur einen Anteil von 9 Prozent. Deutschlands Wirtschaftskraft hing hingegen 2014 zu 39 Prozent von Ausfuhren ab. Dabei kaufen die Amerikaner deutlich mehr deutsche Produkte als umgekehrt die Deutschen Erzeugnisse aus den USA. So hat Deutschland im Jahr 2014 einen satten Handesbilanzüberschuss von 46 Milliarden Euro mit den USA erzielt. Das ist der höchste mit einem einzelnen Land überhaupt. Anders gesagt: Deutschland exportiert knapp doppelt so viele Waren in die USA wie man von dort importiert. Und gerade erst haben die USA nach 50 Jahren erstmals Frankreich als größter deutscher Exportmarkt abgelöst.
Dies erklärt nebenbei, warum TTIP in den USA kaum ein Thema ist: Als das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA die Nachbarländer Kanada und Mexiko in den amerikanischen Orbit brachte, waren die Erschütterungen viel größer. Auch Deutschland hat mit der Etablierung des europäischen Binnenmarktes schon eine viel bedeutendere Deregulierung überstanden.
Das Reinheitsgebot für das deutsche Bier, das damals als erstes Opfer der EU-Bürokraten an die Wand gemalt wurde, hat es übrigens überstanden. Gerade erst haben die USA die Transpazifische Partnerschaft TPP vereinbart. Und dieses Abkommen, das als Gegengewicht gegen China gilt, hat die US-Öffentlichkeit deutlich mehr beschäftigt.
Laut einer Schätzung der FAZ sind in US-Medien zehnmal mehr Artikel zu TPP erschienen als zu TTIP. US-Präsident Obama wird eher für die Ratifizierung des pazifischen Abkommens sein politisches Gewicht in die Waagschale werfen. Ob TTIP etwas wird oder nicht, hat für die amerikanische Wirtschaft hingegen ein deutlich geringeres Gewicht als für die unsere.
Die Asiaten schlafen nicht
Kann Europa die globalen Standards mitbestimmten, das ist eine weitere Frage, die an TTIP hängt. Bisher orientieren sich viele asiatischen, insbesondere auch chinesische Firmen an deutschen und europäischen Normen. Doch wenn die bereits fertig ausgehandelte Transpazifische Partnerschaft TPP in Kraft tritt und TTIP gleichzeitig scheitert, dann verschieben sich die Gewichte.
Es ist legitim, wenn Europa für sich selbst bestimmte Standards hochhalten will. Doch wer Angst davor hat, dass ein TTIP-Abkommen diese unter Druck setzten könnte, der wird sich noch wundern, wenn die globalen Normen von anderen definiert werden. Zusammen mit den USA hätte Europa ein viel größeres Gewicht, seine Vorstellungen auch global durchzusetzen.
TTIP ist auch deshalb so schwierig, weil zwei etwa gleichstarke Partner auf Augenhöhe verhandeln. Da dies ein Geben und Nehmen ist, sollte man nicht nur darauf starren, wo Amerikaner unsere Normen verwässern könnten, sondern wo Europa selbstbewusst eine Annäherung an seine Standards verlangen kann. Deswegen wären konstruktive, differenzierte Debattenbeiträge aus der Wirtschaft so wichtig – eine plumpe Pro-TTIP-Propaganda als Gegenpol zu den Angstparolen reicht nicht.
In der TTIP-Angst manifestiert sich der Wunsch nach Abschottung
Dass sich deutsche und europäische Rechtsaußen mit den TTIP-Gegnern freudig solidarisieren, darf man den Kritikern des Abkommens nicht vorwerfen, die beispielsweise zurecht von der EU mehr Transparenz eingefordert haben. Doch vieles an den Anti-TTIP-Slogans passt in eine von Ängstlichkeit, dem Wunsch nach Abschottung und dem nationalen Idyll geprägte Stimmung in Europa. Zäune nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern die ganze unübersichtliche, verstörende globalisierte Welt sind en vogue. Und anstatt bei der Gestaltung dieser globalen Ordnung mitzumachen und um mögliche Verbesserungen zu ringen, dominiert das ressentimentgeladene Nein.
Wer sich für das Abkommen einsetzt, kämpft deshalb um mehr als nur ein paar ökonomisch vorteilhafte Handelsklauseln, er engagiert sich auch für die Frage, wie das Europa der Zukunft grundsätzlich aussehen soll: Kann es ein weltoffener, selbstbewusster Kontinent sein, der an seine wirtschaftliche Stärke glaubt und deshalb im Freihandel seine Chance ergreift? Oder ist ein Scheitern von TTIP einer der Bausteine des Rückzugs, der nicht zu mehr Wohlstand und Sicherheit führen wird, sondern zu weniger?
Es geht in der Tat ums Grundsätzliche
Die deutsche Exportwirtschaft würde ein Scheitern von TTIP überstehen. Aber wer an einer liberalen, ökonomischen Weltordnung interessiert ist, die von Europa nur zusammen mit den USA verteidigt werden kann, der sollte das nicht einfach kampf- und diskussionslos geschehen lassen.
Es gibt vernünftige Kritiker wie etwa Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, die den Freihandel als solches nicht in Frage stellen und für ein abgespecktes TTIP plädieren. Auch beim Schreckgespenst außergerichtlicher Schiedsinstanzen wären Kompromisse denkbar. Ob sich die USA darauf einlassen, steht auf einem anderen Blatt. Aber wenigstens wäre es kein vorurteilsbeladenes, sondern ein konstruktives Scheitern.
Die TTIP-Befürworter sollten sich ihrerseits nicht auf angeblich in Euro zu berechnende Phantasiezahlen der ökonomischen Vorteile beschränken, sondern verstehen, worum es wirklich geht: Es geht um ein offenes Herangehen an die Zukunft, um eine Verteidigung marktwirtschaftlicher Mechanismen und um die globale Wirtschaftsordnung.
Die Gegner haben dies sehr wohl verstanden, als sie TTIP zum Mobilisierungsthema gemacht haben.
Als Unternehmer, Gründer oder Innovator braucht man nicht gleich vom Markteintritt in den USA zu träumen, um zu erkennen, dass die Art und Weise wie die Debatte geführt wird, enorme Folgen für den Blick auf ökonomisches Handeln generell hat. Es reicht also nicht, sich hinter den Wirtschafts- und Industrieverbänden zu verstecken, die am wachsenden Glaubwürdigkeitsdefizit vieler Institutionen in unserem Land leiden. Man muss selber mitreden und sein Umfeld überzeugen. Die TTIP-Gegner haben die Demokratie nämlich nicht für sich alleine.
Der Artikel erschien zuerst auf Geldner Neuland-Blog.