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Jeden Tag ins gleiche Büro, montags bis freitags 9-to-5 durcharbeiten, auf das Jahr 30 Tage Urlaub verteilen – das war der Arbeitsalltag vieler Digitaler Nomaden, bevor sie sich von diesem sesshaften Leben verabschiedeten. Auch mein Arbeitsalltag entsprach einer gewissen Routine, selbst wenn ich als Selbstständige mehr Freiheiten genieße, was meine Zeiteinteilung betrifft. Gibt es im Leben eines Digitalen Nomadens überhaupt so etwas wie Alltag? Geht das überhaupt, die Welt zu sehen und gleichzeitig noch produktiv zu sein?

Die Dinge, über die ich mir in Deutschland keinerlei Gedanken machen muss, stellen mich in Brasilien bei jedem Ortswechsel wieder vor eine neue, kleine Herausforderung. Routine? Pustekuchen! Es folgen Auszüge aus dem Alltag eines Digitalnomaden:

An einem neuen Ort ankommen

Als ich am Flughafen Brasilias lande, bewege ich mich zum Abflugbereich A, denn dort möchte mich Mira, meine Gastgeberin für die nächsten 2 Wochen, abholen. Es ist Mitternacht und der für eine Hauptstadt sehr überschaubare Flughafen menschenleer. Ich warte und warte, doch das angekündigte Auto kommt nicht. Ich spreche die Mitarbeiter an der Flughafen-Info an, versichere mich noch mal, dass ich am richtigen Fleck stehe und finde immer noch keine Person, die meiner Gastgeberin auf ihrem AirBnB-Profil ähnlich sieht.

Ich versuche, Mira anzurufen, doch es geht nur die Mailbox dran. Als ich mich dazu durchringe, einen Taxifahrer anzusprechen, um selbst zum Apartment zu fahren, merken wir beide, dass ich zwar eine Straßennummer, aber weder eine Blocknummer (die gehen von A-Z), noch eine Apartmentnummer habe. Die Idee, mit dem Taxi zu kommen, gebe ich also auf.

Ich schreibe Mira über die AirBnB-App eine Nachricht (zum Glück gibt es auch an diesem brasilianischen Flughafen wieder kostenfreies Internet) und siehe da – sie schreibt sogar zurück. Bis sie verstanden hat, dass ich im aktuellen Moment am Flughafen auf sie warte, schreiben wir uns jedoch noch ein paar Nachrichten hin und her und die Zeit vergeht entsprechend. Mittlerweile ist es halb 2 in der Nacht.

Als sie mich schließlich abholt, klärt sich, dass sie dachte, ich würde erst einen Tag später kommen. Zuhause angekommen stellt sich dann heraus, dass sie ihre Nachrichten mit Google Translate schreibt – das sich im Verlauf der weiteren Tage zwischen uns beiden noch als sehr hilfreich herausstellen soll.

Screenshot von Google Translate Deutsch Portugiesisch
Wenn „Portagnol“ nicht weiter hilft, müssen Hände und Füße herhalten – und Google Translate (Bild: Screenshot)

Sich vor Ort verständigen

„Oi, tudo bem?“ (Hallo, wie geht’s?) ist die wichtigste Phrase in der portugiesischen Welt und wird immer dann benutzt, sobald man auf andere Menschen trifft. Sei es, ob man einen Laden betritt, die Kollegen begrüßt oder jemandem vorgestellt wird.

Bei der Antwort ist der Brasilianer ähnlich genügsam wie der Amerikaner und erwidert unabhängig von seinem tatsächlichen Genütszustand ein „Tudo bem, e você?“ (Gut, und dir?). Dieses Begrüßungsritual nach drei Monaten nicht draufzuhaben, ist quasi unmöglich. Ansonsten beschränken sich meine Portugiesischkenntnisse auf ein paar Wörter, die bei der Wegbeschreibung nützlich sind, Gerichte, die ich häufig genug auf Menükarten gelesen habe und ein paar Zahlen.

Mit den meisten Brasilianern kommuniziere ich in einem „Portangol“, einer Mischung aus Portugiesisch und Spanisch. Sobald ich merke, dass ich nicht weiterkomme, frage ich „Você falou inglês?“ (Sprechen Sie englisch?) und die Konversation wird entweder auf Englisch – oder, wenn der Andere nicht englisch spricht – mit Händen und Füßen weitergeführt.

Einen geeigneten Arbeitsplatz finden

Dass kein Nomade direkt am Strand auf der Sonnenliege herumliegt und währenddessen am Laptop arbeitet, ist mittlerweile wohl kein Geheimnis mehr. Wie aber finde ich einen guten Arbeitsplatz? Über die Google –Suche „Coworking + Stadtname“…

Filterkaffee in einer mechanischen Kaffeemaschine
Schnelles WiFi? Manchmal gibt auch die Qualität des Kaffees den Ausschlag (Bild: death to stock)

In Belo Horizonte ist mein brasilianischer Kumpel George dabei, als ich den Coworking-Space betrete. Wir treffen auf Bruno, den Eigentümer, der sein Angebot mit den Worten „We have coffee, good coffee, the best coffee in Belo Horizonte“ anpreist. Die Brasilianer verstehen unter einem guten Arbeitsplatz für Webworker also das gleiche wie wir: Gutes Internet und guten Kaffee. Bruno und ich machen „vista grossa“, d. h. wir „übersehen“ die offizielle Preisliste und vereinbaren für meine nächsten Arbeitstage einen für mich preisgünstigen Deal.

In Rio hingegen zahle ich mehr für meine Unterkunft, ein zusätzlicher Platz im Coworking-Space würde mein Tagesbudget sprengen. Deshalb versuche ich mein Glück in der örtlichen Stadtbibliothek. Nachdem ich die Mitarbeiterin erwischt habe, der ich mein Anliegen auf Englisch erklären kann, muss ich meinen Pass vorzeigen und ein Formular ausfüllen, mit welchen Gegenständen ich den Arbeitsraum betreten möchte.

Ich liste brav alles auf: Laptop, Notizbücher, Netzstecker, Kugelschreiber, Smartphone. Mein Zugang wird zunächst blockiert – wegen des Kugelschreibers! Ich verstehe nicht wieso, beuge mich aber natürlich der Regel, schließlich bin ich zum Arbeiten hergekommen und nicht zum Diskutieren. Als ich mein Unverständnis über diese Situation auf Facebook auslasse, bekomme ich zumindest von einem meiner Freunde eine Erklärung: Auch in so manch deutscher Bibliothek muss man den Kuli im Spind verschließen – Man hat Angst, dass die Bücher bekritzelt werden. Wieder was gelernt!

In Brasilia probiere ich gleich zwei verschiedene Co-Working Spaces aus. Der erste gefällt mir sofort: Hell, Einzelbüros für die festen Mieter sowie eine Gemeinschaftszone für die flexiblen Besucher, die sich wie ich nur tage- bzw. wochenweise einmieten. Hier treffe ich auf Menschen, mit denen ich mich unkompliziert auf Englisch unterhalten kann. Als ich meinen Platz im Voraus für die ganze Woche bezahlen möchte, sagt die Assistentin, dass ich am Ende der Woche zahle. Ich bin beeindruckt. Hier wird einer Ausländerin bedingungsloses Vertrauen geschenkt!

Auch im zweiten Co-Working-Space ist man offensichtlich davon begeistert, dass Besuch aus Deutschland da ist. Über Facebook frage ich beim Eigentümer an, was er für Preise hat. Er nennt mir diese, wir freunden uns bei Facebook an und er fragt gleich, ob ich nicht einen Content Marketing Workshop bei ihm anbieten möchte. Er könnte versuchen, diesen über sein Netzwerk zu verkaufen. Ich bin positiv überrascht, denn wir haben uns persönlich noch gar nicht kennengelernt. Ablehnen muss ich trotzdem, denn meine verbleibende Zeit in Brasilia reicht leider nicht mehr aus.

Ute klingelöfer sitzt im Co-Working Spaca an einem Arbeitsplatz
Hell, schnelles Internet, guter Kaffee: die Hauptansprüche an Co-Working-Spaces – fast wie im Büro zu Hause… (Bild: Ute Klingelhöfer)

Von A nach B kommen und sich orientieren

In Karlsruhe würde ich mein Fahrrad nehmen, in Brasilien ist so ein umweltfreundliches Fortbewegungsmitte fast schon verpönt – man könnte ja schwitzen. Da steigt der Brasilianer lieber in sein klimatisiertes Auto. Ich nehme in Rio de Janeiro entweder den Bus, das Taxi oder die Metro. Das Metrosystem ist selbsterklärend, es gibt nämlich strenggenommen nur eine Linie. Nehme ich den Bus, checke ich vorher Google Maps, das mir zuverlässig die Anzahl der Haltestellen anzeigt, die ich dann im Bus sitzend abzähle bis ich an meinem Ziel angekommen bin (was mal mehr oder weniger gut funktioniert).

Brasilia ist dagegen eine Stadt, in der man kaum Fußgänger auf der Straße sieht. Hier die Metro oder den Bus zu nehmen, erscheint mir nicht besonders attraktiv in Sachen Sicherheit. Das Stadtbild ist geprägt von Autos, auch wenn Bus und Metro angeboten werden. Dies führte schließlich dazu, mir jetzt, gegen Ende meines Brasilien-Aufenthalts, dann doch noch eine lokale SIM-Karte zu kaufen, um noch einmal etwas Neues auszuprobieren: UBER.

Die günstige Alternative zum Taxi begeistert mich von der ersten Fahrt an: Ich sehe ein Foto von meinem Fahrer vor der Fahrt und – wenn ich Sicherheitsbedenken habe – kann ich meinen Ankunftsort mit meinen Freunden teilen. Für mich eine Anwendung, die reibungslos funktioniert. Ich bin jetzt schon gespannt, wie der Stand von UBER in ein paar Jahren in Deutschland aussehen wird bzw. ob sich alternative Dienste entwickeln werden.

Die Balance zwischen Tourismus und Arbeiten finden

Ich wurde gefragt, ob es nicht blöd ist, an so schönen Orten zu sein, und trotzdem Arbeiten zu müssen. Ob da nicht das eigentliche Reisen auf der Strecke bleibt? Es ist definitiv eine Herausforderung und ich probiere auch nach drei Monaten noch damit herum, welcher Arbeitsrhythmus für mich am besten funktioniert.

Je nach Unterkunft, Ort und den Mitmenschen, die mich umgeben, ist es mir mal mehr oder mal weniger gelungen, mich nicht von der Umgebung ablenken zu lassen. Und mit Umgebung sind hier nicht die Attraktionen und Sehenswürdigkeiten gemeint, sondern die Umstände wie Hitze, schlechte Internetverbindung, Mückenstiche oder generelle Schlappheit, für die man keine Erklärung hat. Dass auch andere Nomaden damit zu kämpfen haben, während ihrer Reisen in einen Rhythmus zu kommen, weiß ich, weil ihre Blogs geradezu voll zum Thema „Routine“ sind.

Morgens früh aufzustehen, evtl. vor dem Frühstück noch eine Runde schwimmen oder laufen zu gehen, danach zu Arbeiten und den heißen Nachmittag dann für Unternehmungen zu nutzen, klappte am besten, als ich mir mit anderen Nomaden eine Unterkunft teilte.

Blick aus Meer an der Ilha Grande
Urlaub muss sein – vorher wird bei Digitalnomaden aber oft „vorgearbeitet“ (Bild: Ute Klingelhöfer)

Um mit einer Freundin, die mich Ende Januar in Rio besuchte, Urlaub machen zu können und entspannt die Stadt und Sehenswürdigkeiten wie Cristo Redentor, Zuckerhut und Co. zu erkunden, habe ich möglichst viel vorgearbeitet, damit ich nicht während ihrer Anwesenheit vor’m Laptop sitzen muss. Nach der Urlaubswoche sollte es dann wieder mit Arbeiten weitergehen – ein paar Skype-Calls mit Kunden waren schon ausgemacht.

Doch die Kombination aus Karneval und Unglück bei der Apartmentwahl machten mir einen Strich durch die Rechnung: Im Apartment funktionierte das Internet nie und als ich mich zwecks Ersatz auf die Suche nach einem Coworking- Space begab, musste ich feststellen, dass dieser ebenso wie alle anderen Geschäfte während der Karnevalszeit geschlossen hatte.

Weil ich aber genug in den Straßenblocos (Straßenparaden) gefeiert und selbst im bekannten Sambódromo (das Stadium, in dem die Sambaschulen gegeneinander in Wettbewerb treten) gewesen bin, beschloss ich, Rio zu verlassen und mich zu meiner letzten Station Brasilia aufzumachen. Ich tat, was ich zuvor noch nie getan hatte und buchte noch für denselben Abend einen Flug.

Meine Learnings

Als Digitaler Nomade, insbesondere, wenn man seinen Ort im 2-Wochen-Rhythmus wechselt, geht viel Zeit für Dinge verloren, die in der Heimatstadt längst geklärt sind. Spräche ich die Sprache richtig, hätte sich das Missverständnis am Flughafen nicht ergeben. Ich komme zwar mit meinem „portangol“ durchs Leben, komme als Nomade jedoch mehr mit Einheimischen in Kontakt als der typische Tourist. Gerne würde ich mich mit diesen auch mal „richtig unterhalten“ – wie mit einem Deutschen eben.

Was mir in Deutschland grob vorgegeben ist, muss ich im Ausland zunächst erkunden: Wie komme ich zu einem geeigneten Arbeitsplatz, wo mache ich Sport, wo gibt es das beste Mittagessen? Laptop aufklappen und loslegen ist für mich nichts. Ich brauche schon etwas Komfort beim Arbeiten. Die beste Wahl ist schließlich, gleich in einen Co-Working-Space zu gehen. Man hat Menschen um sich herum, die ähnlich ticken und darunter ist auch immer jemand, der gut Englisch spricht.

Ich habe ganz sicher des öfteren unnötige Zeit verloren; hätte mir z. B. viel früher eine lokale SIM-Karte besorgen sollen – dann hätte ich immer einen Routenplaner bzw. Google als Auskunftsgeber parat gehabt.  Doch dann wäre ich auch nicht gezwungen gewesen, mit Einheimischen zu sprechen, hätte meiner Umgebung nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt und durch die Umwege so manch nettes Plätzchen nicht entdeckt.

Oft sind es genau die Situationen, in denen es „nicht so reibungslos läuft“, die mich und meine Geduld auf die Probe stellen und mir letztendlich genau den Abstand vom Alltag bringen, den ich mir gewünscht habe.

Até a próxima,
Ute Klingelhöfer