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Die südkoreanische Hauptstadt Seoul lebt die Sharing Economy im großen Stil. Die Millionenmetropole darf sich ganz offiziell „Sharing City“ nennen.

Kostenersparnis, Zeitgewinn, Umweltschutz: Die drei Hauptgründe für das Teilen von Produkten und Diensten anstelle des Kaufs nur selten benötigter Waren wie etwa Werkzeug sind schnell genannt. Park Won-soon, seit 2011 Bürgermeister der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, hat es auf ein Experiment ankommen lassen und die Sharing Economy mit dem umfangreichen „The Sharing City, Seoul“-Projekt zur Priorität erklärt.

Viele Probleme, eine Lösung

Die „Sharing City ist eine neue Alternative für soziale Reformen, die viele wirtschaftliche, soziale und Umwelt-Probleme der Stadt lösen kann und gleichzeitig neue Geschäftsfelder eröffnet, auf Vertrauen basierte Verhältnisse wiederherstellt und die Verschwendung von Ressourcen bekämpft“, so die vollmundige Ankündigung. Die Steuerung erfolgt über zwei Wege: Einerseits sollen öffentliche Ressourcen wie Gebäudeflächen, Straßen und Parkplätze sowie öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden, andererseits will die Stadt mit neuen Gesetzen Hürden abbauen und die richtigen Voraussetzungen schaffen, um Unternehmen den Einstieg in Sharing-Economy-Modelle zu erleichtern.

Ein Beispiel für öffentliche Ressourcen sind Parkplätze für die Angestellten der Stadt. Statt diese abends und am Wochenende zu schließen stellt Seoul diese außerhalb der Bürozeiten zur Verfügung. Am Tag sollen hingegen Anwohner ihre Stellflächen teilen. Werden nur fünf Prozent der leeren Parkplätze bereitgestellt, könnte die Stadt damit 1.862 neue Parkplätze schaffen – ohne einen Cent Steuergelder auszugeben. Sparen will Seoul aber trotzdem nicht, sondern Non-Profit-Organisationen und Unternehmen im Sharing-Economy-Bereich unterstützen – finanziell und organisatorisch.

Zahlreiche Infografiken auf Sharehub verdeutlichen den Effelt der Sharing Economy (Bild: sharehub.kr)
Zahlreiche Infografiken auf Sharehub verdeutlichen den Effekt der Sharing Economy in Seoul (Bild: sharehub.kr)

Die Verbindung zwischen Politik, Wirtschaft und privatem Sektor bildet das „Seoul Sharing Promotion Committee“, das die Stadt mit Rechtswissenschaftlern, Presse, Unternehmen, Non-Profit-Vertretern, Wissenschaftlern und Vertretern der Regierung besetzt. Zu den Aufgaben gehören unter anderem Verbesserungsvorschläge für Gesetze sowie Vorschläge für gemeinsame Marketing-Aktivitäten. Zusätzliche Unterstützung kommt vom südkoreanischen Arm der Non-Profit-Organisation Creative Commons, die mit ShareHub eine Wissensdatenbank, und zentrale Anlaufstelle bilden.

Wieso Seoul die richtigen Voraussetzungen hat

Dass die Regierung der Metropolregion Seoul überhaupt in der Lage ist, derartige Maßnahmen durchzuführen, liegt zum Teil an den Voraussetzungen. Fast die Hälfte der Südkoreaner wohnen in der Hauptstadt, die 606 Quadratkilometer der Metropolregion teilen sich zehn Millionen Einwohner. Mit 16.671 Einwohnern pro Quadratkilometer ist Seoul mehr als viermal so dicht besiedelt wie Berlin oder München. Gleichzeitig sind die Südkoreaner mit einem Breitband-Anschluss in 97,5 Prozent der Haushalte (Deutschland: 60,2 Prozent) und einer Smartphone-Durchdringung von 60 Prozent (53 Prozent) besonders gut vernetzt. Ideale Voraussetzungen für ein Wirtschaftsmodell, das vom bequemen Finden eines Konsum-Partners profitiert, ja sogar abhängig ist.

Ein zweiter Grund für den fruchtbaren Sharing-Economy-Boden ist die koreanische Mentalität. Die Tradition „Pum-a-si“ beschreibt das Teilen von Essen mit den Nachbarn oder das gegenseitige Ausleihen von Werkzeug und anderen Gütern. Vor Südkoreas Aufstieg zur Industrienation war auch die saisonale Aushilfe im Landbau Teil dieser Tradition. Für koreanische Unternehmen bedeutet die Sharing Economy somit eine Rückbesinnung auf alte Werte. Die Herausforderung für Politik und Unternehmen mit neuen Modellen ist also nicht die Erklärung, wieso das Teilen Vorteile bringt, sondern wie sich diese Vorteile auf moderne Lebensstile übertragen lassen.

Kim Chi für alle: Die Kultur des Teilens
Kim Chi für alle: Beim Sharing Festival sorgen die Einwohner von Seoul für ausreichend Vorrat in den Wintermonaten (Bild: robertcicchetti/iStock Editorial/Thinkstock)

Sharing Economy von A bis Z

Damit die Bürger der Hauptstadt einen Überblick erhalten, welche Dienste aus dem Projekt hervorgegangen sind, liefert „Seoul Sharing“ eine Übersicht.

Da ist beispielsweise ein Busservice, den Unternehmen mit eigener Flotte zur Verfügung stellen können. Die vielen freien Plätze sollen von weniger mobilen Personen wie Kranken oder Schwangeren genutzt werden können, um einfacher in das Zentrum der Stadt zu gelangen. Der Seoul Car Sharing Service bedient mit mit knapp 500 Autos den Markt für gelegentliche Autofahrten, ähnlich den hierzulande bekannten Modellen Car2go, DriveNow und Multicity. Green Car und Socar sind weitere Anbieter von Kurzzeitmieten.

Für Events wie Flohmärkte liefert das Portal eine Übersicht öffentlicher und privater Plätze wie Innenhöfe privater Wohnungen, die zur Vermietung bereitstehen. Mit BnBHere und Kozaza stehen Alternativen zu Airbnb parat, die Vermieter leerstehender Wohnungen und Wohnungssuchende zueinander bringen. Wer keine Wohnung sondern einen Arbeitsplatz, vom Schreibtisch bis hin zum kompletten Büro sucht, wird auf Co-up fündig. Das passende Outfit zum Job leiht man sich über Open Closes, bei dem Job-Einsteiger zusätzlich Tipps von Berufsprofis bekommen. Gemeinsame Interessen bedient die CitizensLibrary Shelves (deutsch: Bibliothekregal der Bürger) zum Austausch von Literatur, für ein Abendessen mit Gleichgesinnten sorgt hingegen Zipbob. Eines der wichtigsten Beiträge der Stadt dürfte der Fotokatalog sein. Diesen bietet Seoul seinen Bürgern kostenfrei unter der Creative Commons Lizenz an.

Globales Phänomen, lokale Adaption

Nach fast zwei Jahren hat sich Seoul tatsächlich zu einer Art Sharing City entwickelt, der Boom neuer Kokonsum-Dienste ist ungebremst. Globale Unternehmen wie Airbnb müssen aber dennoch keine Angst um ihre Geschäftsmodelle zu haben. Der Grund: Fehlende Skalierbarkeit. Viele der neuen Geschäftsmodelle funktionieren nur innerhalb der Stadt und lassen sich nicht einfach mit wenigen Klicks auf andere Regionen übertragen. Die Initiativen der Regierung sind allenfalls Vorlagen für andere Städte.

Bürgermeister Park Won-soon beim TEDxSinchon über sein einmaliges City-Konzept: