Lesedauer ca. 4 Minuten

Die Share Economy ist in aller Munde. Teilen ist das neue Haben – zumindest in vielen Großstädten. Anders sieht die Sache im ländlichen Raum aus, wo Sharing-Angebote (noch) Mangelware sind. Ein Kommentar.

Ich bin immer wieder fasziniert, wenn wir unsere Freunde in Berlin besuchen: Kaum jemand hat ein Auto. Wenn man dann doch mal eines braucht, kommt Carsharing zum Einsatz. Für den nächsten Urlaub ein Hotel buchen? Wozu denn? Es gibt doch Airbnb! Statt eines Taxis kommt – zumindest im Ausland – Uber zum Einsatz und auch für Werkzeuge und Bücher gibt es inzwischen unzählige digitale Plattformen, die das Teilen bestimmter Dinge vereinfachen.

Auf den Dörfern ist die Share Economy noch nicht angekommen

Nachdem ich all das gesehen und erlebt habe, kehre ich wieder in meine Heimat zurück. Den Enzkreis. Hier – und in vielen anderen ländlichen Regionen Deutschlands – ticken die Uhren noch anders. Das soll nicht heißen, dass die Menschen hier weniger modern sind, aber bestimmte Konzepte lassen sich eben nicht so einfach von Ballungsgebieten auf kleinere Dörfer übertragen – zum Beispiel die Share Economy.

Dazu muss man wissen, dass wir hier noch nicht einmal mytaxi nutzen können. Am Bahnhof stehen sich den ganzen Tag über drei Taxifahrer die Beine in den Bauch. Wenn man ein Taxi braucht, ruft man bei der Zentrale an. Wie früher. In der Nachbarschaft hat jeder Haushalt mindestens zwei Autos – plus je ein weiteres für jedes Kind. Ja, hier fiebert man noch dem Führerschein entgegen, den man am liebsten schon mit 16 machen würde. Für Großstädter klingt das sicherlich unvorstellbar, aber wenn der Bus nur zwei Mal in der Stunde fährt, gibt es eben nicht viele Alternativen.

Dementsprechend mangelt es hier auch an Carsharing-Angeboten – weder kommerzielle wie Car2Go, noch Peer-to-Peer-Modelle konnten sich bislang etablieren. Wie auch, wenn jeder Haushalt zwei bis drei Autos hat. Selbiges gilt für Angebote auf Plattformen wie Airbnb oder den Gartenpaten.

Unsere Umwelt prägt uns

Dieses Stadt-Land-Gefälle lässt sich recht einfach erklären – denn letztendlich sind wir alle Produkte unserer Umwelt. Wer in einer Großstadt lebt, hat oftmals keine Garage, kurze Wege zur Arbeit und eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Wozu also ein Auto kaufen? Vielleicht für den Großeinkauf am Wochenende bei IKEA? Ja, genau – aber eben dafür gibt es in Großstädten Carsharing. Auf diese Weise spart man sich die Parkplatzsuche und am Ende des Tages auch viel Geld.

Auf dem Dorf hingegen hat so gut wie jeder eine Garage – und selbst wenn nicht, gibt es ausreichend kostenlose Stellplätze. Der öffentliche Nahverkehr existiert zwar, allerdings erreicht man viele Ziele nur mühsam und mit viel Zeitaufwand. Das eigene Auto ist elementar. Das soll nicht heißen, dass Carsharing in solchen Gegenden nicht auch funktionieren kann, aber die Ausgangsvoraussetzungen sind völlig andere, als in Großstädten.

Ähnlich verhält es sich mit Werkzeugen und Gartengeräten. Während meine Freunde in Berlin meist weder einen Dachboden noch einen Keller haben, gehört selbiges bei uns zur Grundausstattung. Auf dem Land hat man „Platz“ – und das verleitet dazu, Dinge zu horten. Es gibt hier Reihenhäuser mit 70 Quadratmeter großen Gärten, in denen trotzdem jeder seinen eigenen Rasenmäher hat. Es wäre ein einfach die Gartenarbeit mit einem einzigen Rasenmäher zu verrichten, den sich alle teilen. Aber dieser Gedanke kommt hier niemandem. Mein Haus, mein Garten, mein Rasenmäher.

Share Economy entwickelt sich langsam

Ich könnte jetzt noch viele andere Beispiele nennen, die zeigen, dass Sharing auch in Dörfern durchaus sinnvoll ist – nur bislang eben nicht als notwendig erachtet wird. Zudem nutzen ja nicht einmal alle Großstädter die Sharing-Angebote, die ihnen zur Verfügung stehen. Es gibt nach wie vor genug Leute, die lieber jeden Abend eine halbe Stunde nach einem Parkplatz suchen, anstatt auf Carsharing umzusteigen.

Was ich damit sagen will: Die Share Economy braucht Zeit. Der Gedanke des Teilens muss in den Köpfen der Menschen reifen. Ich erlebe ab und an, dass Sätze fallen wie „Du hast noch ein eigenes Auto? Wie rückständig ist das denn!“ – genau solche Statements erweisen der Share Economy einen Bärendienst. Unsere Gesellschaft muss nach und nach verstehen, warum es sinnvoll ist, manche Dinge zu teilen, anstatt sie zu besitzen. Das passiert aber nicht von heute auf morgen. Und auch nicht durch missionarischen Eifer.