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Vom Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft will wohl jeder engagierte Sportjournalist am liebsten seinen eigenen Bericht schreiben. „Beim Kreisklassenspiel des SV Kleinkleckersbach, in dem der Metzgermeister Meier das entscheidende Tor schießt, sieht es dagegen ganz anders aus“, weiß Steven A. Morell von der Stuttgarter Softwareschmiede AX Semantics. Weil der Blick in die unteren Klassen vor allem für kleinere Regionalzeitungen immer noch von großer Bedeutung ist, werden Berichte über das entscheidende Tor des Metzgermeisters in zeitintensiver Handarbeit von Journalisten erstellt.

„Diese Arbeiten können künftig auch Maschinen übernehmen“, sagte Software-Spezialist Morell in seinem Vortrag bei der Veranstaltung #digiTALK meets #DMW: Künstliche Intelligenz – Wann werden wir ersetzt?“ am 26. April 2018 im Rahmenprogramm der Ausstellung Open Codes im Lichthof des ZKM.

„Ersetzt wird durch den Einsatz von automatischen Schreibprogrammen niemand. Es werden zwar weniger Texte geschrieben, dafür gibt es neue Aufgaben bei der Programmierung und Bedienung der Software“, stellte Morell klar. Allerdings könnten künstlich erzeugte Texte in gewissen Branchen wie der Werbung die Produktivität deutlich erhöhen. Bei der Entwicklung von Schreibprogrammen setzt AX Semantics auf die intelligente Auswertung der vorhandenen Daten. Wie gut die Qualität der Robotermeldungen bereits heute ist, hielt Morell seinen Zuhörern mit Beispielen von Texten über die Schwangerschaft vom Hollywood-Star Jessica Biel oder der Verleihung eines Musikpreises an die Rockgruppe Revolverheld anschaulich vor Augen. Zu jedem Thema wurde ein Text von einem Menschen und einer vom Computer geschrieben. Einen Qualitätsunterschied konnte das Publikum trotz kritischer Prüfung nicht feststellen.

8. #digiTalk
Bei der Veranstaltung #digiTALK meets #DMW ging es um das Thema Künstliche Intelligenz. (Bild:  ka-news– Carmele|TMC Fotografie).

AX Semantics gehört nach Morells Angaben derzeit zu den Weltmarktführern beim Entwickeln von Schreibprogrammen und hat bereits Software für 27 Sprachen im Portfolio. Deutsch und Englisch gehören ebenfalls dazu wie Chinesisch oder Finnisch. „Wenn eine Software in einer komplexen Sprache wie Finnisch schreiben kann, dann kann sie das in jeder Sprache der Welt“, sagte Morell. Die wichtigsten Einsatzgebiete der Schreibsoftware sind derzeit Journalismus und Produktbeschreibungen. Im Journalismus können Schreibprogramme bereits heute problemlos für die Erstellung von einfachen datenbasierten Meldungen wie Wetterbericht oder Börsennachrichten eingesetzt werden. Die Grenzen der Schreibsoftware sieht Morell vor allem bei der Auseinandersetzung mit komplexen Themen. „Dank der Anwendung von Künstlicher Intelligenz könnte eine Maschine bereits heute einen journalistischen Text über eine Auslandsreise des Bundespräsidenten verfassen“, so Morell. Die Eingabe der dafür erforderlichen Daten stehe bislang aber in keinem Verhältnis zum späteren Ergebnis. „Und einen richtig guten Roman wird eine Maschine auch in naher Zukunft nicht schreiben können“, so Morell.

Mehrere Referenten beleuchten die verschiedenen Facetten der Künstlichen Intelligenz

Außer Morell referierten bei der achten Auflage der Veranstaltungsreihe #digiTALK noch Natalie Speiser vom Datenberatungsunternehmen LAVRIO.solutions, Simon Sulzer vom IT-Netzwerk Cyberforum, Michael Decker vom KIT-Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse sowie Christian Holldorb vom Institut für Verkehrsplanung und Infrastrukturmanagement an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft über ihre Erfahrungen bei der Arbeit mit Künstlicher Intelligenz. Die Veranstaltungsreihe #digiTALK wurde 2015 vom Wissenschaftsbüro der Stadt Karlsruhe, dem online-Nachrichtenportal ka-news, der Karlshochschule Karlsruhe und der Agentur contentwerk als Digitaler Stammtisch zur Vernetzung von Medien- und IT-Schaffenden aus der Taufe gehoben. Seither wurden bei den Gesprächsrunden zeitgemäße IT-Themen wie Online-Handel, digitale Bildung oder Fake News thematisiert.

Digital Media Women kämpfen für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der IT-Branche

Bei der achten Auflage wurden die Initiatoren von den Digital Media Women (#DMW) Karlsruhe unterstützt. Die #DMW kämpfen für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der digitalen Medienbranche. Derzeit gibt es in Deutschland die #DMW-Quartiere in Berlin, Hamburg, Köln, München, Rhein-Main, Schleswig Holstein, Stuttgart und Karlsruhe. „Wir wollen mehr Frauen für die Berufe in der IT-Branche begeistern“, sagte Rebecca Rutschmann vom Karlsruher #DMW-Vorstand. „Und dafür braucht es zunächst einmal die gleiche Bezahlung von weiblichen und männlichen Angestellten“.

Auch Speiser machte sich bei ihrem Vortrag für eine Erhöhung des Frauenanteils in der IT-Branche stark. „Frauen müssen in Bezug auf die IT einfach mutiger werden und auch einmal etwas ausprobieren“, appellierte Speiser. Dazu sei das Internet eine wahre Quelle von nützlichem IT-Wissen und zahlreiche Tricks und Kniffe zum Umgang mit der Digitalisierung könnten dadurch autodidaktisch erlernt werden. Speiser kam selbst über ein Psychologiestudium zur IT und berät heute mit ihrer Firma LAVRIO.solutions andere Unternehmen bei der Datenanalyse. „Wir müssen die Künstliche Intelligenz so anwenden, dass sie uns nutzt und den Menschen künftig repetitive, langweilige und fehleranfällige Arbeiten abgenommen werden“, betonte Speiser.

Ausgründungen aus Wissenschaftsschmieden bringen K.I. in Karlsruhe voran

Für Sulzer ist die TechnologieRegion Karlsruhe in Punkto K.I. derzeit ganz gut aufgestellt. „In der Forschung gehört Karlsruhe dank zahlreicher innovativer Projekte schon sehr lange zu den führenden K.I.-Standorten in Deutschland. Und durch zahlreiche Ausgründungen wird dieses Wissen nun auch in die Praxis umgesetzt“, betonte der Mitarbeiter des Digitalen Innovationszentrums von Forschungszentrum Informatik und Cyberforum. Beispiele für erfolgreiche Gründungen im Bereich der K.I. sind für Sulzer Unternehmen wie thingsthinking, oder HS Analysis.

Bei der Umsetzung von universitärer Forschung in die Praxis müssten aber immer auch der Nutzen sowie mögliche Gefahren für die Gesellschaft hinterfragt werden, appellierte Decker. So seien Staubsauger-Roboter oder Maschinen zum Reinigen der Außenfassaden von großen Gebäuden vor allem aus ökonomischen Gründen ein Gewinn für die Nutzer. „Man spart mit solchen technischen Hilfsmitteln doch recht viel Zeit und Arbeitskraft“, so Decker. Komplizierter werde die Frage nach der Umsetzbarkeit der technischen Entwicklungen aber beim direkten Kontakt mit dem Menschen wie etwa bei Pflegerobotern oder selbst fahrenden Autos. Schließlich müssten vor dem Einsatz der ersten autonom fahrenden Autos auch rechtliche sowie ethische Fragen nach der Haftung oder dem Verhalten der Fahrsysteme bei unvermeidlichen Unfällen geklärt werden.

„Sachschaden geht vor Personenschaden. Und das automatisierte und vernetzte Fahren ist ethisch geboten, wenn die Systeme weniger Unfälle verursachen als menschliche Fahrer“, verwies Holldorb auf den Bericht der Ethik-Kommission zum automatisierten und vernetzten Fahren. In den kommenden Monaten werden auf dem Testfeld Autonomes Fahren in der Karlsruher Oststadt Fahrassistenzsysteme von Forschungseinrichtungen und der Automobilindustrie auf Herz und Nieren getestet.