Lesedauer ca. 6 Minuten

Die Maske – wichtigstes Gadget beim Karneval in Venedig. Aber auch, um bei politischen Abstimmungen inkognito aufkreuzen zu können, trugen die Venezianer im 18. Jahrhundert ihre „bauta“. Anonymisierung ist auch ein Top Thema unserer Zeit. Vor allem dort, wo es um Erhebung von Personendaten geht. bauta heißt deshalb nicht zufällig das Startup von Daniel Nikola und Joachim Diepstraten. Mit einem Blindsensor wollen die beiden Gründer sicherstellen, dass sich Menschen anonym und unerkannt durch öffentliche und private Räume bewegen können.

Im Interview mit Ariane Lindemann erklären sie, wie das funktioniert.

Bauta klingt erstmal wie eine Anwendung für den Bau. Stammt aber aus Venedig ….

 Im Venedig des 18. Jahrhunderts gehörten Masken zum Alltag. Jedem stand eine bauta als „Gesellschaftsmaske“ zu. Damit konnten die Bürger anonym von ihren Rechten Gebrauch machen. Diese Anonymisierung war eine wichtige Säule der Gesellschaft. Hier knüpfen wir an. Wir machen uns stark für eine humane und nachhaltige Verwendung von KI. Dazu gehört in erster Linie der Schutz der Privatsphäre. Im Fokus steht dabei die optische Erfassung von Personen im öffentlichen Raum.

Personen ohne Einwilligung optisch erkennbar zu erfassen, beispielsweise in einem Kaufhaus oder Supermarkt, ist bei uns in Europa nicht erlaubt. Wer kommerzielle Personendaten erheben will, musste bislang die Bilder nachträglich unkenntlich machen. Jetzt verbietet die DSGVO allerdings den Einsatz von nicht sicherheitsrelevanten Kameras ganz.

Warum das?

Wer bisher Kamerabilder erhoben hat, musste diese Bilder nachträglich verpixeln, um die Privatsphäre zu schützen. Allerdings ist das Anonymisieren im Nachgang nicht mehr erlaubt, weil das Bild ja, wenn auch nur für kurze Zeit, als erkennbares Bild vorhanden ist und damit natürlich eine ernste Sicherheitslücke darstellt.

Aber man kann doch jetzt nicht alle Kameras kontrollieren …? Halten sich denn alle an die Vorgaben?

Leider wird das nachträgliche Unkenntlichmachen immer noch genutzt. Aber: Wenn es auffliegt, wird es neuerdings richtig teuer. Im Fall des Internetanbieters notebooksbilliger.de waren das letztes Jahr 10,4 Millionen Strafzahlung.

Das zeigt, dass das Ganze kein theoretisches Problem ist, sondern eines, bei dem mit wachsender Aufmerksamkeit immer stärker und konsequenter durchgegriffen wird.

Wofür werden überhaupt im öffentlichen Bereich Personendaten via Kamerabild erhoben?

Überall dort, wo man Bilder auswerten möchte, um für den kommerziellen Bereich Rückschlüsse auf Qualität oder Reichweite eines Standorts, beziehungsweise über die Frequentierung zu ziehen. Aber auch Verkehrsdaten für die Analyse des Verkehrsaufkommens für beispielsweise Echtzeit-Handlungsempfehlungen spielen eine große Rolle.

Aber ohne Bild keine Informationen. Wie kommt man denn jetzt an die für viele Branchen wichtigen Daten, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Wir haben ein optisches Messverfahren entwickelt, einen Blindsensor, mit dem man komplett anonym Personenfrequenzdaten erheben kann. Wir wollen das nutzen, um individuelle Standortstärken sichtbar zu machen. Damit haben wir jetzt ein Produkt, bei dem erst gar keine Datenschutzdiskussionen eröffnet werden. Denn wir haben ja de facto auch keine sensiblen Daten.

Das heißt, es kommt erst gar nicht zu einem Bild mit erkennbarem Inhalt?

Richtig. Denn unser Sensor zerstört die bereits einfallende Lichtinformation irreversibel, noch bevor das Bild in der Kamera-Hardware zusammengerechnet wird.

In praktisch „kaputten“ Bildern stecken also wertvolle Informationen?

Ja, das ist genau der Twist. Aus diesen „kaputten“ Bildern bekommen wir anonyme Personeninformationen. Wir machen es uns zunutze, dass KI-Algorithmen anders wahrnehmen als wir Menschen. Das heißt, wir können neuronale Netze in einer Art und Weise trainieren, dass wir in den zerstörten Bildern immer noch die allgemeine, von der Identität getrennte Information bergen können.

Welche Informationen sind das?

Das können Informationen über Aufenthaltsdauer, Personenzahl an einem Ort, aber auch Informationen über die Person selbst sein oder über die Einordnung des Alters, des Geschlechts oder von Emotionen.

„Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, optische Datenerhebung nicht nur datenschutzkonform zu machen, sondern Personen gänzlich in ihrer Anonymität zu belassen!“

Ganz besonders Flughäfen profitieren von eurem Produkt. Warum?

Flughäfen sind aus dem Grund interessant, weil es Riesengebäude sind, durch die Millionen von Menschen durchgeschleust werden. Der Flughafenbetreiber hat allerdings, im Gegensatz zu den Fluggesellschaften, keinerlei Daten darüber, wer sich eigentlich im Gebäude befindet. Er hat zwar eine maximale Frequenz, aber er weiß nicht, wie alt die Leute sind, zu welcher Tages-, Wochen- oder Jahreszeit sie kommen, welches Geschlecht sie haben usw.

Was macht der Flughafenbetreiber, wenn er diese Daten von euch bekommt?

Das versetzt ihn in die Lage, seine Werbeflächen lukrativ zu vermarkten, weil ihm alle dafür notwendigen Eckdaten vorliegen. Das Problem für die Werbeflächenvermarkter ist, dass es keine punktuellen Marktforschungsdaten gibt. Analysen in Auftrag zu geben, ist kostenintensiv und auch am Ende für den Kunden sehr schwer nachvollziehbar und damit finanziell riskant oder maximal unattraktiv. Zudem sind händische Analysen nicht skalierbar. Hier positionieren wir uns mit den Blindsensoren, in dem wir einen enormen Datenzugang haben und das eben vollautomatisiert.

Hast du ein Beispiel, damit wir es noch besser verstehen?

Gerne. Wenn adidas zum Beispiel einen neuen Damenlaufschuh herausbringt, dann kann er ihn dank der Informationen über die Personen an einem Standort, tatsachlich dort bewerben, wo auch die Kundinnen sind. Die Webeflächenvermarkter können dann die Erfolgsquote im Vorhinein zu fast 100 Prozent abschätzen.

Eigentlich lässt sich diese Anwendung doch in viele andere Szenarien übertragen …?

Genau. Unser Produkt richtet sich in erster Linie an Vermarkter von Werbeflächen in Flughäfen oder Shopping-Malls, weil dort eine hohe Frequentierung ist und hier die erhobenen Informationen einen großen Mehrwert stiften. Aber auch Städte und Gemeinden sind natürlich interessant. Im Prinzip lässt sich unsere Anwendung auf alle Bereiche übertragen, bei denen die Rechtslage eine optische Personendatenerhebung verhindert.

Was garantiert mir, dass eure Lösung wirklich sicher ist?

Das ist ein spannender Punkt. Damit wir nicht einfach nur auf Vertrauen setzen müssen, haben wir neben einem Rechtsgutachten auch ein technisches Gutachten beim TÜV Nord in Auftrag gegeben, das ganz unabhängig beweist, dass diese erste Version des Bildes bereits komplett irreversibel unkenntlich ist. Das heißt, es lässt sich auch nicht zurückrechnen oder mit KI zurückkonstruieren.

Gibt es andere, die eine ähnlich gelagerte Idee haben?

Alles, was uns bisher bekannt ist, sind Ideen, die lediglich möglichst schnell gezielt Bilder unkenntlich machen. Sei es, dass sie Gesichter verzerren, Personen ausschneiden, verpixeln oder ähnliches.  Sie funktionieren alle nach dem gleichen Prinzip, aber sie vermeiden alle nicht das Kernproblem. Und das liegt nicht etwa daran, dass sie das System nicht verstehen, sondern weil es hardwaretechnisch ein Riesenaufwand ist, dieses besagte erste Bild zu verhindern. Wir haben ganz von vorne angefangen und Software und Hardware gemeinsam entwickelt. Das war hart, aber richtig.

Ihr wurdet mit Auszeichnungen überhäuft. Drei Innovations- und Sicherheitspreise, unter anderem Platz 6 bei den Top 50 Start-ups 2021. Inwieweit hat der CyberLab Accelerator dazu beigetragen, dass ihr so Gas gegeben habt?

Das CyberLab hat aus unserem Vorhaben Realität werden lassen. Wir konnten in dieser Phase unser Geschäftsmodell wirklich anpacken und validieren. Das CyberForum ist sehr gut vernetzt und unterstützt im Unternehmenszugang. Die Entscheidung, im Zweier-Team zu gründen, einen Leitfaden an die Hand zu bekommen und konkret zu werden, das sind unverzichtbare Schritte, damit aus dieser Idee ein Unternehmen wird. Auch die Mentoren waren genau auf unsere Geschäftsidee abgestimmt und deckten den Bereich Werbescreens ab. Das war natürlich genial. Wir haben im Frühjahr 2021 am Accelerator Programm teilgenommen. Bis heute hat sich der Kontakt gehalten, ja sogar intensiviert.

Wird die TÜV-Zertifizierung demnächst kommen?

Ja, das ist der Plan. Wir sind zuversichtlich, dass das in den nächsten Monaten durchgeht. Der Sensor ist stabil, die Finanzierung klappt. Jetzt wollen wir das Teambuilding vorantreiben – gerade suchen wir zwei WerkstudentInnen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.