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Welche Art von Unternehmen gründet ein Archäologe, der ein passionierter Gleitschirmflieger ist und ein Faible für Computer und modernste Technik hat? Die Firma ArcTron wurde 1993 gegründet und verbindet seitdem Archäologie, Forschung und Hightech miteinander. Der Geschäftsführer, Martin Schaich, gibt uns hochinteressante Einblicke in seinen spannenden Arbeitsalltag.

Schon vor der Gründung der Ausgrabungsfirma ArcTron-Ausgrabungen & Computerdokumentationen GmbH im Jahre 1993 machte sich Martin Schaich 1989 selbstständig. Die dreidimensionale Dokumentation und Datenweiterverarbeitung stand dabei im Fokus: „Sie ermöglicht es insbesondere archäologische Ausgrabungen, Baudenkmäler, Funde und Objekte in einer umfassenden, ganzheitlichen, wirtschaftlich effizienten und nachvollziehbaren Methodik zu dokumentieren und für die Nachwelt und Forschung verfügbar zu machen“, so Schaich. Relativ schnell wurde ihm klar, dass es dazu ein Team unterschiedlichster Spezialisten braucht, wenn man die gesamte 3D-Wertschöpfungskettte ausnutzen möchte. Hierfür entwickelten Experten der Firma eigens benötigte Software selbst. Nun konnten zum Beispiel archäologische Daten multimedial für Museen aufbereitet werden. Sogar haptische maßstäbliche 3D-Modelle seien dank moderner Drucktechnik möglich.

Die Technologie entwickelt sich schnell

Die in der Archäologie verwendete Technologie entwickelt sich schnell weiter. Was gestern noch „up-to-date“ war, kann morgen schon antiquiert wirken. „Faszinierend ist es dabei für mich immer wieder, sich die Entwicklung der letzten 25-30 Jahre vor Augen zu führen. War es in den frühen 1990er-Jahren ein Meilenstein eine Software zu entwickeln, die CAD-Vektorpläne der Ausgrabungsbefunde aus Tachymeter- Daten erzeugte, so stehen wir heute mit VR-Headsets zum Beispiel mitten in einer Grabung in Selinunt (Sizilien) und können dort den fotorealitisch gescannten 3D-Befund in 1:1 virtuell studieren und diskutieren. Der technologische Fortschritt ist wirklich atemberaubend!“, sagt Schaich.

Technik gestern und heute – vom Grünmonitor zum Satellitenbild

„Bereits während meines Studiums in München und Regensburg bestand ab Mitte der 80er Jahre die Chance, sich in den Poolräumen der Universität mit den ersten Computern – damals noch mit Grünmonitoren und überdimensionalen Diskettenlaufwerken – und Softwareanwendungen zu befassen. DOS-Betriebssysteme, Textverarbeitung, Datenbanken und CAD standen damals in meinem Fokus“, berichtet Schaich.

1993 wurde dann die Software ArchäoCAD entwickelt. Das war eine AutoCAD-Applikation, die mit damals noch relativ neuen Messinstrumenten (Tachymeter) gekoppelt war. „Noch heute – 25 Jahre später ist ArchäoCAD eine vielfach genutzte und stetig weiterentwickelte Standard-Anwendung in der computergestützten Grabungsdokumentation und bei vielen Universitäten, archäologischen Behörden und Grabungsfirmen im Einsatz“, erzählt Schaich stolz.

Nachdem Arctron in den späten 1990er Jahren einen Laserpantographen entwickelt hatte, um einfacher und effektiver 3D dokumentieren zu können, wurde die Firma dann allerdings von der rasanten industriellen Entwicklung der 3D-Laserscan-Technologie überrollt. Ein Kredit war notwendig, um 2001 einen solchen 3D-Laserscanner und 3D-Softwarepakete zu erwerben. Seitdem beschäftigen Arctron vielfältige, oft kombinierte 3D-Messtechnologien und Software- Entwicklungen, vor allem im Bereich Denkmalpflege, Archäologie und Restaurierungs-Wissenschaften.

Archäologie aus der Luft

„Wir sind mit aktuellen terrestrischen und luftgestützten industriellen 3D-Laserscanning und Photogrammetrie-Lösungen ausgestattet. Die 3D-Technik entwickelt sich natürlich ständig weiter – sie wird zum Beispiel immer leichter, mobiler, leistungsfähiger und akzeptierter – und so muss man hier zum Teil mit großen finanziellen Anstrengungen versuchen, am Ball zu bleiben“, berichtet Schaich.

Für Schaich persönlich (als passionierter Gleitschirmflieger und Ultraleicht-Pilot) sei besonders die Gründung der ArcTron-Airborne Sensing GmbH im Jahre 2009 ein weiterer wichtiger Meilenstein gewesen. Hier arbeitet die Firma besonders mit Airborne Laserscanning- Technologien und luftgestützter Photogrammetrie aus dem motorisiertem Gleitschirm- Trike oder auch mit entsprechenden kameratragenden Flugrobotern (UAVs).

Wenn Archäologen vor lauter Bäumen das Denkmal nicht sehen

Durch das Airborne Laserscanning lässt sich die Vegetation filtern, also der Wald „virtuell fällen“. Für die Archäologie hat das einen dramatischen Erkenntnisgewinn über die im Wald verborgenen Bodendenkmäler zur Folge. Die wohl größte Revolution in der 3D-Datenerfassung sei aber in den letzten zehn Jahren mit der Renaissance der Photogrammetrie entstanden. Mit sich überlappenden Bildserien aus unterschiedlichen Blickwickeln sei es im sogenannten SFM (Structure from Motion)–Verfahren heute möglich, faszinierend genaue und realistische 3D-Modelle zu erzeugen. „Diese verschiedenen 3D-Datenerfassungsmethoden effektiv zu fusionieren, ist im Moment einer der spannendsten Aspekte unserer Arbeit“, so Schaich.

Digitale Erhaltung für die Nachwelt

Nicht nur durch Ausgrabungen werden Befunde unwiderruflich zerstört. Hinzu kommen noch andere Formen der Zerstörung. „Die Notwendigkeit einer systematischen 3D-Bestandsaufnahme und Archivierung unterstreicht in den letzten Jahren auch eine andere traurige Aktualität: die massive Zerstörung von archäologischen Welterbestätten etwa in Syrien. Aber auch Naturkatstrophen, urbane Zersiedlung, der massive Flächenverbrauch und verschiedenste Umwelteinflüsse führen dazu, dass wir das kulturelle Erbe schneller verlieren, als wir es physisch erhalten können“, erzählt Schaich.

Virtuelle Reisen an schwer zugängliche Fundstellen

Besonders bei schwer zugänglichen Fundstellen wurden durch die luftgestützte Dokumentation bahnbrechende Fortschritte erzielt. Schaich schwärmt: „Mit 3D-Technik ausgestattete Fluggeräten und Flugrobotern lassen sich natürlich auch ganz abgelegene, eventuell gar nicht begehbare Objekte aus der Luft untersuchen und dokumentieren. Oder wer hat die Gelegenheit, zum Beispiel nach Chavín in die peruanischen Anden in 4000m Höhe zu reisen?“ Dank dieser modernen Technologien sei das vergleichsweise einfach und genau möglich.

Highlights aus 25 Jahren Forschung und Arbeit: Von der Mongolei, über China nach Peru

„Es gab über die letzten 25 Jahre immer wieder hochinteressante Projekte! Auch wenn man natürlich immer um Aufträge und Projekte ‚kämpfen‘ muss, möchte ich sagen, dass ich mich außerordentlich freue, dass wir eine so offene und generell kulturell interessierte und engagierte Gesellschaft haben, die es erlaubt, auch mit einem privatwirtschaftlichen Schwerpunkt im Bereich Archäologie und Denkmalpflege ein Auskommen für unsere Mitarbeiter, mich selbst und unsere Familien zu schaffen!“, freut sich Schaich.

Highlights waren für Schaich die Reisen in entfernte Länder, so etwa die Airborne-Laserscanning-Vermessung in Karabalgassun im Orchon-Tal in der zentralen Mongolei, „wo wir für das Deutsche Archäologische Institut (DAI) auf über 40 km2 eine komplett unüberbaute, vergessene Stadt in der Steppe dokumentieren konnten.“ Auch die Peru-Reise nach Chavín und ins Casma-Tal für das Rietberg-Museum Zürich und die anschließende Grafik-, Film- und Exponatserstellung für die internationale Ausstellung war eine großartige Erfahrung für Schaich.

In China konnten die Mitarbeiter von ArcTron einige neu gefundene Terrakotta-Krieger für pigmentgerechte Farbrekonstruktionen aufnehmen und die berühmte Terrakotta-Armee persönlich in Augenschein nehmen. In der Sechuan-Provinz wurde eine monumentale 7m hohe Buddha-Statue in Kombination aus Laserscanning, Streifenlichtscanning & Photogrammetrie dokumentiert. Viele dieser Streifenlichtscans fanden in der Nacht statt und lockten Motten an, die wiederum Fledermäuse anzogen – „ein besonders Erlebnis!“, so Schaich.

„Eines unserer spannendsten Projekte ist vielleicht die Burg Vianden in Luxemburg. Im Auftragder dortigen staatlichen Denkmalpflege (SSMN) arbeiten wir seit 12 Jahren hier immer wieder an der 3D-Dokumentation, Visualisierung und Rekonstruktion dieser faszinierenden Burg. Hier konnte die gesamte 3D-Prozesskette bis hin zu den musealen Exponaten mit Modellbau,Animationen, und Kinofilm realisiert werden. Das entsprechende Besucher-Informationszentrum wird im nächsten Monat eröffnet – eine Reise nach Vianden kann ich nurwärmstens empfehlen!“

In Sachen Forschung arbeitet ArcTron momentan zum wiederholten Mal mit Prof. Bernd Fröhlich und seinem Team von der „Virtual Reality and Visualization Research Group“ an der Bauhaus Universität Weimar in einem Forschungsprojekt zusammen. Es gehe darum, ob und wie die konkrete Qualität von 3D-Daten nach ihrer Erhebung mit unterschiedlichen Sensoren, aber auch im Rahmen der komplexen Weiterprozessierung und Datenfusionsprozesse, analysiert, beschrieben und in 3D-Qualitätskartierungen visualisiert werden könne. „Das Virtual Reality Lab in Weimar und die kooperative Arbeit in dieser virtuellen 3D-Umgebung sind für uns immer wieder ein bisschen Science Fiction und eine besondere Erfahrung.“

Nils Stadje
Nils Stadje, Jahrgang 1978, arbeitete viele Jahre als Archäologe auf Ausgrabungen in Deutschland, Österreich, Italien und Griechenland. Darüber hinaus war er Erasmus-Dozent für Grabungs- und Vermessungstechnik in einem internationalen Forschungsprojekt. Derzeit ist er in der Kulturvermittlung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe tätig und zeigt Kindern, wie spannend Museen und die Vergangenheit sein können. Besonders interessiert ihn dabei, wie durch Technik vergangene Welten anschaulich erlebbar gemacht werden können.