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Industrie 4.0 ist nicht allein den großen Konzernen vorbehalten. Auch der Mittelstand muss offensiver auf die vernetzte Fabrik und die dafür nötigen Technologien zugehen. Laut einer Studie nutzt der Mittelstand das vorhandene Potenzial jedoch nur zögerlich. Dagegen halten Visionäre wie Professor August-Wilhelm Scheer: „Deutschland ist in der Industrie 4.0 ganz weit vorne.“

Glaubt man der Studie Erschließen der Potenziale der Anwendung von ,Industrie 4.0′ im Mittelstand, die immerhin im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie entstanden ist, nutzt der Mittelstand noch nicht ausreichend genug seine Potenziale in der vernetzten Produktion. Dabei betrifft die vierte Revolution Deutschland im Besonderen, denn dort ist nicht nur der Maschinenbau stark, es werden Premium-Produkte wie in keinem anderen Land der Welt geschaffen. Die Software ist dabei einer der entscheidenden Innovationstreiber – und nicht anders herum. Sie ist allerdings auch ein Kostentreiber.

Es scheint so, als wenn wir die Begrifflichkeit von innen her aufbohren müssen. Industrie 4.0 steht bekanntermaßen für die vierte Revolution. Revolutionen werden allerdings nicht von Etablierten durchgeführt, sondern von den Trägern neuer Ideen, die gerade die Etablierten stürzen wollen. Übertragen würde dieses bedeuten, dass neue industrielle 4.0-Unternehmen die Platzhirsche verdrängen möchten – was finanziell einfach nicht funktionieren kann. Da ist sich auch Visionär und Professor August-Wilhelm Scheer sicher. Er hat schon vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass „gegenwärtige Marktführer dazu aufgerufen sind, die bereits bestehenden aber neuen Ideen zu analysieren und diese auf ihre Durchsetzungskraft zu prüfen“. Das schließt neben kleinen Start-ups auch mittelständische Unternehmen ein.

Industrie 4.0: Basistechnologien liegen in unseren Händen

Laut der Studie verhalten sich aber genau die mittelständischen Unternehmen hinsichtlich der Thematik Industrie 4.0 noch immer vorsichtig bis reserviert. Dabei sind die Technologiefelder noch wesentlich zahlreicher gesät. „Wir halten alle Basistechnologien für die vierte industrielle Revolution in unseren Händen, wir brauchen nur den Mut, sie endlich in Produkte und Geschäftsmodelle umzusetzen. Auch aus vermeintlich kleinen Innovationen können riesige Chancen entstehen, appellierte Professor Michael ten Hompel, Geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik, IML.

Schaut man sich die Basistechnologien genauer an, zeichnen sich bereits beim Überfliegen der Schlagworte Potenziale ab. Von der Kommunikation, Sensorik, Embedded Systems, Aktorik, Mensch-Maschine-Schnittstelle und die bereits erwähnte Software / Systemtechnik. In allen Bereichen spielt der deutsche Mittelstand in der ersten Liga, ist allerdings in den meisten Fällen ein Hidden Champion. Die eingangs genannte Studie hat nun diese Technologiefelder nach unterschiedlichen Stufen, sogenannten Technology Readiness Levels, unterteilt und kann so die Entwicklungsstatus jeder einzelnen Technologie von den Grundlagen (TRL 1-3) zur Evaluierung (TRL 4-6) bis hin zur Implementierung (TRL 7-9) abbilden.

 

Basistechnologien die für die Industrie 4.0 benötigt werden. Bild: siehe Studie
Basistechnologien, die für die Industrie 4.0 benötigt werden. Von li nach re lesen sich die TRL-Stufen. (Bild: Studie)

Man erkennt deutlich, dass viele Technologien bereits vorhanden sind. Klar, der Nutzen von Industrie 4.0 entfaltet sich erst durch die geschickte Verknüpfung dieser Technologien. „Grundsätzlich stellt die Basis den mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauern ein Werkzeug zur Verfügung, das sie bei der Entwicklung eigener Industrie-4.0-Umsetzungen und -Geschäftsmodelle unterstützt“, so der Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau, kurz VDMA. In einem eigenen Leitfaden stellt er zwar keine vorgefertigte Strategie zur Einführung von Industrie 4.0 in Unternehmen dar, sondern zeigt vielmehr Vorgehensweisen für die individuelle Weiterentwicklung der eigenen Stärken und Kompetenzen auf.

Mein Industrie-4.0-Fazit

Demnach liegt die Vision des volldigitalisierten Industrie-4.0-Unternehmens für den deutschen Mittelstand zwar noch in weiter Ferne, erste Umsetzungsschritte können jedoch gemacht werden. Meines Erachtens sind dahingehend bereits erste Langstreckenläufe absolviert. Lediglich das Ziel ist noch nicht in Sicht. Die Chancen für mehr Wettbewerbsfähigkeit sind erkannt und einige Technologien bereits marktreif; sie werden aber noch zu selten eingesetzt. Das gilt vor allem für die Bereiche Datenverarbeitung und Assistenzsysteme. Daten werden bereits in den meisten Unternehmen erfasst – sie sind die Grundlage für Industrie 4.0. Doch es wird noch zu wenig Nutzen aus den Daten gezogen. Assistenzsysteme reduzieren Fehler und steigern die Produktivität. Solche Systeme könnten in Produktion und Logistik schon angewendet werden. In vielen Segmenten, speziell in der Intralogistik, werden sie auch auf Basis Mensch-Maschine- und Maschine-Maschine-Kommunikation angewandt. In Sachen Industrie 4.0 kann von verschlafen keine Rede sein.

Um eine Zusammenarbeit über Bereichs- und Unternehmensgrenzen hinweg zu etablieren, müssen Unternehmen einen einheitlichen Informationsaustausch und eine durchgehende Kommunikationsstruktur aufbauen beziehungsweise weiter forcieren. Autonome Maschinen und sich selbst organisierende Prozesse sind bisher nur in Teilanwendungen möglich. Solche Schrittmacher-Technologien, die sich erst in der Forschungsphase befinden, spielen im Mittelstand gar keine Rolle; und in den USA spielt man bekanntlich gerne mit halbfertigen Produkten.

Und da sind wir auch schon bei den Risiken. Es gibt meines Erachtens keine. Forschung im eigenen Unternehmen führen grundsätzlich zu einer Verbesserung in den unterschiedlichen Unternehmensprozessen, Weiterentwicklungen fördern die Modernisierung, die Mitarbeiter und das allgemeine Ansehen des Unternehmens in der Branche. Und geht doch mal etwas schief; dann machen wir es halt wie die Amerikaner – einfach weitermachen.

Teaserbild: Autor / CC BY-ND 2.0