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Seit ein paar Wochen hat Deutschland eine Digitale Agenda. Die Reaktionen machen deutlich, dass mehr erwartet wird, als eine Präsentation mit viel Tamtam.

Es geht um nicht weniger als die Sicherung von Wohlstand, Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit. Das sind grob zusammengefasst die Kernziele der „Digitalen Agenda 2014–2017„, die das Bundeskabinett am 20. August 2014 beschlossen hat. Federführend für das rund 40-seitige Dokument waren das Wirtschafts- und Innenministerium sowie das Verkehrsministerium, das seit dieser Legislaturperiode auch für die digitale Infrastruktur zuständig ist. Mit dem Papier hat die Regierung ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt und ist nun gefordert, die Vision in messbare Ergebnisse umzusetzen.

Digitale Agenda: 7 Handlungsfelder

Zentrale Plattform ist der jährliche deutsche IT-Gipfel, der in diesem Jahr am 21. Oktober in Hamburg stattfand. Dieser ist auf die sieben Handlungsfelder der Digitalen Agenda ausgerichtet:

  1. Digitale Infrastrukturen zielt insbesondere auf den Aufbau einer fächendeckenden Breitbandinfrastruktur durch den Einsatz verschiedener Technologien.
  2. Digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten. Fokus liegt hier auf der vernetzten Produktion (sogenannte „Industrie 4.0“) sowie der Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen, damit diese ihre Innovationsfähigkeit durch neue digitale Technologien erhöhen.
  3. Innovativer Staat meint, dass die Dienstleistungsangebote der Verwaltung einfacher, effektiver und dennoch sicher abrufbar sein sollen mit dem Ziel, die Transparenz des Staates zu fördern und Daten einfach und verlässlich bereitzustellen.
  4. Digitale Lebenswelten in der Gesellschaft gestalten heißt vor allem, die digitale Integration und Medienkompetenz für alle Generationen zu stärken, die Chancen für Familien und Gleichstellung auszubauen und das digitale Engagement zu fördern.
  5. Bildung, Forschung, Wissenschaft, Kultur und Medien sollen von der Agenda insofern profitieren, als der digitale Wandel in der Wissenschaft forciert und Zugang zu Wissen als Grundlage für Innovation gesichert wird.
  6. Sicherheit, Schutz und Vertrauen für Gesellschaft und Wirtschaft bedeutet vor allem ein besserer Schutz der Privatsphäre im Netz sowie der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte.
  7. Europäische und internationale Dimension der Digitalen Agenda. Der Regierung ist klar, dass einige der Grundfragen des Internets nicht allein auf nationaler Ebene geklärt werden können. Ziel ist es, sich noch stärker als bisher in die global laufenden Verhandlungs- und Diskussionsprozesse einzubringen.

Ein weiteres Instrument neben dem IT-Gipfel ist der Steuerungskreis „Digitale Agenda“. Er soll helfen, neue Entwicklungen frühzeitig zu identifizieren und politisch zu koordinieren. Seine ordentlichen Mitglieder sind die jeweils zuständigen Staatssekretäre der federführenden Bundesministerien. Mit dem Ausschuss „Digitale Agenda“ hat der Deutsche Bundestag des Weiteren ein ständiges parlamentarisches Gremium, das sich den aktuellen netzpolitischen Themen widmet. Im Ausschuss sollen die verschiedenen Aspekte der Digitalisierung und Vernetzung fachübergreifend diskutiert und entscheidende Weichen für den digitalen Wandel gestellt werden. Über ein Onlinebeteiligungstool können Bürger, Unternehmen und Interessenvertretern, sich an öffentlichen Anhörungen, öffentlichen Fachgesprächen sowie bestimmten, vom Ausschuss Digitale Agenda festgelegten Beratungspunkten oder Themen von besonderem öffentlichem Interesse durch Diskussionsbeiträge zu beteiligen. Für das Thema „Digital“ bemerkenswert ist das Kleingedruckte: 

Bitte beachten Sie, dass Ihre Beiträge erst nach einer Überprüfung auf Einhaltung der Verhaltensregeln durch Mitarbeiter des Ausschusssekretariats freigeschaltet werden. Die üblichen Büroarbeitszeiten (Regelarbeitszeit) sind Montag bis Donnerstag von 8:00 Uhr bis 17:15 Uhr, am Freitag von 8:00 Uhr bis 14:30 Uhr.

Sammelsurium längst bekannter Positionen

Angesichts solcher Hinweise, Erklärungen und Strukturen ist es nicht verwunderlich, dass die Digitale Agenda nicht bei allen gut ankommt. Das Werk sei zu kurz gedacht, es fehle an konkreten Plänen, so die überwiegende Kritik.

Drei Jahre habe eine Enquete-Kommission im deutschen Bundestag über 400 konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet, was die Bundesregierung tun müsse, so Markus Beckedahl. Der Netzaktivist und Journalist war einer der Experten in dieser Kommission und ist von dem Ergebnis enttäuscht: „Davon liest man in dieser Digitalen Agenda nix, anscheinend sind die Ergebnisse dieser Enquete nicht in der Ministerialbürokratie angekommen.“ Der vorgelegte Entwurf sei kaum mehr als ein Sammelsurium längst bekannter Positionen, die teilweise sogar weit hinter den Vereinbarungen des schwarz-roten Koalitionsvertrags zurückbleiben, so die Bundestagsfraktion der Grünen in einer Pressemitteilung.

Auch IT-Verantwortliche in Unternehmen und Verwaltung sind unzufrieden mit der Förderung der Digitalisierung in Deutschland. Nach einer Kurzumfrage der Management- und Technologieberatung BearingPoint unter 42 IT-Verantwortlichen glauben zwei Drittel der IT-Leiter, dass die im August vorgestellte Digitale Agenda zwar in die richtige Richtung geht, jedoch stärker konkretisiert werden müsste. 41 Prozent kritisieren zudem, dass die Agenda keine messbaren Umsetzungsmaßnahmen enthält.

Eher vermittelnd hat sich Microsoft Deutschland-Chef Christian Illek auf der Landesversammlung der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU Nordrhein-Westfalen geäußert. Die Digitale Agenda stecke im Wesentlichen den Rahmen für die Zukunft der Digitalisierung und ihrer großen Chancen ab. Die Fragen, die das Internet aufwirft, lassen sich aber nicht in einem einzigen Dokument beantworten, so Illek.

Ähnlich formuliert es auch die Professorin und Designforscherin Gesche Joost, die im März von der Bundesregierung zur Internet-Botschafterin berufen wurde. Im Interview mit der „Welt“ kritisiert sie aber auch den Mangel an Visionen für die Zukunft. „Es spiegelt sich noch vor allem die Vorstellung einer klassischen Wertschöpfung wider, wie sie in den letzten hundert Jahren dominant war. Aber wir haben inzwischen veränderte Geschäftsmodelle in vielen Bereichen. Das Thema digitale Arbeit ist kaum definiert. Dabei ist das sehr wichtig“, so Joost. Außerdem müsse man sich stärker um das Thema Bildung bemühen. „Wir müssen uns fragen, ob Bildung bei uns weiterhin allein eine hoheitliche Aufgabe sein soll und ob wir konkurrenzfähig sind. Studenten in Bangladesch können über das Internet ihren Abschluss am MIT in Cambridge machen. Wir verpassen diesen Anschluss, weil wir uns dazu kaum positioniert haben.“

Jeder Fehler wird bestraft

Klar ist, dass der mit viel Tamtam präsentierten Digitalen Agenda Taten folgen müssen. Und klar ist auch, dass jeder Schritt der Bundesregierung unter erhöhter Beobachtung steht. So wie es beim Fußball 80 Millionen Bundestrainer gibt, ist auch in Sachen Internet die Zahl der Experten groß. Jeder Fehler wird registriert. So ist auch gleich aufgefallen, dass die Bundesregierung auf der Webseite digitale-agenda.de den Tracking-Dienst Etracker ohne einen Hinweis in der Datenschutzerklärung eingesetzt hat. Damit stand die Seite nicht nur im Widerspruch der eigenen Ziele („Verbesserung der Sicherheit und des Schutzes der IT-Syteme und Dienste, um Vertrauen und Sicherheit im Netz für Gesellschaft und Wirtschaft stärker zu gewährleisten“), sondern verstieß streng genommen gegen das Telemediengesetz. Nachdem das IT-Nachrichtenportal heise online Regierungssprecher Steffen Seibert hierüber informiert, wurde die Datenschutzerklärung eilig um den Hinweis ergänzt.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Der Musiker Arne Bense vom Chaostreff Osnabrück verarbeitete seine Haltung zur Digitalen Agenda in der Hymne „Cyber Cyber“: