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Erstmals dämpft die Halbleiterindustrie die Fortschrittserwartungen. Das Mooresche Gesetz ist am Ende, sagen die einen. Die anderen sehen den Beginn einer neuen Zeitrechnung in der Entwicklung der Mikroprozessoren.

In den vergangenen 50 Jahren hat sich Anzahl der Komponenten auf einem Mikroprozessor im Schnitt alle zwei Jahre verdoppelt. Die Entwicklung folgte damit einem vom Intel-Mitgründer Gordon Moore festgelegten und später von seinem Kollegen David House modifizierten Grundsatz. Das Mooresche Gesetze wurde damit zum Tragpfeiler des gesamten digitalen Fortschritts. Letztlich sorgte aber die Halbleiterindustrie selbst dafür, dass diese Prophezeiung auch eintraf, indem sie seit den 1990er Jahren alle zwei Jahre einen expliziten Fahrplan definierte, um die Arbeit von Herstellern und Zulieferern so zu koordinieren, dass das Gesetz seine Gültigkeit behält.

Ohne diese Selbstverpflichtung der Industrie wären aktuelle technologische Ausprägungen wie Smartphones kaum denkbar. „So wären im Fall, dass sich die Rechenleistung der Chips seit 1965 nur alle fünf Jahre verdoppelt hätte, die heutigen Chips nur den 15 Millionstel Teil so schnell, also ungefähr so schnell wie die Chips im Jahr 1981“, schreibt der Physiker und Philosoph Lars Jaeger in seinem Blog. „Das Smartphone (eingeführt im Jahr 2007) gäbe es erst im Jahr 2104.“ Noch dramatischere Konsequenzen hätte demnach eine Verdopplungszeit von zehn Jahre gehabt: „Wir wären heute computertechnisch erst im Jahre 1974, und das Handy gäbe es erst im Jahre 2243!“, rechnet Jaeger vor.

Hitze setzt physikalische Grenzen

Doch nun scheint Moores ökonomische Gesetzmäßigkeit ins Stocken zu kommen. Grund dafür ist die Hitze, die zwangsläufig entsteht, wenn mehr und mehr Schaltkreise auf die gleiche Fläche gestampft werden. Top-Mikroprozessoren erreichen derzeit Strukturen von rund 14 Nanometer, kleiner als die meisten Viren. Und es geht vermutlich noch feiner: Paolo Gargini, Vorsitzender der Halbleiter-Dachorganisation ITRS, sagt für die frühen 2020er Jahre Grenzen von zwei bis drei Nanometer voraus, allerdings unter „super-aggressiven Anstrengungen“. Dann bewegen wir uns in einer Größenordnung von etwa zehn Atomen (hier eine grafische Darstellung der Entwicklung der Transistorenanzahl, Prozessorgeschwindigkeit und –Größe).

Durchbruch: 2015 präsentiert IBM den ersten 7-Nanometer-Chip der Halbleiterindustrie mit funktionierenden Transistoren (Bild: IBM Research)
Durchbruch: 2015 präsentiert IBM den ersten 7-Nanometer-Chip der Halbleiterindustrie mit funktionierenden Transistoren (Bild: IBM Research)

Mit welchen Konsequenzen? „Spätestens dann herrschen die Gesetze der Quantenmechanik komplett über das Geschehen, und die in der Quantenwelt herrschende Unschärferelation macht das Verhalten der Elektronen und somit das der Transistoren hoffnungslos unzuverlässig (was hauptsächlich an dem dann einsetzenden „quantenmechanischen Tunnelstroms“ liegt)“, sagt Jaeger. Und so basiert auch der im März 2016 von der Halbleiter-Industrie vorgelegte Fahrplan für die weitere Chip-Entwicklung der nächsten Jahre erstmals nicht mehr auf dem Mooreschen Gesetz. Und in seinem letzten Jahresbericht schreibt Intel, dass sich die Firma in der Zukunft nicht mehr am Mooresche Gesetz orientieren werde.

Innovationen werden nuancierter und komplizierter

Aber nur weil einer der fundamentalen Treiber der letzten 50 Jahre schon bald ausgereizt ist, bedeutet das nicht das Ende des Fortschritts. „Bedenken Sie, was mit Flugzeugen passiert ist“, sagt Daniel Reed, Vizepräsident für Forschung der University of Iowa. „Eine Boeing 787 ist nicht schneller als eine 707 aus den 1950er Jahren – aber sie ist ein völlig anderes Flugzeug“, mit Innovationen wie vollständig elektronischen Kontrollen und einem Rumpf aus Kohlenstofffasern. Das wird in der Entwicklung von Computern ähnlich sein. „Es wird weiterhin Innovationen geben, aber sie werden nuancierter und komplizierter sein“, sagt Reed.

Was zu Ende geht, ist die uniforme und gemeinsame Anstrengung einer gesamten Industrie, das Mooresche Gesetz einzuhalten, so Jaeger. „In der Zukunft werden die Chiphersteller sehr viel differenziertere und spezifischere Wege gehen müssen. Dabei wird es nicht mehr darum gehen, die Chips allesamt besser zu machen und sie dann uniform für die diversesten Anwendungen einzusetzen. Man wird eher von den Anwendungen selbst ausgehen, die unterdessen so verschieden sind wie Smartphones, Computerspiel-Grafik, Supercomputer, bis hin zu Cloud-Datenzentren, und dann bestimmen, welche Chips wofür am geeignetsten sind.“

Mooresche Gesetz
Intels Roadmap aus dem Jahr 2011 (Bild: Mike Mayberry, Intel)

Aber es gebe auch die Aussicht auf grundlegend neue Ansätze, denen die Grundlagenforschung heute bereits nachgeht, „und die den technologischen Fortschritt für Computer beständig fortschreiten lassen und vielleicht sogar dem Mooreschen Gesetz zu andauernder Gültigkeit verhelfen könnten“, schreibt Jaeger und zählt auf:

  • alternative Trägermaterialen für die elektronische Schaltkreise wie Graphen oder Kohlenstoffnanoröhrchen,
  • spintronische Elemente (die nicht wie herkömmliche elektronische Schaltungen mit sich bewegenden Elektronen arbeiten, sondern mit den umklappenden Spins der Elektronen),
  • neuromorphe Systeme (deren Elemente sich an der neuronalen Struktur unseres Gehirns orientieren),
  • die Integration von Speicher- und Prozessor-Funktionalität in das gleiche Bauteil (so genannte Mem-Computer),
  • eine dreidimensionale Chip-Architektur (in der statt flache Schaltkreise auf die Oberfläche eines Silizium-Wafers zu ätzen, dünne Siliziumschichten mit Schaltkreisen übereinander gestapelt werden – was allerdings nur bei Speicherchips funktioniert, bei denen es kein Wärmeproblem gibt, da sie nur bei einem Speicherzugriff Energie verbrauchen),
  • und zuletzt auch die mögliche Entwicklung eines Quantencomputers, der die gesamte digitale Welt revolutionieren könnte.

Jaegers Fazit: „Interpretiert man daher das Mooresche Gesetz allgemeiner, dass sich einfach der Nutzen der elektronischen Grundbausteine für Benutzer und Endverbraucher alle 18 Monate verdoppelt, so ist davon auszugehen, dass das Gesetz noch lange seine Gültigkeit behalten wird. Denn der menschlichen Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt.“