Kürzlich fand der 33. Deutsche Logistik-Kongress des BVL in Berlin statt. Neben Industrie 4.0 und der Digitalisierung war vor allem die Vernetzung der Supply Chain thematisch ein Schwergewicht. Unter dem Motto -den Wandel gestalten- war von Aufbruchsstimmung allerdings nichts zu spüren. Grund: „Den Wandel haben wir bereits hinter uns gelassen. Jetzt geht es drum, die bestehenden Strukturen zu vernetzen“.
„Über was reden wir hier eigentlich? Wir sprechen ständig über angeblich neue Technologien wie etwa Internet der Dinge, autonomes Fahren, künstliche Intelligenz, Robotik beziehungsweise Smart Factory und natürlich über die Mensch-Maschine-Kommunikation. Was wir allerdings dabei vergessen: Viele dieser Technologien gibt es bereits seit 20 Jahren. Lasst uns lieber darüber sprechen, wie wir das Bestehende endlich richtig vernetzen“, stellte Universitätsprofessor Günther Schuh auf der ersten Podiumsdiskussion gegenüber seinen Mitstreitern fest. Was für die meisten logisch klingt, beschreibt derzeit die Herausforderung, mit der Mittelständler hierzulande zu kämpfen haben. Entsprechende Kernaussagen hat das Portal Logistik KNOWHOW treffend zusammengefasst.
Massenhaft Daten, kaum Nutzen
Denn projiziert man die Aussage auf die Logistik, so wird seine Mahnung fast schon greifbar. „Die logistische Digitalisierung, wie wir sie kennen, vollzieht sich seit 25 Jahren. Autonomes Fahren, Mensch-Maschine- beziehungsweise Maschine-Maschine-Kommunikation; all das gibt es seit Jahrzehnten in der Intralogistik und Produktion. Doch, verlässt die Ware beispielsweise das Lager und wird an die Extralogistik übergeben, haben wir ein Problem: Der Nutzer weiß nicht, wo genau sich seine Ware befindet“, führt Schuh weiter aus. Ein Beispiel: Verlässt ein Paket das Lager, ist es derzeit nicht möglich, das Paket unterwegs per GPS zu orten, sprich, dessen genauen Standort herauszufinden. Lediglich an den Packstationen der Post oder anderen Paketstationen, dort wo das Paket via Barcode erneut gescannt wird, ist eine Ortung möglich – GPS, Funkübertragungen, wie wir es vom Smartphone seit Jahren kennen, spielt dabei allerdings keine Rolle – es wird lediglich ein Barcode gescannt.
„Wir sammeln massenhaft Daten, können mit diesen Daten aber kaum etwas Smartes anfangen“, erklärt etwa Joachim Drees, CEO MAN SE, die Misere. „Nur wer seine Informationen, seine Daten teilt, kann heutzutage von der Digitalisierung und gleichzeitigen Vernetzung profitieren. Der Grundkonsens muss also lauten: neue Technologien ja, aber bei gleichzeitiger Verbesserung des Bestehenden.“ Drees lancierte während seines Vortrags mit dem Cloud-basierten „Transport-Ecosystem RIO“ auch gleich ein gutes Beispiel, wie eine Vernetzung entlang der Supply Chain ausschauen könnte. Aber auch der E-Commerce zeigt mittlerweile, wohin die Reise hinsichtlich –Smart Data– gehen könnte.
Autonomes Fahren: Wir brauchen noch Jahrzehnte Geduld
Dass das Bestehende allerdings nicht immer reibungslos den Wandel mitträgt, müssen derzeit die Entwickler von autonomen Fahrzeugen feststellen. Und speziell das derzeit in allen Medien diskutierte automatisierte Fahren zeigt auf, dass wir in Sachen Vernetzung noch eine Menge Hausaufgaben zu machen haben. „Wir stopfen immer mehr Technik in unsere Autos, die ausschließlich auf eine künstliche Intelligenz baut. Um endlich Fortschritte bei autonomen Autos wahrzunehmen, bedarf es in den Fahrzeugen die Anwendung von echter Intelligenz. Das Auto muss endlich wieder zum Objekt werden“, fordert Oliver Zipse, Mitglied des Vorstands, Bereich Produktion, BMW. „Einzelne Autos sind dabei nicht das Problem. Die Probleme entstehen, wenn mehrere Autos an einer Kreuzung stehen.“ Kommen dann noch nicht kalkulierbare Objekte wie der Mensch und das Tier hinzu, sind seiner Meinung nach, neben neuen Technologien, besondere Spielregeln ein Muss. Technik alleine wird diese Herausforderungen nicht lösen. Und nebenbei: Natürlich hat Zipse am Rande auch das Apple-Treffen mit BMW erwähnt. Mit einem Lächeln stellte er klar, dass, wenn es ums autonome Auto geht, der iPhone-Konzern bei BMW kein Thema ist.
Mit Big Data ist es wie mit Sex im Teenager-Alter: Jeder spricht darüber. Keiner weiß wirklich, wie es geht. Alle denken, dass die anderen es tun, also behauptet jeder, dass er es auch tut.
Dan Ariely, Psychologe
Der Kollege Frank Obschonka, Mitglied der Geschäftsleitung Dr. Thomas + Partner, bringt es in dem Artikel –Autonomes Fahren – fahrerlos auf europäischen Straßen?– auf den Punkt: „Das menschliche Gehirn ist so komplex und bis heute nicht wirklich stichhaltig erforscht; von Superrechnern beileibe nicht adaptiert – lediglich digital plagiiert. Unvorhersehbare Ereignisse bleiben so einem Computersystem unverständlich, nicht real und auf die Situation bedingt für ihn unmöglich abzubilden. Ein menschliches Gehirn schafft das tausendfach am Tag.“ Sprich, die derzeitige Datensituation ist ein verschlossenes Gut; jeder setzt auf seine Insellösung. Was die Herausforderung bei der Vernetzung der Supply Chain beschreibt, lässt sich nahtlos auf die Vernetzung der Infrastruktur (Ampeln, Schildkataster, Verkehrsteilnehmer) beim autonomen Fahren übertragen.
Digitalisierung & Geschwindigkeit: Cloudlets, taktiles Internet
Sogenannte Cloudlets werden in Zukunft nötig sein, um die Latenzen entlang einer Fahrstrecke niedrig zu halten (von derzeit 100 Millisekunden, auf 20 Millisekunden und niedriger). Die kleinen Boxen sind technisch gesehen Miniclouds, die ihre Daten direkt verarbeiten und smart an den entsprechenden Empfänger weiterleiten können – eine Art taktiles Internet. Für die nötige Geschwindigkeit sorgt die fünfte Generation des Mobilfunks (5G). Sie überträgt nicht nur Daten zügig, sondern soll speziell in Sachen Internet der Dinge über hervorragende Eigenschaften verfügen. Via 5G wird es zudem möglich sein, das Mobile Edge Computing, die dezentrale Datenverarbeitung, endlich voranzutreiben. Letzteres ist für die Produktion, die Logistik aber auch für das autonome Fahren von enormer Bedeutung: Bewegt sich ein Produkt, eine Ware, ein Auto, ein Mensch, wandern die dazugehören und benötigte Daten und Programme einfach mit (taktil). Und wenn Big beziehungsweise Smart Data, dann bitte sichere Daten, sichere Straßen. Speziell Karlsruhe könnte mit dem Testfeld für autonomes Fahren Geschichte schreiben.
Autonomes Fahren: meine persönliche diskutierbare Zeitachse
- 2016 Teilautomatisiert (Stau-Assistent, Tempomat, Spur-Assistent, Einpark-Hilfe)
- 2030, so schätzt man, werden die Fahrzeuge wie auch die mit ihnen vernetzte Infrastruktur Hochautomatisiert sein (Autobahn)
- 2040 werden vollautomatisierte Fahrzeuge auf Europas Straßen fahren – dabei wird keine dauerhafte Überwachung des Fahrzeugs nötig sein; der Fahrer muss allerdings immer eingreifen können. Die Rede ist von 60 Kilometern pro Stunde.
- Erst 2050 rechnen Experten mit der Einführung von autonomen Fahrzeugen in allen Verkehrssituationen.
Fazit: Es braucht nicht wirklich viel, um die Wertschöpfungskette zu vernetzen
Der Deutsche Logistik-Kongress in Berlin, vielmehr dessen Teilnehmer, haben es mehrfach auf den Punkt gebracht. Es braucht nicht wirklich viel, um die Wertschöpfungskette, die Industrie zu vernetzen; die Digitalisierung voranzutreiben. Die Technik dafür gibt es schon lange, die Daten liegen vor – nur das digitale Zusammenspiel der Unternehmen entlang der Supply Chain ist bisher mangelhaft. Es wird Zeit, dass sich dahingehend etwas ändert. Unternehmen wie MAN SE zeigen auf, wie die Vernetzung unterschiedlicher Unternehmen funktionieren kann. Vorausgesetzt: Die Daten werden nicht mehr als geschlossenes Gut behandelt. Der Blick muss weniger auf die Technologie gerichtet werden, vielmehr öffnen Kooperationen und Vertrauen die Ports der vernetzten Welt.