Der ehemalige KoKonsum.org-Gründer und Initiator der P2P-Carsharing-Plattform Autonetzer.de Daniel Bartel über die Triebfedern der Postmaterialisten, die Tücken der Idee und die großen Potenziale der Share Economy.
techtag: Herr Bartel, wie sind Sie zur Share Economy gekommen?
Daniel Bartel:Gute Frage, mir sind und waren die Mitmenschen schon immer sehr wichtig, Ich habe in der Schule schon viel zum Thema Nachhaltigkeit und soziales Miteinander gemacht. 2010 kam ich zur Share Economy, als ich mit Sebastian Ballweg und Markus Gößler die Autonetzer aufgebaut habe. Diese private Carsharing- Plattform hat sich zu einer der größten in Deutschland entwickelt und wurde in diesem Jahr von dem französischen Wettbewerber Drivy gekauft. Parallel dazu habe ich das Blog KoKonsum.org ins Leben gerufen, welches heute Teil von OuiShare ist. Eine internationale Plattform, die die gesamte Palette abbildet: Die Vernetzung von Einzelpersonen, von Start-ups, die im Nonprofit-Bereich arbeiten wie zum Beispiel Foodsharing.de, bis hin zu kommerziellen Anbietern wie Airbnb, die OuiShare bei großen Veranstaltungen auch sponsern.
Woher kommt der Trend des Teilens? Ist es das Internet, eine veränderte Haltung zum Konsum oder ist es schlicht der Geiz?
Das Prinzip des Teilens gibt es schon seit der Frühzeit. Neu befeuert haben diesen Trend drei Gründe: Einmal die Technologie, die eine hohe Auslastung und die notwendige Vernetzung ermöglicht. Dann die ökonomische Triebfeder: Auf Anbieterseite kann man damit Geld verdienen, aber letztendlich spart es Geld für alle. Gerade in den wirtschaftsschwachen südeuropäischen Ländern wie Spanien oder Frankreich ist die Share Economy weiter entwickelt als bei uns. Das dritte Motiv ist der ökologische Effekt – auf Anbieter- wie auf Konsumentenseite. Ressourcen lassen sich wesentlich effizienter nutzen oder auslasten.
Wie groß ist die Gruppe der Ko-Konsumenten?
Laut einer Studie der Lüneburger Leuphana-Universität von 2013 haben rund 55 Prozent der Bevölkerung Erfahrungen mit alternativen Besitz- und Konsumformen. Zwar dominiert in der Gesellschaft wohl immer noch der klassischen Materialismus, also die eigentumsfixierten Menschen, der Ko-Konsum ist aber durchaus schon eine größere Nische.
Und wie tickt diese Gruppe?
Diese Postmaterialisten möchten eine gewisse Freiheit behalten. Wenn Eigentum verpflichtet, gilt es, das zu vermeiden. Vielleicht reicht es ja, wenn ich mir den Beamer nur bei Bedarf aus der Nachbarschaft leihe. Oder Bücher: Vielleicht muss ich gar nicht 1000 Bücher im Regal stehen haben. Das große Überziel kommt aus der Einsicht, dass wir nicht mehr genug Material zum Verschwenden haben, dafür haben wir aber die Möglichkeit, alles zu wissen und zu nutzen. Wenn ich Porsche fahren will, kann ich mir den für einen Tag leihen. Früher musste man sich den hart erarbeiten.
Aber Leihen verpflichtet ja auch …
Ja, zum Leihen gehört auch eine gewisse Verantwortung. Es ist aber ein Unterschied, ob man bei einem kommerziellen Anbieter oder einer Privatperson ausleiht. Bei dem Besitz einer Privatperson entwickelt man ein anderes Verantwortungsbewusstsein. Das haben wir bei unserer Autonetzer-Plattform gemerkt: Die Schadensquote war im Branchenvergleich geringer. Bei Sharing-Plattformen kommt hinzu, dass die Verleiher ebenso wie die Ko-Konsumenten eine gute Bewertung im Netz haben wollen.
Schaden oder nutzen die großen kommerziellen Anbieter der Idee?
Das Ganze ist ja eigentlich im Nonprofit-Bereich entstanden. Mit der Technologie kam dann auch die Kommerzialisierung. Die großen Anbieter sind auf diesen Trend aufgestiegen. Andersherum profitiert davon aber auch der Nonprofit-Bereich, also die Idee, weil es die mediale Aufmerksamkeit und die notwendige Diskussionsgrundlage in einer breiten Öffentlichkeit schafft. Wobei Nonprofit natürlich nicht „Nonrevenue“ heißt.
Das klingt nach einem perfekten System. Ist also alles auf einem guten Weg?
Um ehrlich zu sein, befindet sich die Share Economy gerade in einem Tal der Tränen. Viele Anbieter gehen pleite, die User nutzen die Plattformen vielleicht nicht so, wie wir uns das vorstellen. Die Kernfragen, die wir uns immer wieder stellen müssen, sind: Wie kriege ich die beiden Massen, Anbieter und Konsumenten, zusammen? Was nehmen die Plattformen vom Kuchen für die Vermittlung, Bewertungssystem, Bezahlsystem? Es gibt noch jede Menge Fragen, die zu klären sind – auch rechtliche. Die Share Economy ist ein grauer Markt, der kaum reguliert ist. Die Politik ist gefordert, hier noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit es nicht aus dem Ruder läuft.
Können Sie Beispiele nennen?
Ja, zum Beispiel die Frage: Darf beispielsweise ein Privatanbieter 50 Wohnungen anbieten, um sie dann über eine Wohnungsvermietungsplattform lukrativ weiter zu vermieten. Aber auch arbeitsrechtliche Fragen: Wann ist eine Privatperson angestellt und es müssten entsprechend Sozialabgaben bezahlt werden. Die Frage stellt sich zum Beispiel bei privaten Fahrdiensten wie Uber. Das Unternehmen ist ja auch wegen seiner Bezeichnung als „Carsharing“ von den Franzosen abgemahnt worden, da das Konzept nur noch wenig mit Sharing zu tun hat. Wann ist es eigentlich nur eine klassische Vermietung? Es müssen also noch einige Spielregeln geklärt werden. Wenn wir das als Gesellschaft und Staat bewältigen, kommen wir auch durch das Tal der Tränen durch.
Wo sind die größten Potenziale?
Die digitale Transformation schreitet voran und das verändert nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Wirtschaft. Die Industrie befindet sich weltweit im großen Umbruch. Unternehmen müssen sich zunehmend die Frage stellen: Wo stehe ich in der Wertschöpfungskette und im ökologischen System? Die klassische Industrie und die Start-up-Szene könnten noch viel mehr voneinander profitieren, indem zum Beispiel ein Hersteller einem Start-up den Zugang zu Produktionsmitteln einräumt, um einen Prototypen zu erstellen. In den USA ist das teilweise schon möglich. Auch das ist Share Economy. Das Potenzial zur besseren und effizienteren Zusammenarbeit ist also noch riesig.