Über die Digitalisierung des Einzelhandels durfte ich bereits kürzlich schreiben. Status; es ist kompliziert. Zum einen kommen dort viele Technologien zum Einsatz, die noch keine direkte Verknüpfung zum Internet haben, zum anderen fallen viele der digitalen Themenfelder direkt in den E-Commerce beziehungsweise Onlinehandel. Am Ende entscheidet der Kunde, wo er kauft – Einzelhändler tun also gut daran, ihre Kanäle bestandstechnisch zu verknüpfen.
Auch der Einzelhandel befindet sich inmitten der Digitalisierung. Was bereits in den Absatzkanälen E-Commerce beziehungsweise dem Einkauf 4.0 zum Standard gehört, gestaltet sich speziell im stationären Handel und auf den ambulanten Handelsplätzen (Markt) schwierig. Klar, auf dem Markt verzichtet man in der Regel auf technischen Schnickschnack. Dort verkauft der Händler was er hat, feilscht sogar mit seinem Kunden. In Supermärkten, Bekleidungsläden oder Elektronikläden sieht es dagegen schon anders aus. Dort erkennt der Kunde nicht sofort den Grad der Digitalisierung. Ein Grad, der sogar beim Handel mit Lebensmitteln, kurz E-Food, erkennbar ist.
Bestandsverwaltung macht Digitalisierung des Einzelhandels komplex
Nicht nur der Preis entscheidet über Erfolg, auch die Bestandshoheit ist meines Erachtens ein nennenswerter Aspekt – inklusive den dazugehörigen Kennzahlen. Als Beispiel seien die Ladenketten Saturn und Gravis genannt. Beide Ketten ermöglichen es dem Kunden, online sowie offline zu recherchieren, die Ergebnisse zusammenzuführen und im Laden seiner Wahl online beziehungsweise offline zu bestellen. Ein Service, den ich persönlich lieben gelernt habe. Auch Zalando versucht derzeit, Marken und Händler mit in die hauseigene E-Commerce-Strategie einzubinden.
Händlerintegration: online und offline verschmelzen
Der Kunde kann sogar noch nach der Bestellung entscheiden, ob er die Ware lokal abholt oder sie sich nach Hause schicken lässt. Bis hierher ein klassischer Fall von Händlerintegration; online und offline verschmelzen. Doch was passiert eigentlich im Hintergrund, speziell mit dem Bestand? Es gibt nichts Ärgerlicheres, als etwas im Netz zu bestellen und später zu erfahren, dass das Produkt „nun doch“ nicht vorrätig sei. Was passiert also, wenn jemand im Laden das letzte MacBook bei Gravis kauft? Geschieht der Abgleich vom Kassensystem direkt mit dem verknüpften Onlineshop? Was sich lapidar liest, ist ein Sammelsurium aus diversen Schnittstellen und Verknüpfungen der unterschiedlichen Gewerken (Nachschub, Produktion usw.). Schaut man sich alleine die Bestandsverwaltung aus Sicht der Logistik an, wird die Komplexität fast schon greifbar.
Verbraucher, die mehrere Kanäle für ihren Einkauf nutzen, verbringen in manchen Fällen dreimal so viel Zeit wie Single-Channel-Konsumenten.
Prof. Joachim Zentes, Instituts für Handel und internationales Marketing
Dabei lohnt sich genau diese Umsetzung, diese zweifelsohne hohe Investition: Deutsche Verbraucher wollen nun mal vor ihrem Einkauf gut informiert sein. So ziehen die meisten Kunden vor ihrem Einkauf im stationären Handel die Webseiten der Händler zu Rate. In der Regel stellen die meisten sogar umfassendere Onlinerecherchen an. So zumindest meine persönliche Wahrnehmung.
Omni-Channel, Angebot und die richtige Ansprache
Dass der stationäre Handel seine Vorteile nicht ausreichend nutzt und damit das Potenzial der über mehrere Kanäle agierenden Verbraucher nicht ausschöpft, ist uns allen klar. Die Digitalisierung wird derzeit von den meisten Händlern noch nicht kanalübergreifend berücksichtigt. Ich bin der festen Überzeugung, wenn sich der Einzelhändler dazu bereiterklärt, seine Ware direkt ins Netz zu stellen, dort zu katalogisieren, würden viele Kunden verstärkt bei dem Einzelhändler ihrer Wahl nicht nur online Waren bestellen, sie würden diese auch lokal im Laden abholen. Eine Entwicklung, auf die der Einzelhändler reagieren muss. Nach wie vor steht der Einkauf im stationären Handel beim Kunden an erster Stelle. Sprich, die Händler werden in Zukunft den Verbrauchern die Kontrolle darüber geben, wann, wo und wie sie einen Einkauf gestalten und erleben möchten.
Entscheidender Erfolgsfaktor zur Ansprache der sogenannten Cross-Channel-Consumer, auch Omni-Channel-Consumer genannt, ist nicht nur die Präsenz eines Händlers in verschiedenen Kanälen, sondern die Vernetzung und Konvergenz dieser Kanäle. Einzelhändler, die es verstehen, Verbraucher über mehrere Kanäle hinweg konsistentes Angebot zu bieten und dabei deren Präferenzen berücksichtigen, können die Interaktion mit ihren Kunden verändern, ihnen ein gesteigertes Einkaufserlebnis bieten und sich vom Wettbewerb differenzieren.
Diese neue Ära verbindet nahtlos digitale und physikalische Kanäle und bietet dem Händler ein verbessertes Angebot, welches er über alle Kanäle anbieten kann: Das Vertriebsmodell, bei dem Konsumenten zum Beispiel online ihren Einkauf beginnen und später im Laden fortführen, wird für Händler einen Vorbildcharakter einnehmen. Voraussetzung; die Bestandshoheit ist gegeben.