Der Kunde ist König. Ein Leitsatz, der seit Jahrzehnten von vielen Einzelhändlern und mittlerweile auch von Onlinehändlern ernst genommen wird. Im Marketing ist diese Art der Kundenzentrierung noch nicht angekommen; das sagen zumindest die fünf unbequemen Thesen einer aktuellen Roland-Berger-Studie. Egal ob stationär oder online, egal ob Multi- oder Omni-Channel – „Kunden denken nicht in Kanälen, sondern in Bedürfnissen und bestimmen ihren Interaktionsbedarf selbst“, so die Kernaussage.
These 1
Der Kunde bestimmt die Marke und seinen Umgang mit dem Unternehmen. Es ist die Ära der Konzentration auf den Kunden. Das umfasst das ganze Unternehmen.
Bereits zu Anfang bringen es die Autoren auf den Punkt: „Die Digitalisierung bedeutet eine völlig neue Ära für das Marketing- und Markenmanagement. Kaufentscheidungen werden auf vielfältige Weise und über die verschiedensten Kanäle getroffen.“ Nimmt man sich diesen Umstand zu Herzen, ist das meines Erachtens schon die halbe Miete. Der Kunde will heutzutage nicht nur ein Produkt kaufen beziehungsweise bestellen. Das Marketing spielt derzeit nur die zweite Geige. Der Grund: Damals wurden Kunden linear angesprochen. Die Studie spricht vom sogenannten Bowling: ‚Die Marketers rollen ihre Marketingbotschaft in Richtung der Kegel – also Kunden – und hoffen, möglichst viele zu treffen‘. Heute kommt es darauf an, die Kunden in die Prozesse einzubinden. Die Interaktion mit ihnen führt zum Erfolg: ‚Flipper: Die Marketers schießen zwar die Kugel, ein großer Teil der Interaktion erfolgt dann aber ohne ihr Zutun‘. Das stellt Unternehmen wie auch das beauftragte Marketing vor neue Herausforderungen und laut Studie sind viele Unternehmen auf diese Kundensouveränität nicht eingestellt.
These 2
Unternehmen müssen abwägen, wie nahtlose Markenerlebnisse sinnvoll geschaffen werden können. Omni-Kanal-Strategien und nahtlose Customer Journeys sind die Zukunft.
Die zweite These konzentriert sich auf die Segmentierung, auf das Ausruhen auf Big-Data-Analysen sowie auf die Vorhersagen bezogen auf mögliche Kundenreaktionen. Es reicht heutzutage nicht mehr, Kundendaten zu sammeln und über eine Analyse die Marketing-Strategie festzuzurren. „Unternehmen müssen Verhaltens- und Feedback-Daten aus verschiedenen Kanälen in gezielte Marketingaktionen umsetzen.“ Die Studie nennt dazu ein Beispiel aus der Schweiz. Die Daten eines Schweizer Geldinstitutes zeigten, „dass zwei von drei Angeboten nicht zur aktuellen Situation des Kunden passten. Die traditionelle Überschwemmung mit Werbung, Mailings oder Anrufen ärgerte nicht nur die Kunden, sondern war auch zu teuer“. Das Geldinstitut kannte nicht im Ansatz die Bedürfnisse seiner Kunden, vielmehr war das Ziel lediglich Gewinne für die Bank zu erwirtschaften; der Kunde rückte in den Hintergrund. Es gilt also: Die Customer Journey ist die wichtigste Kundenbasis, die dem Marketing zur Verfügung steht; jetzt benötigen die Marketers lediglich das Verständnis dafür.
These 3
Für erfolgreiche Omni-Kanal-Strategien ist die intelligente Verknüpfung von Daten unerlässlich. Die Kunden sollten entlang ihrer gesamten Customer Journey erfasst und verstanden werden.
Die dritte These kann ich aus eigener Erfahrung und aus Gesprächen mit Daten-Analysten bestätigen. Sie beschäftigt sich mit den erhobenen Daten (nennen wir es Big Data) aus den unterschiedlichen Kanälen. Was bringen einem alle Daten der Welt, wenn diese nicht intelligent verknüpft sind. „Alle sprechen von Big Data, aber oftmals sind heute noch nicht einmal die einfachsten Daten verknüpft“, liest man aus der Studie. Ein Beispiel: Ein Automobilhersteller sprach wiederholt Kunden von unterschiedlichen Service-Stellen wegen Schadensfällen an. Trotz mehrfacher Hinweises der Kunden, dass es sich nicht um ihre Fahrzeuge handelte, wurden sie bis zu sechsmal kontaktiert – mit strukturierten Datensätzen, die vor allem die Korrespondenz mit Kunden aufzeigt, hätte den Ärger erspart. Und glaubt man der Studie, nutzen die Unternehmen weniger als 50 Prozent der ihnen zur Verfügung stehenden Daten für die Auswertungen. Dabei wissen wir es doch besser. Seit Smart beziehungsweise Small Data sind speziell Kennzahlen immer wichtiger.
These 4
Entscheidungen im Unternehmen müssen messbarer und Analytiker enger einbezogen werden. Damit geht die Zeit der Bauchentscheidungen zu Ende. Analytik wird zur Grundlage moderner Führung.
Auch die vierte These beschäftigt sich mit Big Data und die damit verbundene Analyse. Kein Wunder; 47 Prozent sehen Big-Data-Analytik als die wichtigste Fähigkeit, die Marketingorganisationen bis 2020 meistern müssten. Doch geht es nach der Studie, glauben, gerade einmal sieben Prozent der Marketingspezialisten, dass sie für diese Herausforderung bereit sind. Ein Grund dürfte die Komplexität der Auswertungstools sein; ein anderer ist die bisher fehlende Akzeptanz der Führungskräfte. „Ein solides Verständnis für die Leistungsfähigkeit der Datenanalyse muss ein Teil des Management-Repertoires aller Führungskräfte werden, schließlich Bestandteil der DNS der gesamten Organisation“.
These 5
Unternehmen müssen zu „Analytical Competitors“ werden.
Oben bereits erwähnt, ist speziell die Komplexität von Big Data und den damit verbundenen Auswertungen ein Unternehmensproblem. Den meisten Mitarbeitern fehlt es an Big Data-Know-how. Viele Unternehmen wollen daher aufrüsten und neue Stellen für diesen Bereich schaffen. Dennoch, die mangelnde Interpretierfähigkeit von Datensätzen muss in der gesamten Unternehmensstruktur erfasst und mit passenden Schulungen minimiert werden. Nur so nimmt man den Mitarbeitern die Scheu vor der Digitalisierung. Beispiel: Der Technologiekonzern GE bildete 1.000 Führungskräfte und 40.000 Mitarbeiter in effizienten Startup-Methoden aus. Gemeinsam mit Big Data-Einsatz wurden neue Produkte besser an Kundenbedürfnisse angepasst und die Entwicklungszeit und -kosten sogar um 50 Prozent reduziert. Die Studie schließt am Ende, wie zu Beginn auf den Punk abt: „Digital Roll-out Factories“ erlauben hochgradig agile Experimente, die aber durch sehr strukturierte Prozesse auch im großen Stil handhabbar bleiben. Die nächste Herausforderung für Unternehmen ist das industrielle Experimentieren.“ Diese Lust am Experimentieren muss sich demnach auch auf das Marketing übertragen.
Keine Frage, Personalisierung und personalisierungsfreundliche Kanäle sind die treibende Kraft hinter dem Marketing-Erfolg. Einigen der oben genannten Thesen muss man nicht zustimmen, doch speziell die Datenanalyse rückt in Zukunft immer weiter in den Fokus. Technologien wie Internet der Dinge, Smart-Mobile und das damit mögliche Zielgruppen-Tracking beschreiben dann die Hauptsäulen des Marketings.
Quelle – SAS & Roland Berger: Die Illusion der Kundenzentrierung