Lesedauer ca. 5 Minuten

Auf Googles jährlicher Entwicklerkonferenz Google I/O vor zweieinhalb Jahren war Google Glass noch das nächste große Ding. Auf die Ankündigung folgte die streng limitierte Explorer Edition und wenige Zeit später das Vorserienmodell. Inzwischen ist es um die Datenbrille recht ruhig geworden, von einem Verkaufsstart ist nichts zu hören. Wie steht es um den revolutionären Mini-Computer?

Google I/O 2012: Während eines Hangout-Videoanrufs springen Fallschirmspringer aus einem Zeppelin über San Francisco und übergeben auf dem Dach des Moscone Centers einen Google Glass-Prototypen an ein Team von Mountainbikern. An der Dachkante reichen diese den Beutel weiter an einen Houserunner, der an einem Kabel gesichert an der Außenwand des Centers in Richtung Eingang rennt. Unter tosendem Applaus endet der Staffellauf schließlich auf der Bühne mit der Übergabe der Brille an Googles Mitbegründer Sergey Brin. Google Glass, einst unter dem Namen Projekt Glass bekannt, ist endlich da.

Kern der Brille ist ein winziges Display. Über Bluetooth empfängt Google Glass Informationen vom Smartphone und stellt diese auf dem Minibildschirm dar. Das Handy kann in der Hosentasche bleiben, während Navigations-Hinweise, Nachrichten, Kalender-Einträge und mehr immer im Sichtfeld sind. Umgekehrt überträgt eine in der Brille verbaute Kamera Foto- und Videoaufnahmen. So weit, so gut.

Nach der Ankündigung im Sommer 2012 stellte Google die Brille zunächst in der noch relativ klobigen Explorer Edition für 1.500 US-Dollar (umgerechnet gut 1.200 Euro) Gewinnern eines Wettbewerbs zur Verfügung, bei dem es galt, in maximal 140 Zeichen via Twitter den geplanten Einsatz von Google Glass zu schildern. Seit Mai 2014 ist nicht nur die Hardware deutlich angenehmer, sondern auch Googles Bedingung bezüglich des Kaufs. Jeder Interessierte hat die Möglichkeit, die Vorabversion der Datenbrille in den USA zu einem Preis von 1.500 US-Dollar zu kaufen. Von der im April 2013 von Googles Aufsichtsratschef Eric Schmidt angekündigten Verfügbarkeit in „etwa in einem Jahr“ ist bisher aber nichts zu merken. Kommt die Datenbrille überhaupt noch?

Spielverderber Datenschutz

Google wäre nicht Google, wenn die Brille nicht kontinuierlich Daten, darunter Aufenthaltsort, Bilder und Töne, aufnehmen, speichern und zur Auswertung in Googles Datenzentren schicken würde. Wie, wann und wo diese Speicherung konkret stattfindet, darüber schwieg Google bisher. Für Datenschützer aus ganz Europa läuten bei dieser Haltung die Alarmglocken. Um Google Details abzuverlangen, wurde unter der Federführung von Kanada ein Schreiben an Google erstellt, das die Datenschutz-Behörden Australiens, Neuseelands, Mexikos, Israels und der Schweiz mitunterzeichneten. Die Antwort aus Mountain View folgte wenige Tage später, jedoch ohne konkrete Beantwortung der Fragen. Google Glass würde beispielsweise nur dann Daten aufzeichnen, wenn dies der Anwender ausdrücklich per Sprachbefehl oder Tastendruck wünscht. Die Gesichtserkennung sei Drittanwendungen so lange vorenthalten, bis man die Sicherheit der Privatsphäre garantieren könne.

Juristisch betrachtet, sei Google Glass eine Ernüchterung, schreibt Thomas Schwenke, Rechtsanwalt und Experte für Medienrecht in seinem Blogbeitrag „Die 10 (Datenschutz)Risiken von Google Glass„. „Selten drängten sich mir so viele Gefahren für Persönlichkeitsrechte auf“, so Schwenke.

Kein Google Glass im Auto

In den USA muss sich Google außerdem vor einem neuen Gesetz in acht nehmen. Laut Nachrichtendienst Reuters planen derzeit acht US-Staaten, Google Glass sowie andere Wearables, darunter Smart Watches, am Steuer zu verbieten. Die Gesetzgeber haben Angst, „dass Fahrer mehr auf ihre E-Mails statt auf die Straße achten“, so Reuters. In Illinois, Delaware und Missouri versucht Google deshalb schon seit Anfang des Jahres, mit Lobbyarbeit die Einführung eines entsprechenden Gesetzes zu verhindern.

Für Google wäre ein solches Gesetz eine herbe Niederlage. Da bei einer Verkehrskontrolle der Beweis schwierig ist, ob Google Glass tatsächlich verwendet wurde, bleibt nur ein komplettes Trageverbot der Brille. Autofahrende Brillenträger wären dadurch gezwungen, regelmäßig die Brille zu wechseln. Der Sinn von Google Glass wäre dahin. Auch Großbritanniens Verkehrsministerium arbeitet an entsprechenden Regelungen. „Einige Verbote und Strafen existieren bereits, um Fahrer zu erwischen, die nicht ordentlich auf die Straße achten, darunter für leichtsinniges Verhalten. Im kommenden Jahr soll dieses Verhalten, was bei der aktiven Verwendung von Google Glass vorliegt, offiziell ein Vergehen werden“, so ein Sprecher des Ministeriums zu stuff.tv.

Was kommt 2015: Einstellung oder Version 2.0?

Auch technisch ist die Datenbrille noch weit von einer Veröffentlichung entfernt. Neben der noch relativ kurzen Akkulaufzeit muss auch die Spracherkennung für weitere Sprachen optimiert werden. Bisher funktioniert Google Glass nur auf Englisch. Neben rechtlichen und technischen Schwierigkeiten plagt Google Glass aber auch noch ein weiteres, möglicherweise entscheidendes Problem: mangelndes Interesse.

Von 16 Glass-Entwicklern, die von Reuters um eine Stellungnahme gebeten wurden, tüfteln nur noch sieben an Glass-Projekten. Einschränkungen der Hardware und fehlende Kunden seien der Hauptgrund für diese Entscheidung. „Es gibt momentan einfach keinen Markt“, so Tom Frencel, CEO von Little Guy Games. Ob diese Entwicklung Ursache für oder Folge des Ausscheidens einiger Glass-Entwickler ist, bleibt offen. Google betonte jedoch, dass man weiterhin hinter Glass stehe.

Möglicherweise ist die Funkstille um Google Glass aber auch nur Teil der berüchtigten Ruhe vor dem Sturm. Erst Anfang Dezember veröffentlichte das US-Patentamt USPTO ein Google-Patent namens „Wearable Display Device“ mit Zeichnungen, die keinen Zweifel daran lassen, um was für ein Gerät es sich handelt. Auf den Zeichnungen ist ein deutlich schmaleres Google-Glass-Gestell zu erkennen, das die ebenfalls geschrumpfte Glass-Technik auf der linken statt auf der rechten Seite trägt. Laut dem Wall Street Journal ermöglicht die kompaktere Bauform eine neue Partnerschaft mit dem Chip-Hersteller Intel. Statt des bisherigen Texas-Instruments-Prozessors könnte die kommende Google-Glass-Generation mit Intels Quark laufen, ein Chip, der Prozessor und Mobilfunktechnik vereint.

Ein möglicher Ausweg für Google ist das Business-Umfeld. Im medizinischen Bereich oder auch im produzierenden Gewerbe wäre Google in der Lage mit finanzkräftigen Interessenten Entwickler zur Programmierung von Business-Apps anzulocken. Unter dem Glass at Work-Programm hat Google bereits Partnerschaften mit Augmedix und APX Labs vereinbart. In Deutschland zeigt der IT-Dienstleister Bechtle zusammen mit SAP und Vuzix, wie die Technologie Arbeitsabläufe in der Logistik vereinfachen  kann.

Bewähren sich diese Einsätze der Datenbrille, ist auch die Ausdehnung auf den Privatkundenmarkt nicht mehr ausgeschlossen. Irgendwann.